Berlin den 21sten November 1857.
Lieber Karl!
Dein lieber Brief vom 14ten dieses Monats beginnt mit der Hinwendung auf den Gedächtnistag, an welchem Du ihn geschrieben, und es führte Dich dieser in die Vergangenheit und die Zeit unserer Jugend, und zu einem warmen Ausdruck des Dankes, welchen wir unserem seligen Vater schulden. Diese Erinnerung findet gewiß auch bei mir den vollsten Wiederklang, und ich bin ihr auch in meinem Herzen immer treu geblieben. Das Bild seines Charakters und seines Geistes lebt in mir unverwischt fort, und oft geben sich Anknüpfungspunkte, welche mich daran erinnern, wieviel ich ihm und seiner Philosophie verdanke. Allerdings gehört diese seit vielen Jahren nicht mehr zu den Gegenständen meiner Beschäftigung, und das innere Bedürfnis und die Erfahrungen des Lebens haben mich dazu geführt, in der Religion Halt, Trost, Kraft und die Hoffnung des ewigen Lebens zu suchen, und wenn die Philosophie auch nicht im entferntesten die positive Religion verdrängen oder ersetzen kann, so bleibt sie doch, wie die Wissenschaft überhaupt, nicht bloß in ihrer Größe und Macht, sondern auch in ihrer geistigen Nothwendigkeit bestehen, und mögen auch die Ansprüche der Philosophie auf die Herrschaft im | Leben und allen geistigen Gebieten sich nicht erfüllt haben, und mag sie auch von der gegenwärtigen Zeitrichtung mit Mißachtung bei Seite geschoben sein, so wird sie doch sicherlich letztere überdauern und ihr Recht und ihre Wahrheit für immer behalten. Ich habe die Schrift von Haym im Drang der Geschäfte, auch nur erst zum Theil lesen können. Bei aller Anerkennung seiner großen geistigen Begabung und des Reichthums des von ihm beherrschten Stoffes erscheint es mir immer ein bedenkliches Unternehmen, über die jüngste Zeitgeschichte ein absolutes Gericht halten zu wollen. Er ist dazu, wie es mir scheint, zu wenig wirklicher Historiker, und zu sehr von dem Maaßstab eines festen einseitigen Liberalismus beherrscht.
Meine Zeit ist jetzt allerdings sehr besetzt; die Verwaltung des Staatsschatzes – welche übrigens nicht zur königlichen Hausverwaltung gehört, sondern dem Gegenstand nach ein Theil der Finanzverwaltung bildet – hat mir ein reichliches Pensum zugelegt; sie gewährt mir aber doch ein großes Interesse, wenn sie auch eine nicht unbedeutende Verantwortlichkeit mit sich führt, und ich bewege mich darin mit großer Selbstständigkeit. Die definitive Ernennung in dieser Stellung wird freilich sich noch einige Zeit hinziehen, weil eine Vereinfachung der Kassenverwaltung bei dieser Behörde und sonstige Veränderungen in Vorschlag gekommen, über welche, da sie eine Administration, für die der König
| sich lebhaft interessirt, und deren Einrichtung auf festen preußischen Traditionen beruht, betreffen, der Prinz von Preußen in seiner interimistischen Stellung um so mehr zu entscheiden Anstand nehmen muß, als dabei divergirende Ansichten obwalten.
Dazwischen kommen noch andere Gegebenheiten, welche mich in Anspruch nehmen, Erbschaftsangelegenheiten der Frau von Plotzeich, deren Schwager kürzlich hier gestorben; meine Fähndrichsche Vormundschaft, wo der älteste Junge der Mutter nicht pariren will und den ich nach Pforta sobald als möglich schaffen muß.
Sehr dankbar und glücklich bin ich, daß es jetzt in meinem Hause besser bestellt ist, und es mir dadurch gestattet ist, mich mit Freudigkeit meinen Berufsgeschäften hinzugeben. Friederike hat freilich die ersten 14 Tage hier mit hartnäckiger rheumatischer Gesichtsroedte zubringen müßen; doch ist dis nun gehoben und sie ist, Gott sei Dank, wieder ganz frisch. Auch die Kinder sind wohl, und ich bitte täglich Gott, daß er mir diese sorgenfreie Befriedigung in dem Hause erhalten möchte.
In Potsdam haben sie jetzt fast alle die Grippe; nur der Vater erhält sich tapfer auf den Beinen. Er war kürzlich mit Adalbert zum Besuch in Danzig, um dort Herrmann und Pauline zu sehen und den großen Brückenbau in Dirschau zu besichtigen. Pauline erwartet bald ihre Entbindung. Herrmann sucht in Gemeinschaft mit seinem Schwiegervater noch ein passendes Landgut. Dagegen hat der Vater leider | dort seinen ältesten Sohn, den Photographen, in bedenklicher finanzieller Lage gefunden, was ihm viel Sorge macht. Adalbert hat sein 3tes Examen cum laude bestanden und erwartet zum Anfang Januar 1858, bis wohin er Urlaub genommen, seine weitere Bestimmung als Regierungsassessor. Sein Scheiden von Potsdam wird sehr schmerzlich empfunden werden. Theodor ist von Schleitz nach 5 monatlicher Kur zurückgekehrt; die Sehkraft der Augen scheint sich nicht gebessert zu haben; sein übriges Befinden ist aber gut.
Mit der Genesung des Königs geht es allerdings, wenn auch langsam vorwärts; sein Gedächtnis ist jedoch noch schwach und er muß jede geistige Anstrengung vermeiden. Bei einem Privatmann würde man mit der Hoffnung, die sein Zustand gewährt, sich genügen lassen; für einen König reicht aber eine doch wahrscheinlich gelähmt bleibende geistige Kraft nicht aus, und die sich lange hinziehende Ungewißheit ist schon ein großer Uebelstand.
Es freut mich sehr, daß Du mit Deinen Vorlesungen doch wieder in guten Gang gekommen bist. Den armen Aegidi, der gerne etwas sanguinisch ist, bedauere ich; es wird ihm der schlechte Anfang sehr empfindlich sein; doch zweifle ich nicht, daß er mit seinen liebenswürdigen Gaben sich bald Zuneigung und Beifall verschaffen wird. – Die allgemeinen Berichte über die 2 bayerischen General-Synoden habe ich mit Interesse verfolgt; sie scheinen, abgesehen von dem Interpellations-Verbot einen recht befriedigenden Verlauf gehabt zu haben.
Von Henning und ob er am 1ten Dezember zahlen wird, habe ich noch nichts weiter gehört; es ist jetzt überall große Geldklemme. Deine Rechnung werde ich Dir das nächste mal schicken. Ich eile mit diesem Briefe, da ich um ihn noch abzuschließen, … zurückgehalten habe. – Deine Nachrichten von Deiner Frau und Kindern haben uns herzliche Freude gemacht. Grüße sie alle herzlichst. – Mit den treuesten Wünschen
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
.
Privatbesitz
1000
Lentze
, Carl: Die im Bau begriffenen Brücken über die Weichsel bei Dirschau und Marienburg, in: Zeitschrift für Bauwesen 5 (1855), Spalten 445-458.
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, Weichselbrücken
1855
[G. J.]
: Die Weichselbrücke bei Dirschau, in: Die Gartenlaube 30 (1858), S. 429-431.
G. J.
, Weichselbrücke
1858
Mehrtens
, Georg Christoph: Zur Baugeschichte der alten Eisenbahnbrücken bei Dirschau und Marienburg, in: Zeitschrift für Bauwesen 18 (1893), Spalten 92-122, 343.
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, Baugeschichte
1893
Ebel
, Wilhelm: Catalogus Professorum Gottingensium 1734-1962, Göttingen 1962.
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, Catalogus Professorum Gottingensium
1962
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
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, Karl Hegels Gedenkbuch
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Rosenberg
, Hans: Die Weltwirtschaftskrise 1857-1859, Stuttgart 1934, 2. Auflage Göttingen 1974.
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Plumpe
, Werner: Wirtschaftskrisen. Geschichte und Gegenwart, München 2010.
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, Wirtschaftskrisen
2010
Hegel, Georg Wilhelm FriedrichGeorg Wilhelm Friedrich Hegel https://www.deutsche-biographie.de/sfz28648.html#ndbcontent11854773917701831 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831), Philosoph, Ehemann Maria Helena Susanna Hegels, geb. Tucher (1791–1855), Vater Karl und Immanuel Hegels , von 1808 bis 1816 Gymnasialrektor und Schulrat in Nürnberg, ordentlicher Universitätsprofessor für Philosophie von 1816 bis 1818 an der Universität Heidelberg und von 1818 bis 1831 an der Universität Berlin.
Haym, RudolfRudolf Haym11854738018211901Haym, Rudolf (1821–1901), teilweise auch Heym, in Grünberg in Schlesien geborener Philosoph, Literarhistoriker und politischer Publizist, der von 1839 bis 1843 an den Universitäten Halle und Berlin evangelische Theologie, Philosophie und Klassische Philologie studierte. Er war Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 und ab 1868 ordentlicher Professor für deutsche Literatur an der Universität Halle, deren Rektor er im Studienjahr 1873/74 war. Im Jahre 1900 wurde er auswärtiges Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften.
Friedrich Wilhelm IV., König von PreußenFriedrich Wilhelm IV., König von Preußen11853599417951861Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861), war von 1840 bis 1858/61 König von Preußen.
Wilhelm I., König von Preußen, Deutscher KaiserWilhelm I., König von Preußen, Deutscher Kaiser11863288417971888Wilhelm I. (1797–1888), Prinz von Preußen, König von Preußen von 1861 bis 1888, ab 1871 auch Deutscher Kaiser.
Fähndrich, August Otto-1857Fähndrich, August Otto († 1857), war von 1850 bis 1857 Vorsteher der Berliner Stadtverordnetenversammlung. Immanuel Hegel (1814–1891), war von 1850 bis 1853 sein Stellvertreter.
Flottwell, Eduard HeinrichEduard Heinrich Flottwell11663107417861865Flottwell, Eduard Heinrich (1786–1865), preußischer Staatsmann, Minister und oftmaliger Oberpräsident, u. a. von 1841 bis 1844 Oberpräsident der Provinz Sachsen, 1849/50 Oberpräsident der Provinz Preußen, 1850 Oberpräsident der Provinz Brandenburg, Schwiegervater Immanuel Hegels (1814–1891).
Flottwell, Adalbert JuliusAdalbert Julius Flottwell11663105818291909Flottwell, Adalbert Julius (1829–1909), in Marienwerder geborener Sohn Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und seiner zweiten Ehefrau Auguste Flottwell, geb. Lüdecke (1794–1862), der nach seinem 1849 begonnenen Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin preußischer Beamter und Politiker wurde. Verheiratet mit Ella (Else) Flottwell, geb. Oppen-Gatersleben (1841–1916), war er von 1861 bis 1868 Landrat von Meseritz in der Provinz Posen, gleichzeitig von 1866 bis 1868 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses, dann von 1868 bis 1872 Landesdirektor im Fürstentum Waldeck-Pyrmont, von 1872 bis 1875 Kabinettsminister im Fürstentum Lippe, von 1875 bis 1880 Regierungspräsident in Marienwerder, dazu von 1878 bis 1881 Mitglied des Deutschen Reichstages, sowie ab 1880 Präsident des seit 1871 bestehenden preußischen Bezirks Lothringen in Metz. Bis 1902 war er schließlich Direktor der Schlesischen Bodenkreditbank.
Flottwell, Johanna Pauline, geb. Frantzius
-18341897Flottwell, Johanna Pauline, geb. Frantzius (1834–1897), siehe auch: Frantzius, Johanna Pauline.
Aegidi (Aegidy), Ludwig Karl James11600904718251901Aegidi, Ludwig Karl James (1825–1901), auch Aegidy, in Tilsit geborener Jurist, Politiker und Dichter, der nach seinem Studium an den Universitäten Königsberg, Heidelberg und Berlin im Jahre 1851 promoviert wurde und sich 1853 an der Universität Göttingen habilitierte. Von 1857 bis 1859 war er außerordentlicher Professor für Staatsrecht an der Universität Erlangen, dann bis 1868 am Akademischen Gymnasium in Hamburg und anschließend bis 1871 an der Universität Bonn. Nach seiner Anstellung im Auswärtigen Amt in Berlin von 1871 bis 1877 war er Professor für Staats-, Völker- und Kirchenrecht an der Universität Berlin.
Henning, Leopold August Wilhelm DorotheusLeopold Henning10016287817911866Henning, Leopold August Wilhelm Dorotheus (1791–1866), in Gotha geborener Philosoph, der 1825 außerordentlicher, 1835 ordentlicher Professor der Philosophie an der Universität Berlin wurde. Von 1827 an war er Redakteur der Zeitschrift der Hegelianer, der „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik“.
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Schulpforta (Schulpforte)51.1418502,11.7494455Zwischen Kösen und dem fünf Kilometer ostwärts gelegenen Naumburg an der Saale gelegenes Zisterzienser-Kloster aus dem 12. Jahrhundert, in dem Herzog (ab 1547 Kurfürst) Moritz von Sachsen (1521-1553) im Jahre 1543 eine von drei sächsischen Fürstenschulen gründete, das Internatsgymnasium Pforta.
Potsdam52.4009309,13.0591397Garnisons- und Residenzstadt des Königreichs Preußen an der Havel, etwa 30 Kilometer südwestlich von Berlin gelegen.
Danzig54.3706858,18.61298210330077Ehemalige Hansestadt und alte Handelsstadt an der Ostsee, etwa 500 Kilometer nordöstlich von Berlin gelegen. Im Jahre 1815 kam sie ans Königreich Preußen.
Dirschau54.09087615,18.77794352885673Etwa 550 Kilometer nordöstlich von Berlin und etwa 40 Kilometer südlich von Danzig gelegene Stadt an der Weichsel, die mit der Ersten Teilung Polens 1772 ans Königreich Preußen fiel.
Schleiz50.5774374,11.80891Etwa 280 Kilometer südwestlich von Berlin und 35 Kilometer nördlich von Hof auf der Hochebene des Vogtlandes gelegene ehemalige Residenzstadt des Fürstentums Reuß-Schleiz.
StaatsschatzBargeld und Edelmetalle, vor allem Gold, die das Vermögen eines Staates bilden.
Generalsynode (Königreich Bayern)Zur Beratung innerer Kirchenangelegenheiten geschaffene Repräsentation der evangelischen Kirche im rechtsrheinischen Bayern, die sich aus der 1848 geschaffenen Vereinigten Generalsynode der beiden Konsistorialbezirke Ansbach und Bayreuth gebildet hatte. Die linksrheinische pfälzische Landeskirche im Königreich Bayern löste sich 1848/49 vom Münchener Oberkonsistorium.