XML PDF

Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Muggendorf, 28. Mai 1863

Geliebtes Suschen!

Mein erster Gedanke beim Erwachen warst Du! An unserem Hochzeitstage1! Der uns an den ersten Tag unserer glücklichen Vereinigung erinnert und bei der Überschau der seitdem vergangenen Jahre uns eine reiche Fülle des Glücks und Segens von oben vergegenwärtigt. Dafür haben wir vor allem unseren Blick mit Dank dorthin zu richten. Und dann dürfen wir auch mit Vertrauen und guter Hoffnung der nächsten Zukunft entgegensehen, indem wir Gott bitten, daß Er uns auch in dieser, wie bisher, Seine himmlische Güte bereiten wolle. Er wird es gewiß nicht daran fehlen lassen. Amen. –

Ich schreibe diese Zeilen im Kurhause zu Muggendorf. Der Morgen ist schön und verspricht einen freundlichen Tag wie gestern. Um meinen Bericht mit der Abreise anzufangen, so wird Dir Auguste wohl erzählt haben, wen ich auf dem Bahnhof getroffen. Zunächst hat sich uns beiden, Heyder und mir, Schmid als Dritter angeschlossen. Dann fanden wir Frl. Busch mit Harnack und Kindern, die sich dort bei der Abreise der ersteren mit dem einen Theil der Kinder trennten. Sie läßt Dich noch herzlich grüßen. Wir sahen sie noch einmal in Forchheim. Dort nahmen wir drei einen Einspänner, der uns sehr schnell in zwei Stunden bis Streitberg brachte. Bei der schönen Aussicht auf Berg und Thal war es nur ein jammervoller Anblick die meisten von den schönen Kirschbäumen am Wege von den Raupen ganz kahl oder größtentheils kahl abgefressen zu sehen. In Streitberg trafen wir auf der Terrasse die ganze Erlanger Gesellschaft aus Muggendorf, denn nur Hofmann’s wohnen in Streitberg. Auch junge Leute waren dabei Plitt und Petersen, Köhler und Vogel. Doch gingen diese am Abend nach Erlangen zurück, auch Gerlach mit seinem Sohn, weil dieser wieder in die Schule mußte, während Frau Gerlach, die ihre kleine Agnes mit hat, zurückblieb. Da sie neben mir an wohnt, so hörte ich aber die Kleine beim Waschen schreien, als ob es unser Sophiechen wäre.

Gorup’s, Schelling’s, Marquardsens bilden außer Frau Gerlach die hiesige Gesellschaft. Heyder, Schmid und ich verließen sie in Streitberg und gingen über die Burg Neideck hierher, auf dem Dir wohlbekannten schönen Weg. Beiliegende zwei Tausendschönchen pflückte ich für Dich unter der Burg. Heyder und Schmid blieben bei Mühlhäuser, ich ging ins Kurhaus, wo ich herrliches Zimmer erhalten habe. Gestern Abend waren wir noch hier unten zusammen recht vergnügt, in dem Sinn den Du kennst und der nicht der Deinige, auch nicht der meinige ist. Heute will die Gesellschaft auf den Weg nach Rabeneck und Rabenstein, ich werde mich nicht anschließen, sondern mit Heyder auf die nächsten Berge steigen und hier bleiben.

Zur Mittagszeit. So eben bin ich von meinem Spaziergang mit Heyder zurückgekehrt. Wir waren auf dem höchsten Punkt jenseits des Frauensteins, auf dem Weißenstein, der eine außerordentlich weite Umsicht über die ganze Gegend gewährt. Der Weg dahin ist sehr schön, führt durch Feld und Wald hin und zurück. Ich habe auf dem Wege einige duftende Blümchen2 für Dich gepflückt, die ich hier beilege; freilich werden sie bis morgen ihren Duft verloren haben, aber sie sollen Dir dennoch sagen, daß ich oft an Dich gedacht habe und so werden auch fort und fest meine Gedanken in Liebe bei Dir sein und Dich oftmals von hier aus grüßen, am allermeisten aber an unserem heutigen Hochzeitstage, an dem ich Dich schmerzlich hier bei mir vermisse.

Schmid, der heute wieder nach Erlangen zurückkehrt und jetzt eben von hier mit Frank’s nach Streitberg aufbrechen will, um dort noch den Nachmittag bei Hofmanns zuzubringen, soll dieses Briefchen mitnehmen. – Ich grüße und küsse die Kinder alle zu mal; hüte sie nur recht, besonders Mimi, daß ihre Erkältung sich nicht verschlimmert.

Lebe wohl, liebes Suschen, gedenke mein!

Dein getreuer Carl Hegel.