Heringsdorf den 7ten Juli 1858
Lieber Karl!
Die letzte Woche in Berlin war zu unruhig und anstrengend, als daß ich hätte Zeit finden können, Dir auf Deinen lieben Brief zu antworten. Es sind immer unglaublich viele Verhältnisse in diesen Tagen zu arrangiren und zu besorgen, wenn es auch eine Abwesenheit von nur wenigen Wochen gibt. Im Uebrigen war der Zeitpunkt meiner Abreise glücklich gewählt, da jetzt eine Periode großer Stille für Berlin begann. Am Dienstag reiste der König, am Mittwoch der Prinz von Preußen, am Donnerstag der Minister-Präsident und am Sonnabend – ich: eine angemessene Reihenfolge. Diesmal reiste ich nun nicht allein mit Frau, sondern auch mit 3 Kindern und einem Dienstmädchen; also ein ganzer Hausstand auf Reisen. Die Vorbereitungen dazu fielen freilich der Frau zur Last, welche sie auch, wenn auch mit einiger Schwachheit, glücklich überstanden hat, unterstützt von unserer lieben Freundin, Malchen von Conrady. Nachdem das Wetter bis dahin sehr unfreundlich, kalt und stürmisch gewesen war, fuhren wir am Sonnabend morgen um 6 ½ Uhr auf der Stettiner Eisenbahn im ruhigsten Sonnenwetter ab; ebenso war die Fahrt über das Haff beim ruhigen Wasserspiegel, ohne alle Beschwerde. In Swinemünde fanden wir die von einem Bekannten bestellten Wagen vor und fuhren am schönen Strand, welchen die Wellen sanft bespülten, nach Heringsdorf. Hier kamen wir | schon vor 6 Uhr an, und konnten es uns in der bestellten Wohnung noch vor Abend bequem machen. Betten und vieles Geschirr hatten wir mitbringen müssen. Die Einrichtungen der von den kleinen Leuten hier vermietheten Wohnungen sind mangelhaft: die Stuben aber recht freundlich, hell und geräumig. Wir liegen 500 Schritt von der See und hören das Rauschen der Wellen, aber wir sehen sie nicht, sondern müssen die Dünen übersteigen. Dagegen liegt vor uns ein enges freundliches Thal, ein Grund Wiesen und Kornfelder, drüben ein Höhenzug mit einigen Häusern und Waldungen. Es ist eine stille, idyllische Landschaft. Die eleganten Häuser liegen auf der andern Seite der uns gegenüberliegenden Höhe, welche wir übersteigen müssen, um nach dem eigentlichen Heringsdorf zu gelangen; wir wohnen schon in Neu-Krug; ganz in unserer Nähe ist das Damenbad; das Herrenbad liegt 15 Minuten von uns entfernt am Anfang von Heringsdorf. Der Strand ist nicht allein von Dünen eingeschlossen, sondern er reicht bis heran an den oben erwähnten Höhenzug, welcher von mächtigen alten Buchen bekränzt ist. Die ganze Lage bietet daher viele überraschend schöne Punkte, sowohl von der Seeseite als nach dem Lande hinein. Ein eigentliches Badeleben existirt hier nicht; die Familien leben ohne gemeinschaftliche Berufungen in den zerstreuten Häusern. Außerdem steht noch die Hälfte der Wohnungen leer und ist es daher im Ort sehr still. Nähere Bekannte haben wir bisher nicht | gefunden; in den nächsten Tagen erwarten wir aber die Assessorin Agnes Eichhorn mit ihre Kindern und wird besonders für Friederike dieses Zusammenleben recht angenehm sein. – Uebrigens ist es hier auch nicht wohlfeil; die Leute haben es gelernt, von den Fremden jeden möglichen Vortheil zu ziehen. Das Essen lassen wir uns aus dem Wirthshaus holen, weil dies das bequemste ist; Schinken, Wurst, Madeira zum bekannten zweiten Frühstück haben wir aus Berlin mitgebracht. – Friederike darf das Seebad nicht wagen; dagegen gehen ich und alle Kinder ins Wasser; selbst Clärchen, welche sehr fröhlich sich in die Wellen hat eintauchen lassen. Willi setzt seine Schwimmübungen in der See fort und ist sehr stolz auf seine Leistungen. Der Strand ist sehr schön; die reinste Sandfabrique, Lektüre habe ich mitgenommen; die Hauptbeschäftigung wird aber im Nichtsthun bestehen, und hoffe ich, daß uns Allen, auch Friederike der Aufenthalt hier recht wohl thun werde. Mit dem 5ten August geht die Miethe zu Ende und werden wir dann auch direkt nach Berlin zurückkehren. Vielleicht mache ich in der Zwischenzeit eine Excursion nach Rügen.
Während wir am Sonnabend hierher abreisten, fuhren die Eltern am Sonntag Abend nach dem Süden ab, zunächst nach Frankfurt a/M, und dann nach Badenweiler, einem anmuthig gelegenen Badeörtchen zwischen Freiburg und
Basel, wo sie mit Clara mehrere Wochen zubringen wollen. Theodor geht gleichfalls in disen Tagen wieder zu seiner | Madame Graff nach Schleitz, sodaß es auch in Potsdam ganz leer sein wird.
