Berlin den 18ten October 1858.
Mein lieber Karl!
Dein lieber Brief hat mir große Freude gemacht, indem ich den innigsten Antheil an der bedeutenden und ehrenvollen Aufgabe nehme, welche Dir auf der historischen Konferenz in München übertragen worden ist. Aus dem mir bezeichneten Artikel in der Augsburger Allgemeinen
Zeitung habe ich über die Bestimmung und die Zwecke der von König Max ins Leben gerufenen historischen Kommission und über die bei ihrer letzten Berathung aufgestellten Richtungen ihrer Thätigkeit mich näher unterrichtet und muß ich das große Interesse und die Anerkennung theilen, welche die geistvolle Anregung dieses Unternehmens gefunden hat. Es wäre auch eine große Schwäche, wenn wir in Preußen darauf mit Neid oder dünkelhaftem Mißtrauen hinblicken wollten; für Deutschland ist es gewiß ein unschätzbarer Gewinn, daß das geistige und wissenschaftliche Streben dort in Bayern einen kräftigen Schutz gewonnen hat. So viel ich es beurtheilen kann, ist Dir von der Kommission ein Feld angewiesen worden, auf welchem Du Dich schon eingebürgert hast und gewiß nicht bloß mit zuversichtlicher Freude, sondern auch mit rühmlichem Erfolg fortarbeiten wirst. | Es scheint mir, daß die Kommission Dir mit glücklichem Griff das gegeben, was Dir jetzt eigentlich fehlte, nemlich eine bestimmte Aufgabe und festen Zielpunkt Deines wissenschaftlichen Berufs, und wenn auch die Aufgabe äußerlich sich als sehr vielschichtig darstellt und Dich in sehr spezielle und mühsame Forschungen hineinführt, so werden Dir aus diesem Material doch auch allgemeinere Resultate und Ueberblicke hervorgehen. Insbesondere scheint es mir ein Gewinn, daß Du damit eine Aufforderung und ebenso eine Berechtigung, wie eine Verpflichtung bekommen hast, an verschiedenen Orten und Stellen Forschungen anzustellen, welchen Du, wenn sie nur einem persönlichen Zwecke dienen sollten, Dich vielleicht mit Widerstreben unterzogen hättest. Jetzt kannst Du mit einer gewichtigen Autorisation auftreten und da werden sich Dir alle Pforten um so leichter öffnen. Von der Hoffnung, daß Deine Arbeit Dich auch hierher zu uns führen möchte, will ich für jetzt noch gar nicht reden.
Auch Deine weiteren Mittheilungen von Deinem Münchener Aufenthalt waren für mich sehr anziehend; es hängt dort ein reiches und genußvolles Stück meines Lebens, an welches ich nur mit herzlicher Bewegung denken kann. Fast erschrecke ich aber, wenn diese Bilder an mir vorübergehen, über den Abstand des Gefühls, des Sinnes und der Interessen von damals und jetzt; es sind zwei verschiedene Menschen, von welchen dem einen nur zuweilen eine Sehnsucht nach dem anderen | anweht; dort der Genuß des Lebens und der Kunst in harmloser Lust, hier die rastlose Arbeit des Tages in dem nüchternen Ernst der praktischen Interessen, mitten in dem Gewirr und Gewühl des menschlichen Treibens. An Lebenserfahrung giebts genügenden Stoff; um sich davor zu retten, und um sich selbst über Wasser zu halten in dem Widerstreit und den Versuchungen dieses Lebens, hat man nur das Bedürfnis sich auf sich selbst zurückzuziehen und in dem Tumult möglichst unangefochten seinen strikten Weg zu gehen.
