Durch Deinen und der lieben Susanna herzlichen Brief1 habt Ihr uns große Freude gemacht, und danken wir Euch innigst für Eure geschwisterlichen Wünsche und die freundliche Taufgabe, welche Ihr unserm Kindlein und den Mitgevattern nach alter Nürnberger Sitte dargereicht habt. Der Taufdukaten soll ihm treulichst bewahrt werden und wird, so Gott das Kind am Leben erhält und nach unsern und Euern Wünschen zu Seiner Ehre und unsrer Freud gedeihen läßt, ihm gewiß stets ein theures Andenken bleiben. Leider haben wir die Taufe noch weiter aufschieben müssen, sonst würde ich Euch schon Nachricht gegeben haben. Friederike ist von Neuem so heftig von ihrem alten Rheumatismus in der Brustseite befallen worden, daß Böhm, um einer Entzündung vorzubeugen, Blutegel für nöthig hielt, um so mehr, da auch Fieber eingetreten war; sie liegt nun wieder seit mehreren Tagen zu Bette; die Schmerzen sind zwar ge- ringer; sie hat aber noch keinen freien Athem und kann sich nicht ohne Schmerz bewegen; auch ist der Puls noch immer nicht ganz fieberfrei, wenigstens zeitweise. Es ist dies für sie und uns Alle wieder eine wahre Prüfung, daß wir so den Winter beginnen müssen; mit der Entbindung hat der Zustand nichts zu thun; diese ist längst an sich überwunden; aber ihre große Reizbarkeit und Empfindlichkeit gegen alle äußeren Eindrücke tritt von Neuem hervor. Es wird ihr schwer, festliegen zu müssen, da die Pflichten für Kinder und Hausstand sich nun noch vermehrt haben; sie trägt es aber mit Ergebung in Gottes gnädigen Willen und weiß Seine Wege darin zu erkennen. Für mich erhöhen sich dadurch auch die häuslichen Sorgen und es wird mir auch nicht immer leicht, dieselben mit den äußeren Ereignissen und ungewöhnlichen Anforderungen, die diese bewegte Zeit mit sich bringen, zu vereinigen. Ich bin nur froh und herzlich dankbar, daß die Kinder wohl und munter sind; doch bedürfen sie immer der Ueberwachung, damit sie in Ordnung bleiben. Die Kleine nimmt auch recht erfreulich zu und mit der Amme, die wir jetzt haben, sind wir ganz zufrieden. Bis morgen haben wir noch die Wartefrau behalten; länger kann sie nicht bleiben. Clara mußte auch der Mutter wegen wieder nach Potsdam, um so mehr, als sie selbst immer sehr der Schonung bedarf. Es steht ihnen nun der schwere Umzug bevor, den sie Ende dises Monats vornehmen wollen. Sie trennen sich sehr ungern von dem freundlichen Potsdam, von der gemüthlichen Wohnung, dem anmuthigen Garten, was sie nun mit dem gräuslichen Hotel unter den Linden2 hier vertauschen sollen. Nicht minder jammern meine Kinder, daß ihnen nun ihr schönes Potsdam verloren geht. Für mein häusliches Leben ist die Veränderung keineswegs vortheilhaft; es wird von der Unruhe des Flottwellschen Hauses und seinen Ansprüchen, Sorgen etc. stärker berührt werden, als in meinen Wünschen liegen kann. Doch treten dise Betrachtungen alle zurück, gegen die große und schwere Aufgabe, welche der gute Vater übernommen hat, und in der er, wie ich besorge, sich bald aufreiben wird und seinem Charakter nach sehr leicht scheitern kann. Er war unbedenklich in Potsdam ganz an seiner Stelle; als Minister des Innern3 fehlt ihm aber die politische Voraus- und Vorsicht; er ist ein Mann der Verwaltung, nicht aber der Politik; in der Politik fehlt ihm die Ruhe und Festigkeit; er bewegt sich darin mit Naivität und sanguinischer Auffassung; er gehört einer früheren vergangenen Zeit an, deren Gewohnheiten und Anschauungen für heute nicht mehr passen. Wir haben uns daher alle verpflichtet gesehen, ihm sehr abzurathen; er war auch Willens, die definitive Anstellung nicht anzunehmen, ließ sich aber doch durch den dringenden Wunsch des Prinz-Regenten bestimmen. Sehr lange wird es nicht dauern, ich würde froh sein, wenn ein Jahr und er sich dann mit Befriedigung in den Ruhestand zurückziehen kann. Ich bin über diese Veränderung recht mit Sorge erfüllt, um so mehr als ich ihn, der in Gemüth und Gesinnung, im Geist so reich und wundervoll ausgestattet ist, so sehr liebe und verehre. Sein geachteter Name, von gutem Klang in weiten Kreisen ist unstreitig für das Ministerium ein großer Gewinn; seine Offenheit und Würde der Person wird ihn mit Hülfe seiner Zuversicht auch über vieles Bedenkliche hinwegführen, aber in der Politik und im parlamentarischen Leben hört die Gemüthlichkeit auf und gilt keine Nachsicht oder Rücksicht.