Meine Amtsgeschäfte habe ich in Berlin, so gut es ging, ordnen und vertheilen müssen. Da auch unser Costenoble dazwischen auf 14 Tage nach Baden-Baden zum Prinzen von Preußen geht, so werden mir in dieser Zeit die Sachen des Staatsschatzes, die keinen Aufschub gestatten, hierher geschickt werden. Eine Remuneration von 250 Talern, welche ich 8 Tage vor meiner Abreise, für diese Nebenverwaltung empfing, dekt mir die Kosten meines Seebades mit Familie und kam mir daher, obwohl erwartet, doch sehr zu rechter Zeit.
Der Vater hat den König noch vor seiner Abreise gesprochen und fand ihn sehr theilnehmend und gesprächig. Sein Zustand hat sich jedenfalls erheblich gebessert; daß er aber ganz befähigt werde, das Regieren wieder zu übernehmen, wollen nur Wenige glauben; das Gedächtnis versagt ihm doch noch öfters und es ist außerdem zweifelhaft, ob er werde geistige Anstrengungen vertragen könne. Der jetzige Zwischenzustand der Regirung wird aber immer bedenklicher, je länger er dauert.
Mit Deiner Wahl eines Hochzeitsgeschenkes für Wilhelmine bin ich ganz einverstanden und danke Dir für die Besorgung; meinen Antheil mit 6 Florin 30 Kreuzer habe ich Dir gut geschrieben. In Betreff Deiner Geldangelegenheiten bitte ich Dich mir bis zum October folgende Obligationen, deren Coupons dann zu Ende gehen und welche zur Ausweisung neuer Coupons eingereicht werden müssen, zu schicken:
In Deinen nächsten Briefen wirst Du uns wohl auch Deine Reisepläne mittheilen; bei der Nähe der Alpen mußt Du es richtig benutzen. Schreibst Du hirher, so genügt die | Adresse: Heringsdorf bei Swinemünde. Friederike sendet Euch Allen die herzlichsten Grüße. Mit dem Wunsche, daß dise Zeilen Dich, die liebe Susanne und Deine Kinder im besten Wohlsein antreffen, in treuer Liebe Dein
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Heringsdorf53.9543267,14.1673508Etwa 240 Kilometer nördlich von Berlin und etwa 100 Kilometer nordwestlich von Stettin gelegener Badeort auf der Ostsee-Insel Usedom.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Friedrich Wilhelm IV., König von PreußenFriedrich Wilhelm IV., König von Preußen11853599417951861Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861), war von 1840 bis 1858/61 König von Preußen.
Friedrich Wilhelm von Preußen11853566818311888Friedrich Wilhelm von Preußen (1831–1888), Kronprinz, siehe auch: Friedrich III.
Manteuffel, Otto Theodor11673599618051882Manteuffel, Otto Theodor (1805–1882), in Lübben im Spreewald geboren, war ein konservativer preußischer Politiker, von 1848 bis 1850 preußischer Innenminister, dann bis 1858 preußischer Ministerpräsident.
Conrady, Malchen (Amalie), verh. Meinardus-18171894Conrady, Malchen (Amalie) (1817–1894), Schwester des späteren preußischen Infanteriegenerals Emil Karl Georg Conrady (1827–1905), Freundin Friederike Hegels (1822–1861) sowie Hilfs- und Pflegeperson im Hause Flottwell in Potsdam und im Hause Immanuel Hegels in Berlin. Sie heiratete 1861 den Komponisten und Musikschriftsteller Ludwig Siegfried Meinardus (1827–1896).
Eichhorn, Agnes Elise, geb. Heffter
-18261885Eichhorn, Agnes Elise, geb. Heffter (1826–1885), Tochter des ordentlichen Professors der Rechtswissenschaft August Wilhelm Heffter (1796–1880)
an den Universitäten Bonn (1823–1830), Halle (1830–1833) und Berlin (ab 1832) und seiner Ehefrau Elisabeth (Elise) Heffters, geb. Müller (1801–1886); sie heiratete im Jahre 1845 den Juristen Wilhelm Ludwig Alexander Victor Eichhorn (1821–1850).
Hegel, Wilhelm (Willi)Wilhelm Hegel13593263718491925Hegel, Wilhelm (Willi) (1849–1925), in Berlin geborener Sohn Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels (1822–1861), Ehemann Armgard Hegels, geb. Wulffen (1862–1928), und Neffe Karl Hegels. Er war hoher preußischer Verwaltungsbeamter, u. a. von 1886 bis 1890 Landrat des Kreises Jerichow I, von 1895 bis 1905 Regierungspräsident von Gumbinnen, von 1905 bis 1908 in Allenstein, von 1908 bis 1917 Oberpräsident der Provinz Sachsen. Es war von 1887 bis 1890 Mitglied des Deutschen Reichstages und wurde im Jahre 1909 in den erblichen preußischen Adelsstand erhoben.
