Ihre sehr werthvolle Sendung1 nebst Zuschrift, datiertWien 30. Mai2, habe ich erst vor wenigen Tagen bei meiner Zurückkunft von einer Ferienreise3 hier in Erlangen vorgefunden. Die Verzögerung ist dadurch entstanden, daß sie erst den Umweg über Rostock genommen – welches ich schon seit zwei Jahren verlassen habe, indem ich an die hiesige Universität gerufen wurde – und von dort auf buchhändlerischem Wege hierher gekommen ist. Es tut mir herzlich leid, daß ich so unverschuldeter Weise bei Ihnen, hochgeehrter Herr College, in den Verdacht des Undanks gekommen bin: wie sollte ich aber nicht durch Ihr gütiges Geschick und zuvorkommendes Schreiben mit dem lebhaftesten Dank erfüllt worden sein! Von Ihrem vortrefflichen, für wissenschaftliche wie Lehrzwecke gleich nützlichen Werk hatte ich bisher nur äußere Kenntniß erhalten; die Probeblätter, welche Sie mir gütigst überlassen, haben mich durch ihre Natur und Wahrheit überrascht, welche sie in der That vollkommen geeignet macht, die Originale auch für den wissenschaftlichen Gebrauch zu ersetzen. Im Fall ich zu einer neuen Bearbeitung meiner
italienischen
Städteverfassung
komme, werden sie mir sehr dienlich sein und nehme ich deshalb auch Ihr gütiges Anerbieten, noch später aufzunehmende Urkunden für mich zurücklegen zu wollen mit dem größten Danke an.
Von besondrer Wichtigkeit war mir noch Ihre Mittheilung über die Beziehung, | in welcher Sie zu dem zuerst vor ungefähr anderthalb Jahren an mich gelangten Antrage der Herrn Francesco Conti, wegen einer italienischen Übersetzung meines Buchs über die italienischen Städteverfassung4, stehen. Die Bedingungen, die ich Herrn Conti gestellt, sind Ihnen schon bekannt geworden, und es gereicht mir zur Befriedigung, daß Sie dieselben gebilligt haben. Zur näheren Erläuterung will ich jedoch noch Folgendes hinzufügen. Herr Conti war mir völlig fremd; er hat es unterlassen, sich auf Sie zu berufen; ich würde mich sonst natürlich sogleich bei Ihnen nach ihm erkundigt haben. Da ich nicht wußte, wie weit ich zu den Fähigkeiten und dem Charakter des Mannes, der mit mir in eine litterarische Gemeinschaft eintreten wollte, vertrauen durfte, so war mir doppelte Vorsicht und Zurückhaltung geboten. Und es war doch überhaupt nicht daran zu denken, daß ich eine fremde Übersetzung durch meinen Namen autorisiren würde, ohne sie zuvor genau geprüft und gebilligt zu haben! Überdies wünschte Herr Conti, daß ich seine Übersetzung, um sie noch mehr zu empfehlen, mit Zusätzen versehen sollte, unter Berücksichtigung der seither erschienenen Schriften. Zu diesem Ende hätte ich mich aber sofort einer neuen Durcharbeitung meines Werks unterziehen müssen, wozu mir damals nicht bloß die Zeit, sondern auch das litterarische Material am hiesigen Orte fast gänzlich abging. Auch bedurfte es erst noch einer Verständigung mit meinem Verleger, dem eine neue italienische Bearbeitung für den Absatz des Restes von der deutschen Ausgabe leicht zum Nachtheil gereichen konnte. Unter diesen Umständen mußte ich mir vor Allem, wenn ich mich zu der Arbeit entschließen sollte, die nöthige Zeit ausbedingen, und war es natürlich, daß ich nach einem Honorar fragte, wenn auch nicht weiter – denn ich kenne die italienischen buchhändlerischen Verhältnisse – als zur Entschädigung für die Kosten, welche mir der längere Aufenthalt bei | einer auswärtigen größeren Bibliothek verursachen würde. Hierdurch ist nun Herr Conti von weiteren Verhandlungen mit mir abgeschreckt worden, und es ist das Erste, was ich von Ihnen höre, daß