Ueber den Abgang des alten Ministeriums4 und die Stärken des neuen hätte ich Dir wohl vieles zu sagen, muß mich aber doch auf weniges beschränken. Der Entschluß des Prinz-Regenten zu solcher Veränderung kam aller Welt unerwartet, weil man ihm die Entscheidensfreiheit und die entsprechende politische Richtung nicht zutraute. Gegen das alte abgegangene sind jetzt die Schleusen des Taktes und der Leidenschaft losgelassen; ich habe nicht den Beruf, es in Allem zu vertheidigen; die Tadel fielen wahrscheinlich auf den König, welcher mit ihm 8 Jahre lang regiert hat. Vieles, was er im Einzelnen geleistet, wird später zu einer größeren Anerkennung kommen, wenn das neue Regiment erst sein Lehrgeld gezahlt haben wird. Die schwächste Seite war freilich der Minister von Westphalen, der als Werkzeug der wichtigsten Krefte und bei großem persönlichen Ungeschick und beschränktem Geist großen Schaden angerichtet und dem neuen Minister5 des Innern einen schlimmen Nachlaß vererbt hat. Manteuffel war ein Mann von großem geistreichen und klaren Verstand und gewandtem Geist, der bei seltener zäher Ausdauer dem König gegenüber die Aufgaben erfüllte, durch negatives und diplomatisches Verhalten Uebereilungen und Thorheiten zu verhüten und das Staatsschiff im ruhigen Flußbett zu erhalten.6 Beim König war übergroßer Ideenreichthum, beim Prinzen von Preußen ist aber das Gegentheil; zu diesem paßte daher Manteuffel mit seinem verschlossenen Wesen nicht. Er hatte daher auch kein persönliches Vertrauen zu ihm und diese Abneigung wurde durch die zahlreichen persönlichen Gegner und verläumderischen Gerüchte über Manteuffel verstärkt. Manteuffel hatte manchen an seiner Seite und in seiner Nähe stürzen lassen, ohne nur die Hand nach ihm zu bewegen; auf seine Freundschaft und Hülfe in der Noth, auf seine Treue war nicht zu rechnen; sie waren ihm alle nur Werkzeuge und Mittel zu seinem Zwecke. Manche von diesen sind jetzt in dem Vertrauen des Regenten, und wenn auch mit Rücksicht auf die Bedeutung, das Ansehen und die unläugbaren großen Verdienste von Manteuffel, auch die Rücksichten der Dankbarkeit für die Umsicht und das Geschick, mit welchen er vornehmlich die ganze Regentschaftsfrage trotz aller gefährlichen Klippen zur glücklichen Lösung gebracht hat, der Regent geneigt gewesen wäre, ihn zu behalten und Manteuffel auch vielleicht mit jenen Männern zu einem neuen Ministerium sich vereinigt hätte; letztere lehnten es entschieden ab, mit ihm zusammenzugehen. Dazu kamen jene verläumderischen Gerüchte über Börsengeschäfte und andere Mittel der persönlichen Bereicherung, welche ich meinerseits für unwahr halte. Es ist aber richtig, daß er manche anrüchige Personen an sich hat herankommen lassen, von denen er sich Neues hat erzählen lassen, ohne zu bedenken, daß schon der Verkehr mit solchen Individuen, milde gesagt, gefährlich für den eigenen Ruf ist. Er wollte sie vielleicht gelegentlich gebrauchen; sie haben aber mit seinem Namen zu eigenem Vortheil oder aus Eitelkeit Geschäfte gemacht. Er hat anscheinend seine Verabschiedung nicht erwartet; von den andren Ministern erwarteten sie wohl mehrere; sie wollten aber den Abschied nicht nachsuchen, sondern ihn erhalten. Raumer hat ihn persönlich für sich nachgesucht. Abgesehen von der Personalfrage, wird man es nicht tadeln können, wenn das Staats-Ministerium von seinem Standpunkte aus in dem mehrfach besprochenen letzten Bericht dem Regenten von einem Systemwechsel und einer Veränderung des ganzen Ministeriums abgerathen hat. Ob er den Rath annahm, das war seine Sache. Eine bestimmte Veranlassung für das Ministerium seinen Abschied zu nehmen, namentlich nach den frühen huldvollen und dankbaren Eröffnungen des Prinzen, lag nicht vor; und es ist auch nicht recht abzusehen, warum der Prinz Anstand nahm, wenn er eine totale Umänderung vornehmen wollte, selber dazu die Initiative zu ergreifen. Nun ist es fort und ein Anderes ist da; indessen lag doch dem Prinzen schließlich viel daran, nicht ein ganz neues Ministerium herzustellen, sondern ein Stück beizubehalten, um die Kontinuität – das war seine ausdrückliche Absicht – mit dem alten zu erhalten; er hat fast mit Gewalt die beiden von der Heydt und Simons in das Neue herübergeführt. Ob dies klug gehandelt und von langer Dauer sein wird, kann man bezweifeln.