Diese Schilderung geht vielleicht mehr auf die Zukunft, welcher wir entgegengehen und deren gährende Anfänge sich jetzt drohend ankündigen. Hoffentlich wird es nicht wie bei der Austria hergehen, daß Capitain und Steuermann kopflos ihren Posten verlassen; aber ein sicheres Vertrauen zur geschickten Führung unsrer Offiziere kann man auch nicht haben. Der arme Vater ist nun auch zum Mitsteuern berufen worden. Ich hoffe und wünsche sehr, daß nach dem nächsten Landtag und nach definitiver Konstituierung der Regentschaft er sich wieder auf sein Ober-Präsidium zurückziehen möchte, wo er in gewohnter Thätigkeit auch noch als Jubilar zu voller Befriedigung wirken kann. Das Ministerium übersteigt aber, namentlich in diser Uebergangsperiode, bei seinem hohen Alter seine Kräfte und er würde sich bald aufgerieben haben; er ist dabei zu erregbar und leidenschaftlich, und der modernen Generation mit ihrem Parlamentarismus und dem damit unvermeidlich verknüpften Parteitreiben und Intri- |guenwesen fremd, da paßt er nicht mehr hinein und würde er ohne Schlangenklugheit in den Schlinggewächsen verfangen. Dem Minister des Innern insbesondere ist von seinem Vorgänger, Westphalen, eine sehr üble Erbschaft hinterlassen worden, indem sich von allen Seiten eine mächtige Reaktion gegen die bisherige innere Politik erhebt, welche in das richtige und gemessene Bett der gedeihlichen politischen Entwicklung einzulenken, sehr schwierig sein wird. Dazu wird nicht bloß allgemeines persönliches Vertrauen, sondern auch eine große Ruhe und Festigkeit und ein klarer politischer Blick erforderlich sein. Meines Erachtens wäre es ein großes Unglück und der Anfang neuer Verwirrungen, wenn man jetzt dem liberalen Programm ebenso abstrakt und theoretisch nachfolgen wollte, als bisher das reaktionaire Programm geherrscht oder vielmehr zu herrschen versucht hat. Die Gesetzgebung war viel zu fruchtlos; wir bedürfen im Innern aber Ruhe und Stetigkeit und es kommt darauf an, die praktischen Bedürfnisse unbefangen aufzufassen und nur, wo diese es verlangen, der eigenen Entwicklung der öffentlichen Zustände nachzuhelfen. – Ob der Prinz-Regent nach dem nächsten Landtag weitere Minister-Veränderungen vornehmen wird, weiß kein Mensch; ich glaube, daß sich darin weniger verändern wird, als manche wünschen und erwarten. Jedenfalls wird der neue Landtag im künftigen Jahr aber eine große Feuerprobe für die Regierung sein und eine folgenreiche Bedeutung für Preußens Geschichte haben. Außerdem wirds dabei viel Konfusion, Dampf und Unrath geben.
Heute bin ich einmal ungewöhnlich politisch geworden und habe für meine häuslichen Verhältnisse gar keinen Raum übrig behalten. Meine Schwägerin Clara hat aber einen Brief an die liebe Susanna angefangen, welchen sie abbrechen mußte, weil sie heute Mittag nach Potsdam fuhr und erst morgen Nachmittag | wiederkommt. Ich werde denselben vollenden und beifügen. – Mit den treuesten Wünschen Dein
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut: 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Eine Chronik, München 2008.
Neuhaus
, 150 Jahre Historische Kommission
2008
Schieffer, Rudolf: Mittelalterliche Geschichte, in: „… für deutsche Geschichts- und Quellenforschung“. 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Lothar Gall, München 2008, S. 59-78
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Schieffer, Rudolf: Mittelalterliche Geschichte, in: „… für deutsche Geschichts- und Quellenforschung“. 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Lothar Gall, München 2008, S. 59-78.
2008
Der Untergang des Hamburgischen eisernen Schraubendampfschiffes „Austria“, in: Die Gartenlaube, Leipzig 1858, Heft 44, S. 631-636, und Heft 45, S. 644-648
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Der Untergang des Hamburgischen eisernen Schraubendampfschiffes „Austria“, in: Die Gartenlaube, Leipzig 1858, Heft 44, S. 631-636, und Heft 45, S. 644-648
18858
Kludas, Arnold: Die Geschichte der deutschen Passagierschiffahrt, Bd. 1: Die Pionierjahre 1850-1990, Hamburg 1968
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Kludas
, Passagierschiffahrt
1968
Kludas
, Arnold; Heine, Frank; Lose,, Frank: Die großen Passagierschiffe der Welt, Hamburg 2002.
