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Karl Hegel an Georg Waitz, Erlangen, 21. Februar 1860

Verehrter Freund!1

Ihre eingehende Erwiederung auf meine Anfrage ist mir sehr willkommen und lieb gewesen2, und ich komme nun um so früher darauf zurück, als ich so eben Antwort von Grimm3 aus Berlin erhalten habe, der mir schreibt, daß er mir keinen deutschen Philologen zu empfehlen wisse, sich auch vergebens bei Anderen danach erkundigt habe. Ich würde mich nun selbst an Müllenhoff und Haupt wenden, wenn ich nicht annehmen müßte, daß Jacob Grimm bereits mit ihnen deshalb gesprochen. Doch sicher ist dies immerhin nicht, da man nicht weiß, wie die Herren mit einander stehen, und es wäre mir daher ein rechter Gefallen, wenn Sie wozu Sie sich freundlich bereits erklärt haben, an Müllenhoff schreiben wollten: für mich ist es einigermaßen peinlich bei Jemand, den ich nicht kenne, noch eine voraussichtlich vergebliche Anfrage zu thun, und ich möchte zugleich Jacob Grimm, den ich so hoch verehre und liebe, nicht Anlaß geben, mir etwas übel zu nehmen.

Übrigens lasse ich den von Ihrem Collegen Müller empfohlenen Götzinger nicht unberücksichtigt: Der wäre doch wahrscheinlich zu haben und man könnte es immer mit ihm versuchen. Nur will ich erst die näheren Mittheilungen abwarten, um die ich Sie weiterhin bitte, über seinen Studiengang, über seine Persönlichkeit und wie er sich im Examen gemacht hat. Da er aus Schaffhausen ist, so wundert mich, daß Wilhelm Wackernagel mich nicht auf ihn aufmerksam gemacht hat4, also ihn wohl nicht kennt. Was die Persönlichkeit betrifft, so geht sie mich in so weit an, als ich nicht allein einen soliden, zuverlässigen und fleißigen Mann, wie auch einen umgänglichen, gefälligen und bescheidenen das heißt nicht eigensinnigen, widerhaarigen und eingebildeten zum Mitarbeiter wünschen muß, am liebsten einen solchen wie Kern ist, mit dem ich vortrefflich auskomme.

Auf Cohn reflectire ich natürlich weiter nicht, Sybel hatte mir beiläufig von ihm geschrieben. Gleich darauf kam eine andre Empfehlung, oder sollte ich richtiger sagen, Hinweisung von Sybel auf Pertz den Sohn, welchem, wie ihm Ranke geschrieben, Pertz der Vater eine Stelle bei unseren Arbeiten zu verschaffen wünsche. Ich gestehe, daß ich nicht sicher bin, ob mit Recht. Übrigens hatte ich mich unmittelbar vorher schon darüber ausgesprochen, daß ich nothwendig einen deutschen Philologen brauche. In dieser Überzeugung bin ich aufs neue bestärkt worden durch Ihre übereinstimmende Ansicht und Ihre die Rechtschreibung angehenden Vorschläge. Im Allgemeinen bin ich mit den letzteren wohl einverstanden und habe es auch bisher schon fast so gehalten, aber zu bedenken ist auf der anderen Seite, daß bei der Herausgabe der Städtechroniken, die nicht allein eine Sammlung historischer Quellen, sondern zugleich eine Reihe von Sprachdenkmalen in historischer Folge derselben werden, eben auch nicht bloß die Bequemlichkeit der Historiker sondern nicht minder die Wünsche der Philologen Berücksichtigung verdienen.

Ob ich schon vor dem Herbst mit dem Druck werde beginnen können, weiß ich nicht und glaube ich kaum. Das Material der Nürnberger Chroniken ist so massenhaft, daß wir es noch bei weitem nicht übersehen, und dies ist doch nothwendig wenn man die Auswahl mit Sicherheit treffen kann, auch die auswärts befindlichen Handschriften muß man erst so weit als möglich kennen, ehe man sich dazu entschließt, sich gerade bei einigen der wichtigeren Chroniken des 15. Jahrhunderts mit sehr mittelmäßigen Texten zu begnügen. Kern und ich werden im nächsten Frühjahr wieder reisen müssen.

Es thut mir leid, daß Nitzsch durch meine Recension5 unangenehm berührt worden ist: die Ihrige war allerdings schonender; aber ich bin mir doch bewußt durchaus in keiner persönlichen Empfindlichkeit meine Ansicht über das Buch ausgesprochen zu haben, welches ich für völlig verfehlt halte, wie die ganze Manier seiner Deductionen nicht bloß für fruchtlos, sondern für ganz verwirrend und verderblich: zwanzig solcher Bücher bringen uns noch um keinen Schritt weiter, wohl aber um viele zurück, wenn man nicht von vorn herein dem Unwesen mit Entschiedenheit entgegen tritt. Übrigens würde ich gern geschwiegen haben, wenn nicht der Gegenstand mich zum Reden genöthigt hätte.

Leben Sie wohl
Herzlichst
der Ihrige
Hegel.