Ich hoffe, daß Sie wohlbehalten nach Hause gekommen sind. Unser letztes Zusammensein1 hat mich recht erfrischt, hat mir viele Anregungen gegeben und die angenehmsten Erinnerungen bei mir zurückgelassen. Für Vieles habe ich besonders Ihnen zu danken. – Gegenwärtig theile ich Ihnen einen neuen Probedruck von den Chroniken mit und erbitte mir Ihre Meinung hierüber. Ich gestehe, das große splendidere Format hat mir besser gefallen, doch da die Zweckmäßigkeit einmal für das Kleinere entschieden hat, so muß es dabei sein Bewenden haben. Nur scheint mir in dieser Probe der Raum doch etwas zu sehr ausgefüllt; ich wünsche den Rand zu beiden Seiten mindestens je um ein … breiter und den Text um zwei …2 schmaler; | auch könnte der letztere eben um eine Zeile tiefer anfangen und unten um so viel weiter heruntergehen. Doch wünsche ich Ihre Ansicht zu hören und bitte mir das Blatt wieder zurückzuschicken. – Auf Ihre Verfassungsgeschichte3, die noch beim Buchbinder ist, freue ich mich sehr. An den Forschungen habe ich großes Gefallen gefunden, sie führen weiter und regen an; auch den Aufsatz von Klopp4 möchte ich deshalb nicht darin missen.
Mit Döderlein habe ich vorläufig wegen der Geschichte der classischenPhilologie5 gesprochen; er will sich die Sache überlegen. Leider ist seine Gesundheit durch immer wiederkehrende Magenkrämpfe angegriffen, so daß seine frühere Frische darunter gelitten hat.
Schellings6 geht es wohl.
Am 18. October7 war hier und noch mehr in Nürnberg, von wo die Anregung ausging, großer Lärm: Fackelzug mit Musik, patriotische Reden. Man | sah zuerst wieder deutscheFarben neben den bayrischen. Doch war die Stimmung sehr getheilt, besonders weil man gewahr wurde, daß das deutsche Banner der Menge als Symbol nicht bloß der deutschen Einheit sondern auch eines Phantoms von Republik galt. Auch erschien die Demonstration gegen Frankreich hier weniger ernst gemeint als großsprecherisch und eitel. Unsere Regierung hat wenig Gefallen daran gefunden, doch hat sie sichs kaum merken lassen, denn man hat großen Respect vor der Volksmeinung und fürchtet nichts mehr als Unruhe und Mißstimmung. –
Meine Frau grüßt Sie freundlichst. Möge es Ihnen wohl gehen!
1Dieses fand im Zuge der Herbstsession der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften statt, welche vom 28. September bis 6. Oktober in Form ihrer Plenarversammlung in München tagte. Vgl. dazu auch das Gedenkbuch Karl Hegels Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch, S. 185, sowie Neuhaus, 150 Jahre Historische Kommission, S. 11 f.2Unsichere Lesart, wohl jeweils Maßeinheitenkürzel. 3Georg Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, Kiel 1860. 4Unsichere Lesart; vermutlich ist der Historiker Onno Klopp (1822-1903) gemeint. 5Projektierte Monographie des Klassischen Philologen Ludwig Döderlein (1791-1863), der bereits 1863 verstarb. 6Familie des Juristen Paul Heinrich Joseph Schelling (1813-1889) in Erlangen; dieser war als Bruder von Clara Waitz, geb. Schelling (1818-1857), ein Schwager des Adressaten. 7Der 18. Oktober fiel im Jahr 1860 auf einen Sonntag. 8Georg Waitz wurde 1860 mit der Ehrendoktorwürde der Juristischen Fakultät der Berliner Universität geehrt.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Waitz, GeorgGeorg Waitz
HiKo
11905914218131886Waitz, Georg (1813–1886), in Flensburg geborener Historiker, der nach einem breiten geisteswissenschaftlichen, juristischen und theologischen Studium an den Universitäten Kiel und Berlin 1836 promoviert wurde. Nach seiner Tätigkeit bei den Monumenta Germaniae Historica wurde er 1842 ordentlicher Professor der Geschichtswissenschaft an der Universität Kiel, wechselte 1848 als Ordinarius an die Universität Göttingen und wurde 1858 Gründungsmitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. Als er 1875 Präsident der Monumenta Germaniae Historica in Berlin wurde, ging er gleichzeitig an die Universität Berlin. Er war in erster Ehe mit Clara Schelling (1818–1857), einer Tochter des Philosophen Friedrich Wilhelm Schelling (1775–1854), verheiratet, in zweiter Ehe mit Helene Franziska Friederike Hartmann (1831–1915), einer Tochter des Generals Georg Julius Hartmann (1774–1856).
