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Friederike Hegel, geb. Flottwell, an Karl und Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Berlin, 26. September 1858

Meine liebe liebe Susanna und Karl

Wie habt Ihr uns in der vergangenen Woche mit Liebessendungen überhäuft! ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll zu danken – doch wohl am Ende mit den Repräsentanten Eurer eignen lieben Person – Euren lieben Bildchen, die einen lang gehegten stillen Wunsch meines Herzens erfüllt haben, den ich auszusprechen mich der Unbescheidenheit halber – fürchtete; so viel wir entscheiden können, sind sie ein treuer – wiewohl nicht, denke ich, vortheilhafter – Abdruck, der uns so lieben Physiognomien; mein lieber Karl sieht denn doch sehr viel lieber und feiner aus, als diese etwas gar zu colossalen Züge ihn uns darstellen, – aber immerhin ist er frappant in der Ähnlichkeit; Du meine traute Susanna würdest auch wunderbar gealtert haben, wie doch alle Berichte über Dich entschieden widerlegen, – aber übrigens finde ich den Ausdruck in Deinem lieben Gesichtchen sehr gut und sprechend; die guten Kinderchen sind mir nun freilich ganz fremd darin geworden. Kaum vermag ich noch Eines der alten Gesichter fremd zu erkennen, besonders Mariechen sieht ja ganz anders aus als damals, und mein Luischen hat zwar noch immer ihr feines Köpfchen und Züge, aber doch sehr verändert in der Entwickelung, ich finde jetzt sehr viel Ähnlichkeit von der seligen Mutter in ihren Zügen und auch wieder viel von Karl; Annchen ist mir, wie ein nie gesehnes Kind – und so wird sie mir auch in der Wirklichkeit erscheinen, was verändern doch 2 – 3 Jahre solch ein Kindergesichtchen – aber gar zu köstlich sieht auch der „Buberle“ aus2, dessen dicke volle Bäckchen mächtig zum Abküssen auffordern, und solch gutes liebes Gesichtchen, – ich meine recht der Mamma ihr Ebenbild, aber Hegel meint die Stirne müßte wohl Karl’s sein; – kurzum habt tausend Dank für dies liebe Geschenk, durch welches Ihr uns sehr viel Freude bereitet habt. Und nun meine Susanna kehre ich zum 21sten zurück, der ja eine ganze Bescheerung von Kindern brachte, und große Freude hervorrief! Das reizende zierliche Kleidchen wird seiner Zeit dem kleinen Pathchen3 allerliebst stehen, – vor der Hand steckt sie noch in halb langen Kleidern, weil der plötzlich eintretende rauhe kalte Herbst mir den Wechsel unmöglich machte, und leider auch ihr Befinden gar zu große ängstliche Vorsicht gebietet; – sie fängt auch noch nicht an zu Gehen Lust zu zeigen, wiewohl sie lange schon steht ganz fest, aber ihre Lebendigkeit läßt sie vor allem Hupphen und Springen, gar nicht zu einer soliden Fußbewegung kommen, dagegen sitzt sie mit Vergnügen auf der Decke und kriecht umher, aber auch noch nicht umgekehrt, – überhaupt ist sie wie solch ein Stehaufmännchen, gurgelt ewig um, und im Nu sitzt sie wieder da und hogght auf ihrem merkwürdig elastischen Gesäß, das deshalb auch in der Familie nicht anders als „der Gummiball“ heißt, wie Mariechen sich auch damals, wenn sie hingesetzt wurde, hin und her wiegte, so ähnlich macht es Anna auch, nur mit weniger Würde und Gelassenheit, – der gestrickte Tyroler ist aber ein gelungener Kerl! so Etwas originelles und praktisches sah ich wirklich noch nie, – höchst amüsant dies ansprechsame tricot! – die niedlichen Kochgeschirrchen für Clärchen haben dieser eine selige Freude bereitet! Sie war förmlich in Extase – kann sich überhaupt so nett freuen, so herzlich, stürmisch aber auch – besonders hat sie sich über das Bild gefreut, „meine Cosinen und mein Vettrer!“ ging’s den ganzen Tag. Sie konnte sich nicht satt sehen und jedem Menschen mußte sie hundertmal ihre „Cosinen“ zeigen – aber am Beßten gefällt ihr von Allen – Mariechen! ihr Ebenbild und stiller sympathischer Zug ihres Hertzens! – sie protestirt übrigens jetzt sehr gegen den Zunamen „die Dicke“, sie hört nun, daß sie sehr nascht und magrer wird, und da sträubt sich ihr Ehrgeiz gegen eine solche allgemeine Benennung. Willy’s schönes Taschenmesser füllte natürlich eine so eben entstandene Lücke, von einem 8 Tage besessenen und verlorenen Messer, wieder auf das Beglückendste aus, und er stimmte durch mich seinen – jedenfalls tief gefühlten aber immer auch wortreichen Dank! – Diesen Augenblick ist er zum Examen abgezogen, und wir sind in großer Spannung ob und daß er jetzt nach Quinta versetzt wird, – er wäre sehr niedergeschlagen sollte die Hoffnung sich nicht realisieren, auch für den Lerneifer nicht vortheilhaft, da er eigentlich auf Sexta fertig ist, und er durch das bloße Wiederholen doch ermüdet und unlustig wird, – aber das ganze Institut, – unser neues Gymnasium (eine filial des Joachimthal’schen) ist noch rigoros streng und pedantisch; und der Junge ist leider so sehr leicht zerstreut und faselig, und läßt sich dann die beßten Antworten von Anderen wegnehmen, während er sie hier bei Papa vollkommen fest und sicher weiß; – die Stetigkeit und Ruhe fehlt ihm noch so sehr.  

Ich hätte noch so viel zu schwatzen, doch Hegel treibt zum Schluß, – aber noch Eines, ich bin ganz stumm vor Erstaunen, daß Kiesers ihre Tochter nach einem 4 Institut geben! ich dachte, da gäb es nichts als Löhe und Diakonissen? – auch daß die arme Caroline5 noch wieder fort muß, thut mir leid! – denn 6 Weber ist ja Diacon bei Löhe geworden und hat sich mit einer Nichte von 7 verlobt, die in Dettelsau war einige Zeit, und dort sehr geliebt war, Marie Schmidt aus Leipzig.

Die Kinder kommen Jedes mit der Bitte um einen besonderen Gruß, Clärchen à la Tête; sehr grüßen laßen die Tante und meine Cosinen. – Sie ist ordentlich stolz auf diese neue Entdeckung – denn die Anschauung hat doch erst das Gefühl erweckt.

Und nun auf dem äußersten Plätzchen laß Dir meine herzlichste Susanna ein inniges Lebewohl sagen – grüße den lieben Karl und küße die Kinder allesammt und laß sie die Berliner Tante nicht ganz vergeßen! Nun Gott befohlen

Deine Friederike