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Karl Hegel an Georg Waitz, Erlangen, 26. Januar 1862

Theurer Freund!1

Die Antwort, die ich von Dr. Cohn erhalten habe, zeigt mir, daß ihm die Zurücknahme meines früheren Antrags wehe gethan hat: ich bedaure dies herzlich.2 Doch kann er sich sicher darauf verlassen, daß nur in der Sache liegende Gründe mich entschieden haben. Wäre er sogleich auf meinen Antrag eingegangen, so hätte ich mich freilich verpflichtet gehalten, das Mögliche zu thun: unterdessen aber überzeugte ich mich mehr und mehr, daß die Bearbeitung des Meisterlin nur in Nürnberg ausgeführt werden könne, wo das Meiste schon vorbereitet liegt. Auch wäre es mir fast leichter geworden, die Arbeit ganz selber zu machen, als einen völlig Fremden am andern Ort in diese und die Methode derselben, wie Dr. Cohn mit Recht von mir verlangte, durch briefliche Auseinandersetzung erst einzuführen und dann die Ausführung zu dirigiren. Ich sah voraus, daß ich Cohn auffordern mußte, entweder sogleich oder in kurzer Zeit nach Nürnberg überzusiedeln. Dies kann ich jedoch nicht eher thun, als bis ich im Stande bin ihm ein angemessenes Arbeitsfeld dort einzurichten. Bis jetzt ist dieses durch Kern occupirt, dem sich Cohn doch schwerlich würde unterordnen wollen: sollte ich Kern verlieren, was sich binnen Kurzem erst entscheiden wird, so würde ich zuerst an Cohn denken und er würde dann sehen, daß ich kein Vorurtheil mehr gegen seine Person hege: Doch möge dies vorerst unter uns bleiben, weil ich mich nicht jetzt schon durch ein neues Versprechen zu binden wünsche.

Neben Nürnberger Chroniken beabsichtige ich schon jetzt die Augsburger in Angriff zu nehmen. Für diese aber ist mir von Dr. Weizsäcker sein bisheriger Mitarbeiter Dr. Kerler aus Ulm bestens empfohlen worden: Da Weizsäcker im Frühjahr auf Reisen gehen will, kann er nicht länger zwei Mitarbeiter beschäftigen. Für Augsburg scheint nun Kerler mir ganz besonders qualifizirt, weil er Schwabe, mit Haßler verwandt und mit dem Augsburger Herberger bekannt ist. Dem Augsburger Archiv könnte ich ohne Herbergers guten Willen gar nicht beikommen: er hat mir aber bisher den schlechtesten Willen bewiesen, weil er die Augsburger Dinge als seine Domäne betrachtet und sie für die Historische Commission ohne meine Leitung und Mitwirkung bearbeiten möchte, wozu ich ihm jedoch alle Befähigung absprechen muß. Ein Mann wie Cohn könnte dort gar nichts ausrichten. Aus diesem Grunde ist mir die Empfehlung des Dr. Kerler sehr erwünscht gekommen. Natürlich werde ich ihn jedoch nicht gleich nach Augsburg schicken, sondern ihn erst einige Zeit in Nürnberg unter meine Leitung nehmen und ihn mit Kerns Hülfe für uns heranbilden. Da Sie Kerler von Ihrem Seminar her kennen, werde es mir erwünscht sein auch Ihr Urtheil über ihn zu erfahren und bitte ich Sie mir dies, wenn es sein kann, ohne Aufschub mitzuthielen, weil ich meine definitive Berufung an ihn nicht früher abgehen lassen will, als bis ich Ihre Ansicht über ihn kenne.

Der Druck des 1. Bandes3 hat seit einigen Wochen wieder begonnen und sind wir jetzt bis zum 11. Bogen vorgerückt; wegen der Hin- und Hersendung von zwei Correcturen bei jedem Bogen geht es ziemlich langsam vorwärts.

Bei Schellings4, wie auch in meinem Hause, geht es gottlob Allen wohl, hoffentlich so auch bei Ihnen. Meine Empfehlung an Ihre Frau Gemalin und meine freundschaftlichen Grüße an Thöl.

Herzlichst
der Ihrige
Hegel.