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Karl Hegel an Matthias Lexer, Erlangen, 31. Mai 1862

Lieber Herr Doctor!1

Sie können sich wohl denken, wie sehr mich Ihre gestrige Verlobungsanzeige2 überrascht hat, da ich keine Ahnung davon hatte, daß Sie neben Ihren Handschriften auch mit solchen tief bewegenden Herzensangelegenheiten umgingen. Sie haben einen größeren Entschluß gefaßt, einen wichtigen Schritt für Ihr ganzes Leben gethan! Bei solchem werden wir uns der Abhängigkeit von der Höheren Leitung, unter der wir stehen, mehr als unter gewöhnlichen Verhältnissen bewußt. Denn mehr durch äußere Fügung, durch ein unerklärliches Zusammentreffen von Umständen, durch wunderbare fremde Führung als durch eigenes Zuthun und beabsichtigte Wohl scheint es zu geschehen, daß ein liebendes Paar sich zum ewigen Bund vereinigt. Wenn man aber dies an sich selbst erfahren hat und je lebendiger das Gefühl davon ist, um so stärker ist auch das Vertrauen zu Gott, und um so gewisser die innere Zuversicht, daß die getroffene Wahl eine glückliche sei und daß Gott den einen Bund, der unser Selbstsein zu einem höheren und vollkommenen Dasein erweitert, indem er die bloße Ichheit auflöst, auch segnen würde. Von ganzem und aufrichtig Theilnehmendem Herzen wünsche ich Ihnen solche Zuversicht und solchen Segen! Auch meine Frau nimmt an diesem Wunsche den herzlichsten Antheil. Bis ich Ihre Fräulein Braut3, die Ihnen vielleicht Ihre frühere, sonst nicht eben angenehme Wohnung4 durch ihr Gegenüber (wenn unsere bloße Vermuthung nicht irrig ist) verzückt hat, selbst kennen lerne, bitte ich mich ihr freundlichst zu empfehlen. –

Ich bedaure auch heute noch nicht selbst kommen zu können, da ich mich doch nicht, obwohl ich nicht mehr krank bin, so weit gestärkt fühle, um nach einer heute Morgen stattfindenden Disputation heute Nachmittag solche Excursion zu unternehmen. Ich will daher meinen Besuch lieber bis zum Mittwoch5 aufschieben, und bitte die Herren von Kern und Kerler einstweilen bestens zu grüßen.

Wegen der Heidelberger Handschriften ist mir durch unser Ministerium gestern eine von Karlsruhe aus veranlaßte Mahnung zugegangen, weil der erbetene Termin vor drei Monaten längst vorüber sei; ich solle deßhalb entweder die Handschriften zurückliefern oder um Fristverlängerung nach- suchen. Ich denke daß Sie, wenn nicht die Herzensangelegenheit dazwischen gekommen ist, mit der Collation des Augsburger Anonymus zu Ende sind und in diesem Fall würde ich Sie ersuchen mir die Handschrift sogleich per Post zuzuschicken, da ich lieber nicht ein neues Gesuch abgeben möchte. Auch dürfte es wohl auf zwei, drei Tage nicht ankommen, wenn Sie die Handschrift noch so langen brauchten.

Doch ich muß zur Disputation eilen. Also unter Wiederholung meiner herzlichen Glückwünsche

Ihr
aufrichtigst ergebener
Carl Hegel.