Berchtesgaden, Donnerstag,
August 1863 13, Abends 9 ½ Uhr.
Liebes Suschen!
Ich will Dir noch von hier aus eine gute Nacht zurufen. Glücklich bin ich hier am Nachmittag 5 Uhr angekommen, um 7 ¼ Uhr Morgens von München. Es war wohl ein recht heißer Tag, aber gerade Mittags bei der Fahrt im Eilwagen kam mir eine erfrischende Luft aus den Bergen entgegen. Ich war um 2 Uhr in Reichenhall und meine Absicht dort einen Tag zu verweilen. Max und
Friedrich empfingen mich auf der Post, ich wollte eben mit Friedrich zu Mutter gehen, als sie mir nun erst mittheilten, daß sie schlafe, daß sie am Morgen von einem plötzlichen Schwindelanfall auf dem Spaziergang überrascht worden sei. Auf meine Bemerkung, daß es dann wohl jeden Fall besser sei, wenn wenigstens heute jede neue Aufregung vermieden würde, wie sie mein Kommen, ihr Fragen und mein Berichten ohne Zweifel hervorrufen würden, stimmten sie mir sogleich bei und so entschloß ich mich kurz und gut, mich nach Berchtesgaden einschreiben zu lassen und weiter zu fahren. Auch Adalbert Flottwell war mich zu sehen gekommen und sagte mir, daß er Anfang nächste Woche gleichfalls nach Berchtesgaden komme und hier auch sich aufhalten wolle. Alle klagten über die | unerträglich drückende Hitze in Reichenhall. Ohne Zweifel ist sie auch die Ursache von dem Unfall der guten Mutter gewesen, den ich im hohen Grade bedauerte. Wie sehr wird den lieben Eltern doch die Freude, die sie sich von dem Besuch in Reichenhall versprachen, gestört und verdorben. Der Vater weiß noch gar nicht, wann er reisen kann, und ob er seinen Fuß selbst in Reichenhall wird ungehindert gebrauchen können und nun auch die Mutter, wenn gleich gewiß nicht bedenklich unwohl, doch sicher in der Lage, sich mehr als sonst schonen zu müssen! Der Aufenthalt in Reichenhall
ist durch die Hitze nicht besonders wohlthuend. Christine soll noch so bleich aussehen wie früher! – Gewiß habe ich für meine Person recht gethan, mich nach Berchtesgaden zu wenden. Hier ist kein Staub und ist reine Bergluft, nicht wie in Reichenhall abgeschlossen im Thalkessel, sondern immer frisch von den schneebedeckten Zacken des Watzmann und der Eisspitze herabstürmend.
Ich bin in der Post abgestiegen, meinen Koffer fand ich heute vor und erhielt ihn ohne Anstand auf meine Karte ausgeliefert. Es thut mir leid, wenn ich Dir noch unpraktische Mühe mit einem Empfangsschein gemacht habe. Auch hier in Berchtesgaden ist Alles vollgestopft von Fremden und ich erhielt in der Post das letzte freie Zimmer. |
Freitag 11 Uhr Vormittag Ich komme eben von einem sehr schönen Spaziergang auf der halben Höhe des Wegs zurück, wo ich über eine Stunde lang im kühlen Schatten hoher Bäume aufgebahntem Fußweg und dem neuen Reitweg des Königs spazieren gehend mich erquickte. Ich meine, daß ich schon viel kräftiger geworden bin und in der letzten Nacht, der ersten die ich hier zubrachte, hatte ich zum ersten Mal nicht mehr nöthig, das Hemd zu wechseln. – In den gestrigen Abendstunden sah ich mich nach der Badeeinrichtung und nach einer Wohnung um. Das neue Bad, von dem mir Beyerlein sprach, ist in diesem Jahr im Bau und nicht zu benutzen, das sog. alte Bad unreinlich; doch gibt es noch eine kleine Badeeinrichtung mit nur zwei Stülchen bei einer Wäscherin; dort ist es reinlich und die Frau hat einen Maßkrug für die Sorte und sogar einen Thermometer: das wird genügen. Denn im übrigen ist es hier doch