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Bundesarchiv Berlin: Nachlaß Waitz, N 2321
.
BA Berlin1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Neuhaus
, Helmut: 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Eine Chronik, München 2008.
Neuhaus
, 150 Jahre Historische Kommission
2008
Klopp, Onno 11877745918221903Klopp, Onno (1822–1903), war ein in Ostfriesland von einer katholischen Mutter geborener, deutsch-österreichischer Publizist und Historiker, der 1873 vom Luthertum zum Katholizismus konvertiere und mit einer Katholiken verheiratet war.
Döderlein, Ludwig Johann ChristophLudwig Döderlein11888923017911863Döderlein, Ludwig Johann Christoph (1791–1863), Klassischer Philologe, Rektor des Erlanger Gymnasiums Fridericianum und ordentlicher Professor an der Universität Erlangen, Stiefsohn Friedrich Immanuel Niethammers (1766–1848) und Halbbruder Julius Niethammers (1798–1882).
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
FrankreichNach der Französischen Revolution von 1789 wurde das in Westeuropa am Atlantik gelegene Frankreich 1791 konstitutionelle Monarchie, 1793 Republik, 1804 Kaiserreich, 1830 Königreich, 1848 wieder Republik, 1852 erneut Kaiserreich und von 1871 bis 1940 zum dritten Mal Republik.
HerbstsessionSynonym für die zur Zeit Karl Hegels (1813-1901) regelmäßig Ende September/Anfang Oktober stattfindende Plenarversammlung der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München.
Chronik(en), Chroniken der deutschen Städte (Städtechroniken), chronikalische DenkmälerEdition „Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert“, von 1862 bis 1899 hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durch Karl Hegel (1813-1901); auch allgemein: auf die Antike zurückgehende geschichtliche Darstellung, in der die Ereignisse in zeitlich genauer Reihenfolge, dabei aber, im Gegensatz zu den formal strengeren Annalen, in größeren Zeitabschnitten aufgezeichnet werden, auch im Sinne von: Lebensläufen.
Stadtchroniken, Städtechroniken, auch: ChronikenIm Rahmen von Stadtgeschichtsschreibung und -forschung geschriebene, teilweise auch edierte Chroniken von Städten. Karl Hegel (1813-1901) gab im Rahmen seiner Leitung des umfangreichen wissenschaftlichen Editionsunternehmens für die Münchener Historische Kommission „Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert“ – angefangen mit seiner Geburtsstadt Nürnberg – solche Städtechroniken heraus.
VerfassungsgeschichteInterdisziplinäres Teilgebiet der Geschichts- und der Rechtswissenschaft auch hinsichtlich rechtshistorischer Kontexte, das sich vornehmlich mit der Entwicklung von Verfassungen im Laufe der Geschichte beschäftigt.
Verfassungsgeschichte, Verfassungs-Geschichte (Waitz)Achtbändiges, mehrfach aufgelegtes Werk des Historikers Georg Waitz (1813-1886) über „Deutsche Verfassungsgeschichte“ (vor allem für Rechtsgeschichte und Mediävistik), welches zwischen 1844 und 1878, bzw. in neubearbeiteter Auflage zwischen 1865 und 1896), Bände 1-6 (ab Band 5 postum) in Kiel bzw. Berlin erschien.
