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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Erlangen, 25. Oktober 1862

Theurer Freund!

Nimm die beifolgende Literarische Gabe1 mit Freundlichkeit und Nachsicht auf. Ich erwarte keinen Dank; er würde mich tief beschämen, da ich Dir noch den Dank für mehr als das Zehnfache schulde. Ich erwarte aber auch kein Lob; denn Niemand weiß besser als ich, wie gering mein Verdienst bei dem Werke ist, welches zu übernehmen ich als eine Ehrensache betrachtete, weil Andere zu mir das Vertrauen hegten, daß ich es auszuführen im Stande sei.2 Während Du im hellen Tageslicht schaffst und der höchsten Aufgabe des Geschichtschreibens nachstrebst, arbeite ich nach meiner Art wie ein Maulwurf fort und werfe Erdhaufen auf. So einer ist dieser da, nichts weiter als geordneter Stoff für künftige Geschichtsschreibung.

Ich hoffe daß es Dir und Deiner lieben Victorie wohl geht, und verlange danach Euch wiederzusehen. Ihr solltes uns doch einmal in Erlangen besuchen, wo ich nun auch mein eigenes selbst gebautes Haus, im Freien draußen, bewohne.3 Meine Familie zählt nun fünf Kinder, das jüngste, selbviert ein Mädchen, 1¼ Jahr alt.4 Gottlob sind sie alle gesund, wie meine Frau. Ich selbst bin mir schon zu alt und finde, daß meine Kräfte beständig hinter meinem Willen zurückbleiben. Doch das ist der Gang der Natur, dem man sich fügen muß, und man hat kein Recht zu verlangen, daß man zu den wenigen Auserwählten gehöre.

Herzliche Grüße an Deine liebe Frau.
Treulichst
Dein Hegel.