Berchtesgaden Montag 24. August 1863
Morgens
Liebes Suschen, Deinen letzten lieben Brief vom 20. und 21. August
erhielt ich gestern Morgen. Wie freue ich mich des raschen Fortgangs der Reconvalescenz unserer Kinder! Alles was Du mir über jedes einzelne schreibst hat mich gleich sehr erfreut und beruhigt und ich hoffe nun doch nächstens von den ersten Versuchen des Aufstehens zu hören und von dem voraussichtlichen Zeitpunkt der Übersiedlung. Denn in unserem Hause muß doch immer noch ein gefährlicher Ansteckungsstoff verbreitet sein. Wie die neue höchst bedauerliche Erkrankung der Frau Reis und die der Lene beweist, und ich bin gar nicht unbesorgt auch Deinetwegen und für die beiden Kleinsten, da Du nun so oft und so lange bei den Kranken verweilst. Eine große Wohltat wird das Kindermädchen für Dich sein, wenn gleich Du nur ungern die Sorge für den Kleinen mit ihr theilen willst, aber Du wirst doch nicht zugleich von den verschiedenen Seiten mehr so dringend in Anspruch genommen werden. Wie es eigentlich mit der Küche bestellt ist und wie viel Rosel zu leisten im Stande ist, hast Du mir nicht geschrieben.
Meinen letzten Brief gab ich am Freitag in Reichenhall auf die Post; er enthält den Bericht über die Taufe. Das Wetter war schauderhaft an disem und auch am folgenden Tage, Regen mit wenig Unterbrechung und dabei empfindliche Kälte, besonders hier in Berchtesgaden. Der hat 5 Tage gedauert! Erst gestern Morgen (am Sonntag) gingen die Wolken in die Höhe | und klärten sich die Berge; nun aber sahen dise ganz prachtvoll aus, die Häuser der Hochgebirge weit herunter beschneit und ganz wie mit Silber übergossen in der Sonne erglänzend! Denn die grünen Vorberge und Wälder und Thäler und der schäumende grüngefüllte Fluß in der Tiefe! Doch war es auch gestern noch kalt und erst heute haben wir wieder einen ganz schönen von der Sonne erhellten warmen Tag. Freilich ist es als ob man auf einmal von der Hitze des Sommers, welche bis heute vor 8 Tagen andauerte, in den Herbst versetzt worden wäre!
In Reichenhall besuchte ich Freitag Morgens zuerst die lieben
Eltern beim Frühstück, dann, nachdem ich beinahe bis 10 Uhr bei ihnen geblieben (auch Forstmeister Crailsheim fand sich ein), suchte ich draußen jenseits der Gradirhäuser
Flottwells auf. Leider war Frau Ella auch jetzt noch nicht für mich sichtbar, sie hat einige Tage im Bett zubringen müssen und war noch nicht ganz wohl. So haben sie die meiste Zeit, die sie sich für Berchtesgaden vorbehalten, in Reichenhall verbracht freilich bei einem Wetter, welches die Verzögerung sichtlich nicht bedauern ließ. Adalberts Absicht war heute (Montag) nachBerchtesgaden zu kommen und bis morgen zu bleiben; doch habe ich bis jetzt noch nichts von ihnen gesehen. Weiter ging ich nach St. Zeno und fand dort Giesebrecht und
Frau, die mich herzlich begrüßten; ich hielt mich lange bei ihnen auf und kam erst gegen Mittag hinauf auf die Höhe zu Onkel
Gottlieb, der eine sehr schöngelegene Wohnung inne hat. |
Der Onkel war nicht ganz wohl in Folge einer Erkältung; ein Frl. v. Gemmingen traf ich bei ihnen, die Knaben schaukelten sich draußen. Ich mußte eilen um zu rechter Zeit bei Max zu Tisch zu kommen, wo sich die beiderseitigen Eltern in Kost gegeben und Nachmittag 3 Uhr fuhr ich im Regenwetter wieder hierher zurück.