Flottwell, Eduard HeinrichEduard Heinrich Flottwell11663107417861865Flottwell, Eduard Heinrich (1786–1865), preußischer Staatsmann, Minister und oftmaliger Oberpräsident, u. a. von 1841 bis 1844 Oberpräsident der Provinz Sachsen, 1849/50 Oberpräsident der Provinz Preußen, 1850 Oberpräsident der Provinz Brandenburg, Schwiegervater Immanuel Hegels (1814–1891).
Graf, Caroline, geb. Wolle
-Graf, Caroline, geb. Wolle (* 1805), stammte aus Weberstadt bei Langensalza und betrieb von 1853 bis 1860 eine Kuranstalt in Schleiz. Sie ließ sich gerne mit „Madame“ oder „Frau Baron“ ansprechen, war mit ihren Kuren vor allem bei den Anhängern der traditionellen Medizin sehr umstritten, zog aber zahlreiche Patienten und Gäste aus dem In- und Ausland nach Schleiz.
Costenoble, Carl August129340530218031881Costenoble, Carl August (1803–1881), Jurist im Preußischen Staatsministerium und preußischer Finanzbeamter.
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Haff54.473099250000004,19.765124119128117Königsberg liegt am Pregel zwischen dem Frischen Haff im Süden und dem Kurischen Haff im Norden der Halbinsel Samland.
Swinemünde53.9097477,14.2510703Etwa 100 Kilometer nördlich von Stettin auf den Inseln Usedom und Wollin gelegener Ort mit Vorhafen für das landeinwärts an der Oder gelegene Stettin.
Neukrug53.95467725,14.129570587896087Ortsteil des Seebades Heringsdorf auf Usedom.
RügenIn der Ostsee vor Westpommern gelegene größte Insel auf dem Territorium des Deutschen Bundes.
Frankfurt (Main)50.1106444,8.6820917Ehemalige Reichsstadt am Main, oftmaliger Wahl- und Krönungsort der Könige des Heiligen Römischen Reiches sowie Freie Stadt innerhalb des Deutschen Bundes, dessen Bundestag sich dort versammelte. Die Frankfurter Paulskirche war von Mai 1848 bis Mai 1849 der Tagungsort der Frankfurter Nationalversammlung, die die Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849 erarbeitete. Seit dem Mittelalter war es eine bedeutende Messestadt und ein Finanzplatz mit Wertpapierbörse für den Handel mit Staatsanleihen und Aktien.
Badenweiler47.8025477,7.6739717Etwa 30 Kilometer südwestlich von Freiburg im Breisgau und etwa 30 Kilometer nördlich von Basel am Westhang des Schwarzwaldes gelegenes Heilbad.
Freiburg (im Üechtland), Fribourg46.8055656,7.1612669Hauptort des Kantons Freiburg in der Westschweiz.
Basel47.5581077,7.5878261Schweizer Stadt am Rhein, circa 150 Kilometer westlich von Konstanz am Bodensee und etwa 70 Kilometer südlich von Freiburg im Breisgau gelegen.
Schleiz50.5774374,11.80891Etwa 280 Kilometer südwestlich von Berlin und 35 Kilometer nördlich von Hof auf der Hochebene des Vogtlandes gelegene ehemalige Residenzstadt des Fürstentums Reuß-Schleiz.
Potsdam52.4009309,13.0591397Garnisons- und Residenzstadt des Königreichs Preußen an der Havel, etwa 30 Kilometer südwestlich von Berlin gelegen.
Baden47.4736827,8.3086822Etwa 60 Kilometer östlich von Basel und etwa 20 Kilometer nordwestlich von Zürich gelegene Stadt im Schweizer Kanton Aargau.
Berlin-Stettiner Eisenbahn-GesellschaftDas private preußische Eisenbahnunternehmen bestand in den Jahren von 1840 bis 1885 und betrieb die etwa 135 Kilometer lange, 1842/43 eröffnete Bahnstrecke zwischen Berlin und Stettin an der Oder.
StaatsschatzBargeld und Edelmetalle, vor allem Gold, die das Vermögen eines Staates bilden.
ObligationSchuldverschreibung für festverzinsliche Wertpapiere in der Form von öffentlichen Staatsanleihen, in der sich der Aussteller dem Gläubiger gegenüber zu einer Geldleistung mit laufender Verzinsung verpflichtet.
CouponDividendenschein bei Wertpapieren, der zur Einlösung von Gewinnanteilen oder Zinsen am Tag der Dividendenausschüttung berechtigte.
Preußische Staats-Anleihe von 1850Staatsanleihen bzw. Staatsschuldverschreibungen sind öffentliche Anleihen mit dem Staat als Schuldner. Nach der preußischen Staatsverfassung von 1850 konnten solche Anleihen für die Staatskasse nur per Gesetz ausgeschrieben werden.
StaatsschuldscheinEine vom Staat als Schuldner ausgestellte Urkunde für den Gläubiger, mit der er beweisen kann, daß der Staat sein Schuldner ist.