Ein gewagtes Experiment ist die Bildung des neuen Ministeriums und gehörte viel Muth oder leichter Sinn dazu. Der Fürst von Hohenzollern ist ein Mann von Geist und Humor; ob er aber Staatsmann ist und grad für Preußen der geeignete Lenker, muß sich erst erproben.7 Ich halte es für einen Anstoß, daß er Katholik ist, mag er auch aufgeklärt sein. Preußen muß in seiner Spitze die protestantische Signatur tragen. Die Katholiken werden damit nicht gewonnen, sondern nur aufgefordert, ihre Ansprüche mit mehr Nachdruck geltend zu machen. Für den Fürsten liegt in seiner distinguirten Stellung die Versuchung, daß er sich verpflichtet halten kann, durchaus etwas Ruhmvolles zu leisten, und wenn der Regent seine Bahnen für gefährlich hält, wird es für ihn schwer sein, sich eines Minister-Präsidenten zu entledigen, welcher Fürst und sein Verwandter ist. – Seine Persönlichkeit ist sehr einnehmend und fällt sehr ins Gewicht; ich hatte bei meiner Vorstellung mich eines sehr artigen Empfangs zu erfreuen; ein regelmäßiger Geschäftsverkehr hat sich noch nicht eingeleitet. Die Seele, wie man zu sagen pflegt, des Ministeriums ist Herr von Auerswald, mein erster Minister-Präsident8; der liebenswürdigste Mann im Umgang, den ich kenne; er besitzt das intimste Vertrauen des Regenten; ohne eigent- liches Portefeuille9 ist ihm nur die Verwaltung des Staatsschatzes und die Central-Preßstelle (außer der hofangewandten Verwaltung) übertragen und in beiden Beziehungen mein Spezialchef; er zieht auch in unser Ministerium. Der Verkehr mit ihm ist ebenso angenehm, als interessant; dagegen wird seine staatsmännische Befähigung bezweifelt nach seinen Leistungen im Jahre 1848, welche jedoch oft unterschiedlich beurtheilt werden; man darf aber wohl sagen, daß ihm mehr leichter Sinn, Erfassen des Augenblicks und Talent diplomatischer Vermittlung, als gediegener Ernst, ausdauernde Festigkeit und weitsichtige Politik beiwohnt. –
Die Aenderung des Ministeriums mit ausgesprochenem Systemwechsel fällt nun zugleich in die Periode der Wahlen10; die Wogen gehen wieder stark; die Demokraten, welche stumm waren, tauchen an allen Ecken auf; im Proletariat werden alte und neue Hoffnungen und Gespräche rege. Auf der andern Seite der große ländliche Grundbesitz, durch Patow in der Grundsteuer, Ortspolizei etc. bedroht, in fester Einigkeit als Opposition geschaart. Es wird nicht leicht sein, für die Regierung in dieser Gährung und Verwirrung sich einen festen Boden zu schaffen und eine klare Position zu gewinnen. Der allgemeine, unbestimmte Liberalismus und Konstitutionalismus reicht da nicht aus: Es gilt eine verständige und dem Fortschritt geneigte Politik im Innern und nach Außen, ohne Fantasien und unpraktische Zwecke mit einer festen und kräftigen Regierungsgewalt, wie sie für Preußen in seiner zerrissenen Gestalt, mit seinen 7 Millionen Katholiken und zwischen mächtigeren Nachbarn nothwendig ist, zu vereinigen. Ob der Prinz-Regent dazu den Geist und die Kraft und Ausdauer haben wird, auch wenn die Gegensätze mächtiger, und die Verhältnisse wirrer werden und manche Täuschungen sich herausstellen? – Zeigt er sich der schwierigen Aufgabe, die er übernommen und prorogirt hat, nicht gewachsen, so wird man beklagen müssen, daß er nicht mit langsamerem und andächtigerem Schritt sein Regiment begonnen, um so mehr als er nicht König, sondern nur Regent ist.
Meine persönliche amtliche Stellung wird vermuthlich und wenigstens vorläufig keine Veränderung erfahren; ich mach mir darüber auch keine Sorgen.
Mit den treuesten Wünschen und Grüßen Dein Immanuel
P. S. Bei Mittheilungen aus meinen Briefen an Aegidi bitte ich Dich, vorsichtig zu sein; er ist zu intim mit Auerswald und zu sehr Sanguiniker und möchte davon an Auerswald verlauten lassen, was leicht Miß- verständnisse und Mißtrauen erregen könnte, obwohl ich mein Urtheil zu vertreten jeder Zeit bereit bin.