unvergleichlich theurer als in Reichenhall. Eine mir zusagende Wohnung fand ich gestern Abend nicht, doch sah ich mich zugleich für Adelbert um. Ich schlief wie gesagt gut und schon vor acht Uhr hatte ich eine Wohnung gefunden ganz nahe bei der Post, frei gelegen an einem grünen Platz mit schöner Aussicht; die Woche 3 ½ kr. ; auch das Bett ist gut. Federmatratze und Steppdecke. Um 8 Uhr wird die Post geöffnet, ich ging meinen Koffer abzuholen und suchte, da war schon das andere Paket mit den Schuhen gekommen und der eine Schuh enthielt was mir noch viel lieber ein bischen von Dir, meine Liebste. Wie dankbar bin ich Dir für Deine tröstlichen Nachrichten. Die Kinder waren also doch Morgens ganz fieberfrei, ja sie standen zum Theil, wie Ziemssen vorhersagte um 1 zu 2 Grad unter der Normaltemperatur (37,7) und so werden sie sich nun erst recht matt fühlen. Sei nur recht vorsichtig | mit der Nahrung, daß die Kinder immer das Rechte und zur rechten Zeit (nicht zu oft und zu viel) bekommen!
Um meine Erzählung vollständig zu machen habe ich noch rückwärts von meiner Reise von Nürnberg ab zu berichten. Es war eine genügend und mehr als das, warme Fahrt bis 1 Uhr; doch hatte ich, da ich viel allein war, den Rock meist ausgezogen und las viel, so daß ich über die Hitze und Langeweile ziemlich gut hinwegkam. In Augsburg erwartete mich Dr. Frensdorff auf dem Bahnhof; ich fuhr mit ihm nach dem grünen Hof, wo ich speiste. Nachher suchten wir den Bullenbeißer Archivar
Herberger im Archiv auf. Es gab zuerst einen ziemlich heftigen Zusammenstoß, doch gelang es mir ganz unerwartet nach einer Viertelstunde ein Abkommen mit ihm zu treffen, welches beide Theile gänzlich, wie es schien, befriedigte. – Ich besuchte noch Greiff und
Mezger und fuhr des Abends nur noch bis München, um mich nicht zu sehr zu ermüden, logierte dort im Augsburger Hof nahe beim Bahnhof, und fuhr den andern Morgen wie oben gemeldet, weiter. Im Coupé, worin ich einstieg, erkannte ich einen alten Freund aus Berlin Prof. Benary, den ich seit 22 Jahren nicht mehr gesehen, er erkannte mich nicht. Wir waren sehr erfreut uns zu treffen und haben uns bis zum Chiemsee, wo er ausstieg, sehr gut unterhalten. –
Hier in Berchtesgaden wird sich wohl auch Unterhaltung finden, ich binde nicht mit den Leuten an und finde, daß sie gewöhnlich herzlich froh sind, wenn man ihnen selbst eine Unterhaltung verschafft: so gestern Abend ein Pfarrer aus Sulzkirchen, früher in Bruck, ein närrisches Haus! – Ich lege hier einige Alpenveilchen bei, die ich gestern an der Landstraßezwischen Reichenhall und Berchtesgaden für Dich gepflückt: gib eins an Annchen und eins an Luischen. Ich lasse sie und die andern lieben Kinder herzlichst grüßen. Hoffentlich wird dem Buberle nichts weiter fehlen! – Schicke mir statt der Veilchen – meinen hölzernen engen Kamm (das auszusprechen laß nur fort): er wird ja wohl die Brief nur wenig beschweren. Grüß Prof. Ziemssen und Dr. Dorsch. Morgen früh will ich anfangen zu baden. Lebe wohl, mein liebstes Suschen. Ich habe heute oft gedacht, könntest Du nur die schöne Natur mit mir genießen. Lebe wohl meine Geliebte
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Berchtesgaden47.63108,13.0021634Markt im oberbayrischen Berchtesgadener Land mit Schloß der Könige von Bayern, nahe dem Königssee, circa 150 Kilometer südöstlich von München und etwa 25 Kilometer südlich von Salzburg gelegen.
Privatbesitz
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Privatbesitz
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Tucher, Friedrich Wilhelm Sigmund Friedrich Wilhelm Sigmund Tucher116153730918461924Tucher, Friedrich Wilhelm Sigmund (1846–1924), Sohn Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), jüngster Bruder Susanna Maria Hegels (1826–1878), Taufpate Gottlieb Friedrich Hegels (1867–1874), 1867 Forsteleve in Aschaffenburg, Ehemann Auguste Marianna Tuchers, geb. Stramer (1857–1887), nach deren Tod ab 1888 Maria Margarethe Charlotte Tuchers, geb. Anns (1852–1917).
Flottwell, Adalbert JuliusAdalbert Julius Flottwell11663105818291909Flottwell, Adalbert Julius (1829–1909), in Marienwerder geborener Sohn Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und seiner zweiten Ehefrau Auguste Flottwell, geb. Lüdecke (1794–1862), der nach seinem 1849 begonnenen Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin preußischer Beamter und Politiker wurde. Verheiratet mit Ella (Else) Flottwell, geb. Oppen-Gatersleben (1841–1916), war er von 1861 bis 1868 Landrat von Meseritz in der Provinz Posen, gleichzeitig von 1866 bis 1868 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses, dann von 1868 bis 1872 Landesdirektor im Fürstentum Waldeck-Pyrmont, von 1872 bis 1875 Kabinettsminister im Fürstentum Lippe, von 1875 bis 1880 Regierungspräsident in Marienwerder, dazu von 1878 bis 1881 Mitglied des Deutschen Reichstages, sowie ab 1880 Präsident des seit 1871 bestehenden preußischen Bezirks Lothringen in Metz. Bis 1902 war er schließlich Direktor der Schlesischen Bodenkreditbank.
Maximilian II. Joseph von Bayern, König von BayernMaximilian II., König von BayernKönig von Bayern11857934718111864 Maximilian II. Joseph (1811–1864), war von 1848 bis 1864 König von Bayern und Gründer der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Bayerlein (Beyerlein), Maria Karolina Sophia Wilhelmina, geb. Furtenbach
-18001878Bayerlein (Beyerlein), Maria Karolina Sophia Wilhelmina, geb. Furtenbach (1800–1878), war eine Cousine und Jugendfreundin der Mutter Susanna Maria Tuchers; sie hatte 1821 den Rittmeister und späteren Major der Cavallerie Wilhelm Georg Bayerlein (1784–1839) geheiratet und war 1838 von ihm geschieden worden. Wie Maria Magdalena Tucher (1802–1876) stammte ihre Mutter aus der Nürnberger Patrizierfamilie Grundherr.
Ziemssen, Hugo WilhelmHugo Wilhelm Ziemssen11759745718291902Ziemssen, Hugo Wilhelm (1829–1902), in Greifswald geborener Mediziner, der von 1848 bis 1854 an den Universitäten Greifswald, Berlin und Würzburg studierte, 1854 in Greifswald promoviert wurde, sich dort 1856 habilitierte und 1861 außerordentlicher Professor wurde. Von 1863 bis 1874 war er ordentlicher Professor für Innere Medizin, Spezielle Pathologie und Therapie an der Universität Erlangen und wechselte dann bis zu seinem Tode auf einen Lehrstuhl an der Universität München.
Frensdorff, FerdinandFerdinand Frensdorffhttps://www.deutsche-biographie.de/sfz17060.html#ndbconte11677010418331931Frensdorff, Ferdinand (1833–1931), in Hannover geborener Jurist und Historiker, der von 1853 bis 1857 an den Universitäten Heidelberg, Berlin, Leipzig und Göttingen Rechtswissenschaften studierte und 1857 in Göttingen promoviert wurde. Er war Mitarbeiter Karl Hegels bei dem Editionsunternehmen „Die Chroniken der deutschen Städte“ der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Im Jahre 1863 habilitierte er sich an der Universität Göttingen und wurde 1866 außerordentlicher, dann dort von 1873 an bis zu seinem Lebensende ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften und Rechtsgeschichte. Im Studienjahr 1887/88 war er Rektor der Universität Göttingen.