BuchbinderBerufsbezeichnung für jemanden, der herkömmliche Bücher nach Beendigung aller vorangegangenen Arbeiten (Redaktion, Satz, Layout, Druckarbeiten) in ihrer endgültigen Form fertigstellt.
GeschichteGeschichtswissenschaft als Universitätsdisziplin sowie als gymnasiales Unterrichtsfach; auch: historische bzw. gesellschaftswissenschaftliche Abhandlung, Darstellung, Monographie über einen speziellen konkreten oder abstrakten Forschungsgegenstand wie z. B. die Geschichte einer Stadt, Geschichte einer wissenschaftlichen Disziplin etc.
classischSiehe: klassisch; hier auch bezogen auf die „klassische Philologie“, die sich mit ihrem sprach- und literaturwissenschaftlichen Forschungsinteresse mit den beiden, als klassisch angesehenen antiken Sprachen Latein und Altgriechisch befasst.
PhilologieWissenschaft, die sich unter literatur- und sprachwissenschaftlichen Aspekten mit klassischen und/oder modernen Sprachen befasst auch unter komparatistischen Prämissen.
MagenkrämpfeKrampfartige, zumeist schmerzhafte Kontraktionen der Muskulatur des Magens in schneller sich wiederholender Abfolge und Symptom für Erkrankungen des Magens mit unterschiedlichem Schweregrad.
FackelzugFeierlicher, festlicher oder auch politisch motivierter Umzug mit Fackeln.
PatriotischAuf den Patriotismus bezogen, ihm zuzuordnen, zu ihm gehörend.
Deutsch/deutsch, Deutsche/r; DeutschesAuf die deutschen Staaten bezogen, den deutschen Staaten zuzuordnen, zu den deutschen Staaten gehörend; deutschsprachig; deutsche Sprache; Angehörige/r der deutschen Staaten, Deutschlands.
Farben, bayerischeWeiß-Blau, bezogen auf die bayerische Flagge.
Banner, deutschesDeutsche Flagge, in den Farben Schwarz-Rot-Gold, bereits im 19. Jahrhundert verwendet vornehmlich von den Revolutionären, die die Einheit der deutschen Staaten ersehnten.
Einheit, deutscheIm 19. Jahrhundert ersehnte Einigung der deutschen Länder zu einem Nationalstaat.
PhantomEinbildung, Fantasie, Trugbild, Fantasiebild oder Fantasiegebilde.
RepublikStaatsform, bei welcher die Regierung vom Volk oder Repräsentanten des Volkes gewählt wird für eine bestimmte Dauer.
Staatsregierung, Regierung (Bayern)Höchste Institution eines Staates, die die Politik sowohl nach Innen wie nach Außen leitet, lenkt und beaufsichtigt, wobei Regierung allgemein für die Tätigkeit des Herrschens, die Ausübung der Staatsgewalt steht, hier bezogen auf das politische System Bayerns und hierin auf die oberste Exekutivbehörde des Landes. Die Landesherrschaft über Bayern lag in der vorkonstitutionellen Zeit seit dem 12. Jahrhundert in den Händen der Wittelsbacher, welche in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Kurfürstenwürde erhielten. Mit Ende des Heiligen Römischen Reiches 1806 wurde Bayern Königreich. Die erste bayerische Verfassung entstand mit der Bayerischen Konstitution von 1808, in welcher Grundrechte festgeschrieben wurden. Als erster deutscher Staat führte Bayern mit dieser Verfassung eine moderne Volksvertretung ein. 1818 folgte die zweite Verfassung des Königreichs Bayern in Sinne einer konstitutionellen Monarchie, welche von da gute hundert Jahre Bestand hatte bis zum Ende der Monarchie in Bayern (Novemberrevolution von 1918).
RespectRespekt, im Sinne von Anerkennung; hier auch: empfundene Scheu vor der Macht oder höheren Position von jemandem oder etwas, so dass man diesem gegenüber keinen Verdruss erzeugen möchte.
Jubiläumsdoctor JurisFünfzigjähriges Doktorjubiläum eines Doctor juris.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis