Liebstes Suschen, Deinen tröstlich erquickenden Brief vom 17. und 18.1 habe ich heute früh erhalten (die Post kommt Morgens 6 Uhr und Abends 5 Uhr hier an). Das sind ja gute und trübe Nachrichten, ich bin ganz fröhlich und leicht dadurch gestimmt, wie ich es lange nicht war und wie Du voll Dank und Lob gegen den gütigen Gott! Wegen unserer Kinder also dürfen wir die feste Hoffnung haben, daß ihre Genesung rasch fortschreiten wird und ist nur alle Sorge zu tragen, daß ihre Reconvaleszenz nicht gestört werde. Dir selbst, liebes Suschen, wird über dieser Freude die viele Arbeit, die Dir aufliegt, leicht; möchte es nur nicht mehr werden als Du tragen kannst! und thue was Du kannst Dich selbst zu schonen. Was für ein Verhängniß, daß nun auch die fixe Lene krank werden muß! Es wird heißen, sie sei bei uns angesteckt! Du wirst sie schmerzlich entbehren. Kannst Du denn das Kindermädchen von Schott’s nicht schon jetzt haben? Und Du schreibst nichts von der Frau Reis, ob sie noch da ist oder sich wirklich legen mußte? Doch kann ich mir nicht denken, daß Du ohne sie solltest fertig geworden sein, denn wer wäre sonst (abgesehen von allem andern) des Nachts oben bei den Kindern! Die Rosel ist wieder da, wird aber schwerlich die Hofmann entbehrlich machen, besonders da die Lene fehlt. Ich besorge, daß Du mir Manches verschweigst, was ich nicht wissen soll, um mich nicht zu ängstigen!
Die Änderung der Witterung wird wohl auch einen günstigen Einfluß auf den Gesundheitszustand ausüben: sie scheint gleichzeitig bei Euch wie hier eingetreten zu sein; vorgestern Dienstag2 war ein voller Regentag, auch gestern regnete es bis auf wenige Stunden des Nachmittags, die ich zum Spazierengehen benutzte; sonst habe ich viel gelesen und excerpirt; heute ist es trüb und so kalt, daß ich mit doppeltem Rock ausgehe. Meine Bäder scheinen mir gut zu bekommen und regen mich auch nicht sehr auf; am Tage spüre ich wenig oder gar nichts davon, nur die Nacht ist noch etwas unruhig. – Heute werde ich mein Stillleben durch den Besuch zur Taufe in Reichenhall unterbrechen und ich freue mich darauf. Der Eilwagen kommt gegen 3 Uhr Nachmittag an (Die Fahrt dauert etwa 2 ½ Stunden) und um 5 ist die Taufe, auf welche ein Abendessen folgt; natürlich bleibe ich die Nacht und wohl noch bis über den folgenden Mittag. Ich nehme diesen angefangenen Brief mit, um Dir dort noch von der Taufe zu berichten.
Guten Morgen liebes Suschen, wie geschlafen? war der kleine Sigmund ruhig? Doch Du wirst jetzt wohl noch schlafen und unsere lieben Kinder werden auch noch schlafen und ich will sie und Dich nicht stören. Also hier bin ich, in Reichenhall, gesternNachmittag 3 Uhr bei Regenwetter angekommen und es regnet fast ohne Unterlaß, wie gestern Nachmittag, so die ganze Nacht und jetzt. Es ist der vierte volle Regentag. Doch was thut das!
Gestern Nachmittag wenigstens fragte man nicht nach dem Wetter: es war Taufe. – Ich suchte zuerst die Eltern auf und störte den Vater in seiner Nachmittagsruhe; mit seinem Fuß geht es langsam besser, aber er kann nur kurze Wege zurücklegen und die Umschläge mit gulattschem Wasser noch nicht entbehren. Die liebe Mutter sieht noch angegriffen aus, wenn gleich ihr nichts mehr fehlt; sie schiebt ihr Unwohlsein der Hitze und der Sorge zu. Gottlob kann sie ja nun beruhigt sein. Crailsheim sieht immer noch schlecht aus, wenn auch besser als in Nürnberg.