Kludas
, Passgierschiffe
2002
Kludas
, Arnold;
Bischoff
, Herbert: Die Schiffe der Hamburg Amerika-Linie 1847-1906, Herford 1986.
Kludas/Bischoff
, Schiffe der Hamburg-Amerika-Linie
1986
Maximilian II. Joseph von Bayern, König von BayernMaximilian II., König von BayernKönig von Bayern11857934718111864 Maximilian II. Joseph (1811–1864), war von 1848 bis 1864 König von Bayern und Gründer der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Flottwell, Eduard HeinrichEduard Heinrich Flottwell11663107417861865Flottwell, Eduard Heinrich (1786–1865), preußischer Staatsmann, Minister und oftmaliger Oberpräsident, u. a. von 1841 bis 1844 Oberpräsident der Provinz Sachsen, 1849/50 Oberpräsident der Provinz Preußen, 1850 Oberpräsident der Provinz Brandenburg, Schwiegervater Immanuel Hegels (1814–1891).
Westphalen, Ferdinand Otto Wilhelm11732732817991876 Westphalen, Ferdinand Otto Wilhelm (1799–1876), in Lübeck geborener Verwaltungsjurist und preußischer Politiker, der nach seinem Studium an den Universitäten Halle, Göttingen und Berlin seine berufliche Karriere in der preußischen Verwaltung begann. Von 1850 bis 1858 war er preußischer Innenminister, bis 1854 zugleich preußischer Landwirtschaftsminister, bevor ihn Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865) für zehn Monate als Innenminister ablöste.
Friedrich Wilhelm von Preußen11853566818311888Friedrich Wilhelm von Preußen (1831–1888), Kronprinz, siehe auch: Friedrich III.
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Preußen, Prusse Königreich Preußen (französisch: Prusse), auch Ostpreußen als östlichste Provinz des Königreichs.
DeutschlandKulturgeschichtlich ist damit der Raum deutscher Nation und Sprache gemeint, wo „Teutschland“ im Laufe der Frühen Neuzeit eine Kurzbezeichnung für das „Heilige Römische Reich teutscher Nation“ wurde. Im 19. Jahrhundert wurde „Deutschland“ immer mehr zur inoffiziellen Bezeichnung für die deutschsprachigen Gebiete Mitteleuropas, zunächst das Gebiet des 1815 gegründeten Deutschen Bundes, dann des 1871 gegründeten Deutschen Reiches.
Bayern (Baiern)Das Königreich Bayern bestand von 1806 bis 1918.
Potsdam52.4009309,13.0591397Garnisons- und Residenzstadt des Königreichs Preußen an der Havel, etwa 30 Kilometer südwestlich von Berlin gelegen.
Historische Commission/Kommission, MünchenIm Jahre 1858 in München auf Anregung des Berliner Historikers Leopold Ranke (1795-1886) vom bayerischen König Maximilian II. Joseph (1811-1864) bei seiner Akademie der Wissenschaften gegründete Institution zur Erforschung der deutsche Geschichte.
Augsburger Allgemeine (Zeitung)Die von Johann Friedrich Cotta (1764-1832) im Jahre 1798 in Tübingen gegründete „Allgemeine Zeitung“ erschien von 1807 bis 1882 in der alten Reichsstadt Augsburg und entwickelte sich zur bedeutendsten deutschsprachigen Tageszeitung. Ab 1882 wurde München ihr Redaktionsort.
Landtag (Königreich Bayern)In der Verfassung des Königreichs Bayern von 1818 wurde die „Stände-Versammlung“ ab 1848 „Landtag“ genannt. Der bayerische Landtag bestand aus zwei Kammern, der „Kammer der Reichsräte“, der Vertreter des Adels, der Geistlichkeit und vom König ernannte Personen angehörten, und der vom Volk nach dem Zensuswahlrecht gewählten „Kammer der Abgeordneten“.
RegentschaftVerfassungsrechtlich festgelegte stellvertretende Ausübung der Herrschaft für einen Monarchen, der diese nicht selbst ausüben kann, weil er noch minderjährig ist, weil er aus Krankheitsgründen regierungsunfähig ist oder weil er sich außer Landes aufhält.
RegentInhaber einer Regentschaft.