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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 5. Oktober 1858

Lieber Karl!

Eure freundlichen Glückwunschbriefe waren die ersten, welche mich an meinem Geburtstage1 Morgens begrüßten und ich sage Euch für Eure liebevollen Wünsche für mich und mein jüngstes – noch namenloses – Töchterlein meinen innigsten Dank. Letzteres feiert heute den Beginn der dritten Lebenswoche und hat Ursache dazu, dies zu thun, weil die zweite Lebenswoche schmerzensvoll und gefahrdrohend für sein junges Leben war. Es stellte sich nemlich plötzlich an seinem linken Schenkel ein Geschwür ein, welches sehr um sich griff und stark eiterte, eine Entzündung des Zellgewebes oder falsche Rose2. Böhm machte zwei tiefe Einschnitte und durch sorgsame Behandlung ist es jetzt schon mit Gottes Hülfe fast ganz wieder beseitigt. Unter disen Umständen hat das kleine Wesen nicht an Kräften zunehmen können; doch ist es nicht gar zu sehr abgefallen und schaut nun wieder mit seinen Aeuglein klar und neugierig umher. Friederike hat auch das Bett noch nicht verlassen können; am 3ten und 4ten Tage hatte sie Wechselfieber, welches aber glücklich überwunden wurde, so daß sie am Ziel der letzten Woche sich recht wohl und behaglich fühlte. Darauf stellte sich aber eine starke Migraine ein, verbunden mit rheumatischen Schmerzen im Gesicht, und dise Plagen haben die ganze Woche hindurch gedauert und sie sehr angegriffen, da sie auch dabei nur äußerst wenig genießen konnte. Im Uebrigen sind die Nachwirkungen der Entbindung ganz beseitigt, und da auch kein Fieber vorhanden ist, so liegt kein Grund zu weiterer Besorgniß vor; ihre nervöse Reizbarkeit und ihre Neigung zu Rheumatismus verzögern aber auch diesmal ihre rasche Genesung. Seit gestern ist ihr Zustand leidlich und bleibt nur zu hoffen, daß die Affektion des Kopfes allmählich ganz verschwindet.

Heute hat uns nun auch die treue Klarine verlassen müssen, weil sie in ihr Stift zurückzukehren genöthigt war. Sie hat uns recht treulich unterstützt. Ich hoffe, daß meine Schwägerin Clara zur Hülfe und Pflege nun auf einige Zeit zu uns kommen wird. Flottwells kehren mit ihr heute Abend von einem Besuch in Politzig bei Oppens, den künftigen Schwiegereltern von Adalbert zurück. Wir hatten selbst dahin gewirkt, daß sie disen Besuch nicht aufgaben, damit die Mutter nicht Veranlassung nahm, sich bei der Pflege zu betheiligen, welcher Aufgabe sie doch nun nicht mehr gewachsen ist. Sie reisten auch in den guten Tagen der ersten Woche, und nahmen meine Marie mit, die dadurch für die Ferien versorgt war.

Mit der Amme werden wir nun rasch eine Veränderung vornehmen, sobald wir erst eine bessere werden gefunden haben.

Die älteren Kinder sind ganz munter; Willi hat jetzt auch Ferien und ich pauke ihn noch scharf im Rechnen mit benannten Zahlen ein, damit er auf Sexta 3 kommt, welche jetzt in dem 4 seit Ostern besteht.

Von der lieben Tante Marie habe ich auch einen sehr herzlichen Brief aus dem schönen Simmelsdorf erhalten, in welchem sie ihre mütterliche Theilnahme ausdrückt. An Eurem schönen Aufenthalt in dem lieben Simmelsdorf haben wir uns sehr erfreut und Deine Erzählung von Euren Wanderungen in der schönen Umgebung mußte in mir die lebendige Erinnerung an frohe dort verlebte Tage wecken. Ich wünsche von Herzen, daß Du eine nachhaltige Erfrischung von dieser angenehmen Ferienzeit zurückbehalten und auch den kritischen Beginn des neuen Semesters mit ruhigem Gemüth überstehen möchtest.

Ich nehme an, daß Du nun schon wieder von der historischen Konferenz5 in München zurückgekehrt sein wirst und sende Dir daher die gewünschten 4 Leipziger 6 Stammaktien mit dem anliegenden Konto von dem letzten Abschluß am 16ten April circa bis jetzt, aus welchem Du auch den Resultat der Umtauschgeschäfte ersehen wirst. Die 4 Aktien waren nicht hier zu kaufen, wo sie nicht in den Verkehr kommen, sondern mußten aus Leipzig verschrieben werden, daher dann Cours mit Porto, Provision und Courtage auf 268% zu berechnen war. Die verkauften Papiere sind, wie üblich, nach dem Geldkurs des gestrigen Tages berechnet. Gegen den Ankauf der Stammaktien habe ich kein andres Bedenken, als gegen jede Spekulation erhoben werden kann; es ist mehr , aber auch mehr Gewinn in Aussicht. Die Leipziger sind jedenfalls sehr solide und der jetzige Kurs verhältnißmäßig mäßig und verspricht gute Zinsen, wie sie bei den festen Proritäten und den Staatspapieren nicht erwartet werden können.

In der Regentschaftsfrage wird täglich eine Entscheidung erwartet; der Prinz und das Staats-Ministerium verlangen die Einsetzung der Regentschaft: die Königin hat sich auch endlich dazu verstanden und sucht einen günstigen Moment beim König zu erwarten, um ihn zur Unterzeichnung einer entsprechenden Ordre zu bewegen. Derselbe ist jedoch darauf gar nicht vorbereitet und es fürchtet daher die Königin einen nachtheiligen Einfluß auf seinen Zustand. Es ist die Absicht, nach Meran, dann nach Comer See und endlich nach Palermo zu gehen.

Friederike sagt Euch die herzlichsten Grüße, und sehnt sich nach der Zeit, sie selbst beantworten zu können.

Mit den treuesten Wünschen

Dein Immanuel