Erst um 5 Uhr ging ich mit dem Vater und Papa Crailsheim hinüber in das Festhaus, wo Mutter und Schwester bei den Vorbereitungen behilflich waren. Die Begrüßung war recht herzlich. Sophie sieht man das Wochenbett noch sehr an, auch war die Geburt wohl eine schwere zu nennen. Es stellten sich die Gäste ein außer den Eltern im Hause. Mama Crailsheim und ihr Sohn Gustav, hierauf Onkel Gottlieb mit Thekla und den Töchtern, alle recht wohl aussehend – Gottlieb gebraucht hier die volle Kur wie auch der Papa Crailsheim –, Tante Thekla ist erst vor zwei Tagen aus Eichstädt angekommen und nicht ganz unbesorgt von dort abgereist, da das Kindlein, ein Knabe, ebenso wie die zwei gestorbenen, eine leichte Entzündung am Nabel zeigte. Es kamen ferner noch der Forstmeister des Orts mit seiner Schwester und der Forstactuar mit seiner Frau – im Ganzen waren es 22 Personen, die nachher bei Tische saßen. Pfarrer Walter hielt eine gute wenn auch etwa lange Taufrede. Nachher setzte man sich in dem vorderen sonst nicht benutzten Zimmer, welches gerade für die Tafel ausreichte, zu Tisch, mein Platz war zwischen der lieben Mutter und Tante Thekla, neben dieser der Pfarrer, die junge Hausfrau usf. Man blieb recht vergnügt bis gegen 10 zusammen. Doch ich habe vergessen von der Hauptperson dem Taufkinde zu reden.3 Es ist ein recht kräftiges, wohlgenährtes Kind, das sich wohl neben unserem Jungen sehen lassen darf, sein Teint weiß und roth, die Gesichtszüge durchaus nicht Tucherisch; Marie Wilhelmine ihr Taufname; vermittelst eines Schnullers wurde es während der langen Rede und Taufhandlung in Ruhe erhalten. –
Ich werde jetzt versuchen bis zu den Gradirhäusern trotz Regen und Schmutz vorzudringen, um 8 Uhr bin ich zum Caffe bei den Eltern geladen, nach 12 Uhr zu Max und Sophie, wo alle Tage die beiderseitigen Eltern speisen. In der Zwischenzeit werde ich Besuche machen bei Onkel Gottlieb, dessen Wohnung auf der Anhöhe über der Stadt oder vielmehr außerhalb derselben liegt, dann bei Adalbert Flottwell, der wegen Unwohlseins seiner Frau noch hier geblieben ist, auch bei soschlechtem Wetter durchaus nichts verloren hat, endlich zu den Professoren Giesebrecht und Löher in St. Zeno. – Dieser Brief geht erst Nachmittags fort und wird morgen Mittag in Erlangen sein.
Die liebe Mutter hatte vorgestern Deinen langen Brief erhalten, aus dessen Mittheilung ich manches Neue erfuhr, was Du zärtliches Frauchen mir, wohl aus Besorgniß mich zu beunruhigen, vielleicht absichtlich vorenthalten hast. Doch laß mich lieber das Ganze als die Hälfte wissen. Also die Frau Reis ist wirklich fort und durch eine Frau Schuster ersetzt! Hoffentlich wird die Reis in einigen Tagen ihre Function wieder übernehmen können. Beruhigend war mir zu erfahren, daß Du gestern das Kindermädchen erwartetest; die Hofmann wirst Du natürlich noch behalten haben, da Lene auch fort ist und Rosel selbst für die Küche allein gewiß nicht ausreicht. – Grüße die Kinder viel tausend Mal, liebes Suschen und erfreue mich recht bald wieder durch einen Brief. Sei nur recht vorsichtig mit der Diät, daß die Kinder nicht zu viel und nichts was ihnen schaden könnte bekommen. Es regnet ebenso arg, daß ich doch lieber bis 8 Uhr zu Hause bleibe. Lebe wohl mein gutes und einziges Suschen