der Druck seiner Übersetzung wirklich begonnen hat, dann aber ins Stocken gerathen ist. – Sehr interessant war es mir ferner von Ihnen zu vernehmen, daß eine ungenannte hohe Person eine italienische Übersetzung meines Werks und meine Betheiligung bei derselben wünsche, und sehe ich mit Spannung Ihrer versprochenen näheren Mittheilung hierüber entgegen, wobei ich nur wiederum die Verspätung Ihrer Zusendung und meiner Antwort bedauern muß, ohne welche jenes Unternehmen wahrscheinlich schon jetzt gesichert wäre und ich diese Herbstferien zu der Arbeit hätte benutzen können. –
1Es handelt sich hierbei wohl um das sehr aufwändige und kostbare Tafelwerk, das Theodor Sickel (1826-1908) im Laufe seines Gelehrtenlebens erarbeitete und veröffentlichte, dessen Grundstein mit der ersten Publikation des ersten Bandes im Jahr 1859 gelegt wurde: „Monumenta graphica medii aevi ex archivis et bibliothecis imperii Austriaci Fasc. I–X. Wien 1859–1882. Sickel war einer der ersten Historiker des 19. Jahrhunderts, der moderne Bildreproduktions-Techniken, wie z. B. die Fotographie, zur Facsimilie-Edition benutzte; in sein Leben und Werk einführend vgl. DB . 2Sonntag, 30. Mai 1858. 3Karl Hegel unternahm im August 1858 gemeinsam mit seiner Familie einen dreiwöchigen Ferienaufenthalt in der Fränkischen Schweiz, vgl. dazu vornehmlich sein Gedenkbuch:
Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch, S. 179.4Vgl. dazu auch
Hegel, Storia della costituzione
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Sickel, TheodorTheodor Sickel
HiKo
11879702618261908Sickel, Theodor (1826–1908), deutsch-österreichischer Historiker, war seit 1875 Mitglied der Zentraldirektion der MGH und dort auch Leiter der „Diplomata“-Abteililung; seit 1855 lebte er, ursprünglich geboren in Akten/Elbe, nach Forschungsaufenthalten in Frankreich (als politischer Emigrant), der Schweiz und dem damals noch österreichischen Mailand in Wien, wo er 1857 Extraordinarius wurde und Mitglied des 1854 gegründeten Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; 1867 wurde er Ordinarius, 1869 avancierte er zum Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung und blieb es bis 1891, um von da an bis 1901 das durch ihn 1881 gegründete Österreichische Historische Institut in Rom zu leiten. 1898 wurde er überdies zum Vorsitzenden der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München gewählt. Dieses Amt hatte er bis zu seinem Todesjahr 1908 inne.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
IÖGF Wien
.
IÖGF Wien1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Hegel
, Karl: Storia della costituzione dei municipi italiani dal dominio romano fino al cadere del secolo XII. Con appendice intorno alle citta’ francesi e tedeschi, Milano 1861 (= Übersetzung von Fr.
Conti
, ND Whitefish, Montana 2009).
Hegel
, Storia della costituzione
1861
Conti, Francesco-1835/361871Conti, Francesco, im 19. Jahrhundert wirkend, war wohl „Professore“ in Italien; er übersetzte Karl Hegels (1813–1901) bedeutendes zweibändiges Werk der „Geschichte der Städteverfassung von Italien seit der Zeit der römischen Herrschaft bis zum Ausgang des zwölften Jahrhunderts“, welches 1847 in Leipzig erschienen war und mit welchem sich Karl Hegel als Historiker seinerzeit seinen Namen gemacht hatte; die neue italienische Ausgabe erschien 1861 in Mailand unter dem Titel: „Storia della costituzione dei municipi italiani dal dominio romano fino al cadere del secolo XII. Con appendice intorno alle citta’ francesi e tedeschi“.
Wien48.2083537,16.3725042An der Donau gelegene Hauptstadt des Kaiserreichs Österreich.
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
Universität ErlangenDie im Jahre 1743 gegründete Universität Erlangen gewann im 19. Jahrhundert innerhalb des katholisch geprägten Königreichs Bayern durch ihre evangelische Theologische Fakultät als wissenschaftliche Ausbildungsstätte protestantischer Geistlicher für die neue, nach 1806 erst entstehende Bayerische Landeskirche eine besondere Bedeutung. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die „Erlanger Theologie“ durch große Geschlossenheit und Einheitlichkeit im Sinne des „Neuluthertums“ gekennzeichnet.
buchhändlerischAuf den Buchhandel bezogen, ihm zuzuordnen, zu ihm gehörend, ihn charakterisierend.
Original(e), Originalhandschrift(en); OriginalienUrsprüngliche handschriftliche Quelle(n); Originalschriften; Originalwerk (z. B. literarisches Werk etc.).
Geschichte der Städteverfassung von Italien, auch: Verfassungsgeschichte der italienischen StädteEs handelt sich hier um die von Karl Hegel (1813-1901) 1847 in Leipzig (Weidmann’sche Buchhandlung) publizierte zweibändige Abhandlung über die „Geschichte der Städteverfassung von Italien seit der Zeit der römischen Herrschaft bis zum Ausgang des zwölften Jahrhunderts“.
Stadtverfassung, StädteverfassungRechtskräftige Verfassung einer Stadt bzw. mehrerer Städte (Rechtswesen) insbesondere auch als Forschungsgegenstand Karl Hegels (1813-1901).
Urkunde, Urkunden, urkundliche DenkmälerAus dem Althochdeutschen von „urchundi“ für „Zeugnis“ stammender Begriff für ein historisches Dokument in Form eines geschriebenen, nicht literarischen Textes, der im engeren Sinne eine rechtskräftige Niederschrift einer schriftlichen, in bestimmter, wenn auch wechselnder Form abgefassten Erklärung über rechtliche Vorgänge darstellt, welche in der abendländischen Geschichte seit der römischen Antike belegt ist.
Gemeinschaft, litterarischeZusammenschluss zweier oder mehrerer Personen zur Erarbeitung, Umsetzung, Veröffentlichung eines gemeinsamen schriftstellerischen Unternehmens, z. B. eine gemeinsame wissenschaftliche Publikation.
autorisirenAutorisieren, genehmigen, freigeben, die Genehmigung zu etwas erteilen, z. B. die Freigabe zur Veröffentlichung einer Übersetzung seines Werkes als genehmigt und für gut befunden.
MaterialGesamtheit der Quellen, Dokumente und entsprechenden Unterlagen, die für ein bestimmtes Forschungsvorhaben die zu bearbeitende Basis bilden.
VerlegerInhaber eines Verlags, der Bücher und andere Druckwerke etc. verlegt.
Honorar, HonorarienVergütung; „Honorarien“ als veralteter Plural von „Honorar“, hier gebraucht im Sinne von Vergütung einer nebenberuflichen Tätigkeit oder einer freien Mitarbeit.
Druck, Drucke„Druck“ als Abkürzung oder Synonym für Drucklegung gebraucht, darüber hinaus auch für ein fertiges Druckerzeugnis (z. B. Kunstdruck, gedruckte Edition einer handschriftlichen Quelle etc.) stehend, somit auch im Sinne von „alte Drucke“.
Lit(t)erarische Arbeit(en), litterarische(s) Unternehmen oder HandlungSchriftstellerische Arbeit(en), häufig bezogen auf wissenschaftliche Publikationen bzw. historisch-kritischeEdition(en).
Professor, ProfeßorBerufs- oder Amtsbezeichnung und Anrede für den Inhaber einer Professur an einer Universität oder Hochschule, wobei nicht jeder Professor eine Professur bekleidet; früher auch Bezeichnung für einen Gymnasiallehrer (Gymnasial-Professor) bzw. Lehrer an einer Lateinschule.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis