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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Berchtesgaden, 16./17. August 1863

Liebes Suschen! Deinen lieben Brief, den Du gestern2 Nachmittag abgeschickt, habe ich heute Abend erhalten: ich fand ihn vor, als ich von einem schönen Spaziergang bei abgekühlter Luft, nach vorübergegangenem Gewitter, heimkehrte. Du wirst Dich unterdessen schon überzeugt haben, daß Du mir unrecht gethan. Mein Brief3 ging am 14. Mittags von hier ab, nachdem ich den Abend zuvor hier angekommen; Du wirst ihn am folgenden Nachmittag4, wenn der Briefträger seine Schuldigkeit gethan, erhalten haben, also wenige Stunden nach Absendung des Deinigen, und um dieselbe Zeit wirst Du meine Briefe von hier aus in der Regel erhalten.

Deine Nachrichten vom Haus, wenn auch in der Hauptsache mehr erfreulicher als ungünstiger Art, haben doch Gewissensscrupel bei mir darüber erregt, daß ich hier nur für mein Wohlsein sorge. Das Befinden der Kinder läßt auch gar viel zu wünschen übrig und giebt Raum zu Besorgnissen wegen etwaiger Nachkrankheiten, die oft schlimmer sind, als die vorausgegangenen. Die treue Pflegerin Frau Reiß ist selbst krank und kann vielleicht ihren Dienst nicht mehr versehen. Die Zielbäuerin abgerufen, Ernestine wieder unbrauchbar und vielleicht am besten gleich ganz abzudanken! Liebes Suschen, ich danke Gott, daß es Dir und den beiden andern Kindern wenigstens wohl geht und daß Du den Muth nicht verlierst. Das Schott’sche Kindermädchen wirst Du wohl ohne Zögern und Besinnen sofort angenommen haben, so daß wenigstens ein ordentlicher Ersatz für die erledigte Stelle gewonnen ist. Heiß, sehr heiß werden die letzten Tage bei Euch gewesen sein, denn sie waren es sogar hier im Angesicht des Schnees auf den Hochgebirgen. Erst heute Nachmittag 2 – 4 Uhr hatten wir hier ein fernes Gewitter und vorübergehenden, aber ausgiebigen Regen, der die Luft abgekühlt hat, wenngleich auch sonst bisher die Morgen und Abende kühl waren: gleich nachher sind die Berge wieder ganz klar geworden und jetzt ist ein wundervoller Sternenhimmel. Hoffentlich wird sich auch für Euch endlich der Himmel aufgethan haben!

Du weißt aus meinem vorigen Brief wie ich mich hier am Morgen nach meiner Ankunft eingerichtet habe. Die schönen Spaziergänge der Umgebung reizten mich. Ich ging Vormittags auf dem Reitweg des Königs im kühlen Schatten zwei Stunden lang und Nachmittags machte ich eine von Frau Beyerlein mir empfohlene Parthie durch die Schönau nach Unterstein, die freilich viel weiter war, als ich erwartete, denn ich kam erst nach drei Stunden zurück, und an meinem unruhigen unterbrochenen Schlaf merkte ich, daß ich mir für den ersten Tag zu viel zugemuthet hatte. Dochwirkte vielleicht noch ein anderer Grund dabei mit, von dem ich morgen berichten will. Gute Nacht, liebes Suschen!

Guten Morgen, liebe Susi! Ich habe vor einer Stunde, wie gewöhnlich zwischen 9 und 10 Uhr, mein Soolenbad genommen, heute schon mit 7 Maß. Der Weg dahin auf der Straße in das Thal hinunter, meist im Schatten der Bäume, zu der Wäscherin am rauschenden und schäumenden Fluß, welche zwei Badewannen hat und besorgt, – ist sehr hübsch und gern warte ich unten im Schatten eines Baums am Ufer, gegenüber einer waldbewachsenen ansteigenden Höhe, bis das Bad bereit ist. Nachher nehme ich bei Muhens5 eine Tasse Bouillon, gehe nach Haus und lese oder schreibe bis Mittag d. h. hier 12 Uhr. Nach Tische ruhe ich wieder und trinke meinen Caffe auf dem Balkon der Post6, von wo man den herrlichen Watzmann und die andern hohen Felsenhäuser mit den grünen Vorbergen unter und vor ihnen gerade vor Augen hat. Auf demselben Balkon bin ich auch des Morgens zwischen 6 und 7 Uhr und trinke meinen Frühcaffe, bisweilen auch des Abends, wenn die Gesellschaft mir nicht zu zahlreich oder sonst unangenehm ist, denn der gewöhnliche Troß der Reisenden hat wenig Anziehendes. Meinen Hauptspaziergang mache ich des Nachmittags, sobald die Sonne anfängt weniger heiß zu brennen, und da hat man unter den schönen Wegen zu Berg und Thal wie auf der Fahrstraße fast eine reiche Auswahl: einige Parthien hat mir Tante Beyerlein angegeben, die ich gern aufsuche und immer sehr lohnend gefunden habe. Dagegen haben mir ihre Wohnungsadressen nichts genutzt, da die Wohnungen entweder schon vergeben oder sonst mir nicht zusagend waren.

Indessen habe ich auch meine erste Wohnung bei einem Schreiner deren Lage mir recht angenehm war, gestern wieder, zum größten Mißvergnügen der Schreinerin, verlassen.

Ich schlief dort die erste Nacht sehr schlecht und entdeckte erst am andern Morgen, daß das Zimmer mit hellgrüner Giftfarbe angestrichen war; ich wollte es doch noch eine Nacht versuchen, diese war vollends so elend, daß ich sofort auszuziehen beschloß; überdis machten Schreinergesellen, sechs Kinder und die Werkstätte unten im Haus sehr viel Unruhe und gaben schon aus diesem Grund einen geeigneten Vorwand zum Auszug. Meine jetzige Wohnung bei einem Schuster auf der andern Seite der Post ist nicht so schön gelegen und auch unruhig durch die daran liegende Fahrstraße; aber im Hause ist es doch stiller und was die Hauptsache ist, das Zimmer heimlicher und seine Tapete unverdächtig: da habe ich denn auch die letzte Nacht weit ruhiger geschlafen und bin nur um so mehr überzeugt worden, daß in der andern Wohnung die grüne Wandfarbe meine Schlaf vergiftet hat.

Die Bäder greifen mich an und machen mir Ruhe und viel Alleinsein noch mehr zum Bedürfniß, doch hoffe ich zuversichtlich, daß sie mir gut thun werden: bis heute habe ich erst drei genommen. Morgen Mittag will Adalbert Flottwell mit Frau Ella hier eintreffen; ich freue mich recht darauf und habe verschiedene Wohnungen zur Auswahl für sie angesehen. – Mit dem Leibchen hat es keine Eile, da ich zwei habe und das andere waschen lassen kann. – An die liebe Mutter in Reichenhall habe ich geschrieben, aber noch keine Antwort erhalten. Adalbert schrieb mir, daß der Arzt ihr Unwohlseinfür ganz unbedenklich halte und daß der Vater schon gestern von Nürnberg abreisen wollte: wenn er sich nur nicht zu früh aufmacht! – Diesen Brief sollst Du morgen, Dienstag7 Nachmittag erhalten und auf Antwort wirst Du mich gewiß nicht warten lassen, denn ich bin sehr ungeduldig des Weitern, wie es in unserem Hause steht, zu hören. Grüße die lieben Kinder, ich küsse Dich von Herzen und wünsche Dich recht oft zu mir, meine liebe Susi.

Ganz und gar Dein Getreuer.