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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Heidelberg, 29. Oktober 1862

Liebster Erek.

Nimm als ein Gegengeschenk1 meine neue Auflage Shakespeare an. Sie ist in dem Kern der Sachen und Erklärungen unverändert geblieben, obgleich sich die umarbeitende Hand doch durch das Buch, namentlich den ersten Band überall durchzieht. Die Falsificationen Colliers, von denen Du vielleicht einmal Notiz genommen hast, macht es schon nöthig.

Herzliche Freude hatte ich über Deine Familiennachrichten; das wesentliche von ihnen hatte ich mir auch bereits gestern von Marquardsen mittheilen lassen, den Hausstand und den Hausbau2: Hoffentlich kommen wir einmal dazu auch in Erlangen zu überfallen; nimm Dir nur das Gleiche mit uns vor wenn Du einmal auffliegst. Leider komme ich zu dergleichen schwer, seitdem mir Jahr aus Jahr ein ein Badbesuch vergeschrieben ist, und ein anderer meiner Frau; wir consumiren da Zeit und Geld und haben dann gewöhnlich nicht mehr viel Reiselust übrig. Sie war immer groß in mir, schwindet aber mit den Jahren doch auch merklich zusammen. Dazu kommt dann, daß mich gewöhnlich im Herbst die Händel-Gesellschaft nach Leipzig nöthigt, wiederholt meine Arbeiten mich nach Berlin zogen; da blieb um so weniger für eigentliche Erholung übrig. So möchte ich den Winter oder Frühling endlich einmal auch Paris genauer kennen lernen; da vorerst die Berliner Quellen sich verstopfen werden, will ich für meine nächsten Bände dort lieber am offenen Flusse des Lebens ein wenig schöpfen. Gern möchte ich, so aufreibend die Arbeit ist, die gesteckten Grenzen in meinem 19. Jahrhundert (1850) erreichen. Der Aufbau des Werkes liegt mir so klar vor, und das Interesse des Inhaltes wird nun von Band zu Band so steigen, daß ich es beklagen würde, zurückzubleiben zu sollen. Aber wie mancher schöne Entwurf geht über dieser unmenschlichen Aufgabe verloren, zu dem meine noch einigermaßen frischen Jahre kaum ausreichen werden. So schließe ich diese Zeilen mit einem ähnlichen Seufzer wie Du die Deinen.

Mit den treuesten Grüßen an Dich und alle Deinen
Dein
Gervinus.