Herberger, TheodorTheodor Herberger11672820518111870Herberger, Theodor (1811–1870), Archivar in Augsburg.
Greiff, BenediktBenedikt Greiff11683035218031871Greiff, Benedikt (1803–1871), Gymnasiallehrer, war unter dem Augsburger Stadtbibliothekar und Rektor des Gymnasiums bei St. Anna, Georg Caspar Mezger (1801–1874), seit 1841 auch Unterbibliothekar der Königlichen Kreis- und Stadtbibliothek Augsburg und Sekretär des Historischen Vereins für den Regierungsbezirk von Schwaben und Neuburg.
Mezger, Georg CasparGeorg Caspar Mezger11901109318011874Mezger, Georg Caspar (1801–1874), in Wassertrüdingen geborener Pädagoge und Bibliothekar, der nach seinem Studium an den Universitäten Erlangen und München im Jahre 1827 Gymnasialprofessor in Augsburg wurde und von 1840 bis 1873 Rektor des dortigen Gymnasiums bei St. Anna war. Von 1835 bis 1872 war er auch Augsburger Stadtbibliothekar.
Benary, Franz Simon FerdinandFranz Simon Ferdinand Benary11611607218051880Benary, Franz Simon Ferdinand (1805–1880), aus Kassel gebürtiger Orientalist und Bruder Karl Albert Agathon Benarys (1807–1860). Nach seinem Studium an den Universitäten Bonn, Halle und Berlin wurde er im Jahre 1831 in Berlin außerordentlicher Professor für alttestamentliche Exegese.
Hegel, Sigmund (Mundel, Mundulus, Munerle)Sigmund Hegel11657085718631945Hegel, Sigmund (1863–1945), sechstes Kind (zweiter Sohn) Karl (1813–1901) und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878), Mitglied des Corps Onoldia in Erlangen, Chemiker, Kaiserlicher Geheimer Regierungsrat am Reichspatentamt in Berlin.
Dorsch, GustavGustav Dorsch-1830Dorsch, Gustav (* 1830), im Jahre 1855 an der Universität Erlangen zum Dr. med. promoviert, Hausarzt der Familie Hegel in Erlangen.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Reichenhall47.7222676,12.8760923Kurort in den bayerischen Alpen, etwa 15 Kilometer südwestlich von Salzburg gelegen.In Oberbayern im Berchtesgadener Land gelegener Kurort, circa 23 Kilometer westlich von Salzburg gelegen.
Watzmann47.5543889,12.9220342Mit etwas über 2700 Metern Höhe höchster Berg des Berchtesgadener Landes mit mehreren Gipfeln.
Eisspitze47.5693262,12.8658126Gemeint ist wohl das Hochkalter-Massiv westlich vom Watzmann im Berchtesgadener Land.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Augsburg48.3668041,10.8986971Auf römische Zeit zurückgehende alte Reichsstadt des Heiligen Römischen Reiches und Bischofsstadt am Lech, etwa 65 Kilometer nordwestlich von München gelegen und seit 1806 zum Königreich Bayern gehörig.
Chiemsee47.8824752,12.475250380503947Größter See im bayerischen Alpenvorland, etwa 80 Kilometer südöstlich von München gelegen.
Sulzkirchen49.1694451,11.3569505Dorf in der Oberpfalz, etwa fünf Kilometer südöstlich von Freystadt gelegen.
Bruck49.2498509,12.3084509Gemeint ist wohl der Markt Bruck in der Oberpfalz, etwa 20 Kilometer südöstlich von Schwandorf und 35 Kilometer nordöstlich von Regensburg gelegen.