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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 9. Oktober 1857

Lieber Karl!

Auf Deinen Brief vom 5ten dieses Monats2 sende ich Dir hiermit Deinem Wunsch gemäß den Bestand Deines Contos mit 135 Talern Dein wirkliches Guthaben beträgt 134 Taler 1 Silbergroschen 5 Pfennige. In meinem Hause ist jetzt große Umwälzung; mein Wirth hat mich vom 1ten April folgenden Jahres ab um 100 Taler, also auf 400 Taler Miethe gesteigert; da ich disen Miethszins den jetzigen Preisen der Wohnungen angemessen finde, und beim Aufgeben meiner jetzigen Wohnung viel eher Gefahr laufe, eine schlechtere statt einer besseren zu bekommen, falls ich mich nicht zu einer Miethe von circa 500 Talern entscheiden will, so habe ich um so mehr vorgezogen, im alten Nest, wenn mir Gott das Leben läßt, noch einige Jahre zu verbleiben, als der Wirth Herr Schmidt sich zugleich erboten, mehrere wichtige Reparaturen auf seine Kosten vorzunehmen, wodurch auch Friederikes Wünsche eine genügende Befriedigung erlangen. Er will die hinteren Stuben, nemlich gelbe Stube und die Schlafstube, das vordere Entree, den hintern dunklen Corridor zur Höhe tapezieren, alle Fenster und Thüren streichen lassen und richtet ferner noch im Corridor mehrere 3 und ein kleines schwebendes Mädchenstübchen ein. Da ich nun auch noch den Kochheerd umsetzen lasse, und also Gipser, Maurer, Maler und Tapezierer im Hause wirthschaften, so kannst Du Dir eine Vorstellung von der Verwüstung machen. Wir haben uns rasch entschlossen, die Sache gleich vorzunehmen, um die Verbesserungen schon im nächsten Winter benutzen zu können. Friederike bleibt nun 10 – 14 Tage in Potsdam, bis die Hauptsache fertig ist, während ich hier als Garçon lebe und die Wohnung nur als Schlafstelle benutze. Sie sind übrigens drüben alle recht wohl.

Dagegen sind unsere Gemüther in Erregung und Spannung über den Verlauf der Krankheit unseres Königs. Es hat sich der in demselben vorgekommene Zufall des Schwindels und der Bewußtlosigkeit wiederholt, und ist um so besorglicher, als sich auch Fieber eingestellt hat und die Anspannung fortdauert. Sein Tod wird eine große Veränderung mit sich führen, und einen bedeutenden Wendepunkt bezeichnen, sowohl für die inneren, als für die äußeren politischen Verhältnisse. Der Prinz von Preußen entfernt jedenfalls sofort alle Vertrauensmänner des jetzigen Königs, und wahrscheinlich auch mehrere Minister; er wird zur Verfassung des Landes eine ganz andere Stellung einnehmen; er wird sie voll anerkennen; nach außen wird er den spezifizirten  preußischen Standpunkt hervorkehren und man darf annehmen, daß er das Verfahren Oesterreichs und der deutschen Könige und Fürsten in den Jahren 1849 und 1850 nicht vergessen hat. Ob aber hierbei sein Urtheil, besonnene Umsicht, und ausdauernde Ruhe im richtigen Verhältnis zu seiner Willenskraft stehen wird, das ist eine andere Frage; vielleicht können seine Schwächen noch verderblicher werden, wie die des jetzigen Königs.

In meinem neuen Amt habe ich allerdings manche Arbeit, namentlich in der letzten Zeit, da ich mich in einem ganz neuen Felde orientieren muß. Die ganze Behörde befindet sich nun auch noch im Interimistikum4, dessen Lösung bei widerstreitenden Interessen des Minister-Präsidenten und des Finanzministers nicht ganz leicht ist und durch die Krankheit des Königs noch weiter hinausgeschoben werden wird.

Daß Deine Nerven wieder angegriffen sind, thut mir herzlich leid, und ich möchte Dich bitten, Dich bei dem schönen Herbstwetter fleißig in freier Luft zu bewegen und noch gemächlich die Ferien zu benutzen. Wir haben auch noch recht milde und heitere Tage und der Frühfrost vor 14 Tagen hat bei uns noch die Blumen verschont. – Grüße Deine liebe Susette und die Kinder herzlichst. Eure Sorge bei der Nasenverstopfung von 5 kann ich mir denken und ebenso Eure Freude, als die Eichel glücklich herausspedirt war; die Dummheiten der Kinder in solchen gefährlichen Sachen sind unzählig und es ist unmöglich sie vor Allem beschützen zu wollen; man muß dabei das Seinige thun und sie im Uebrigen ihrem Schutzengel und Gott empfehlen.

Den lieben Nürnbergern bitte ich auch die freundlichsten Grüße zu empfehlen.

In treuer Liebe
Dein
Immanuel
Berlin
den 9ten October 1857