Von hier habe ich Dir nur wenig zu erzählen. Meine Tagesordnung läuft ganz regelmäßig ab; des Nachmittags versuchte ich es, wenn der Regen etwas nachließ, auf den nassen Wegen meinen Spaziergang zu machen, sonst saß ich viel zu Hause und las oder schrieb. Die Bäder habe ich auch bei dem kalten Wetter fortgesetzt und sie scheinen mir gut zu bekommen; mein Schlaf bessert sich, ich habe guten Appetit, werde aber beim Gehen bald müde. Auch Gesellschaft hatte ich in diesen Tagen an zwei Forstmeistern, von denen ich den einen, Oberforstmeister v. Stieglitz in Altenburg, einen Freund von Harnack, bereits im vorigen Jahr in Reichenhall kennen gelernt, der andre ist Forstmeister Mangold aus Stettin; beide werden zu bald fortgehen und auf Flottwells hoffe ich vielleicht vergebens. Übrigens bin ich halb und halb willens, wenn es mir hier auf die Länge zu einsam wird, noch nach Reichenhall hinüberzugehen; bleibt aber das Wetter gut, so darf ich auch hir auf häufige Besuche von Reichenhall aus rechnen.
Ich grüße die lieben Kinderlein allzumal recht herzlich. Wie gern hätte ich Dich und sie bei mir, wo die Kinder des Orts alle so frisch rund und rothbackig aussehen. Ich grüße Heyder und
Ziemßen und Dr. Dorsch und Rosel. Wie steht es denn mit Emilie? – |
Wenn Briefe an mich kommen, so mache sie nur alle auf um zu sehen, ob es nöthig sei sie mir zuzuschicken. Von den Erlangern siehst und hörst Du wohl nur wenig?
Sei tausend Mal gegrüßt, liebes Suschen von
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Berchtesgaden47.63108,13.0021634Markt im oberbayrischen Berchtesgadener Land mit Schloß der Könige von Bayern, nahe dem Königssee, circa 150 Kilometer südöstlich von München und etwa 25 Kilometer südlich von Salzburg gelegen.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Reiß, N. N.-Reiß, N. N., Kinderfrau im Haus der Familie Karl Hegels (1813–1901) in Erlangen.
Lene (Lena)Lene (Lena), Interimsdienstmädchen im Haus der Familie Karl Hegels (1813–1901) in Erlangen.
Hegel, Sigmund (Mundel, Mundulus, Munerle)Sigmund Hegel11657085718631945Hegel, Sigmund (1863–1945), sechstes Kind (zweiter Sohn) Karl (1813–1901) und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878), Mitglied des Corps Onoldia in Erlangen, Chemiker, Kaiserlicher Geheimer Regierungsrat am Reichspatentamt in Berlin.
Hegel, Sophia (Sophiechen)Sophie Hegel-18611940Hegel, Sophia (Sophiechen) (1861–1940), vierte und jüngste Tochter Karl und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878); sie blieb unverheiratet und absolvierte Stationen in München und Göttingen in den Haushalten der Schwestern Luise Lommel, geb. Hegel (1853–1924), und Anna Klein, geb. Hegel (1851–1927), später eine ca. 20 Jahre währende Tätigkeit als Lehrerin/Erzieherin an einem englischen Mädchenpensionat in Malvern, ab 1910 wieder in der Familie ihrer schwerhörigen Schwester Anna Klein lebend und dort vor allem in der Erziehung und Krankenpflege helfend; spätere Arbeit im sozialen Bereich in Göttingen.
Rosel-Rosel, Hilfsperson im Erlanger Haus Karl Hegels (1813–1901).
Flottwell, Adalbert JuliusAdalbert Julius Flottwell11663105818291909Flottwell, Adalbert Julius (1829–1909), in Marienwerder geborener Sohn Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und seiner zweiten Ehefrau Auguste Flottwell, geb. Lüdecke (1794–1862), der nach seinem 1849 begonnenen Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin preußischer Beamter und Politiker wurde. Verheiratet mit Ella (Else) Flottwell, geb. Oppen-Gatersleben (1841–1916), war er von 1861 bis 1868 Landrat von Meseritz in der Provinz Posen, gleichzeitig von 1866 bis 1868 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses, dann von 1868 bis 1872 Landesdirektor im Fürstentum Waldeck-Pyrmont, von 1872 bis 1875 Kabinettsminister im Fürstentum Lippe, von 1875 bis 1880 Regierungspräsident in Marienwerder, dazu von 1878 bis 1881 Mitglied des Deutschen Reichstages, sowie ab 1880 Präsident des seit 1871 bestehenden preußischen Bezirks Lothringen in Metz. Bis 1902 war er schließlich Direktor der Schlesischen Bodenkreditbank.
Giesebrecht, Wilhelm FriedrichWilhelm Giesebrecht
HiKo
11871736718141889Giesebrecht, Wilhelm Friedrich (1814–1889), in Berlin geborener Historiker, der 1851 außerordentlicher Professor der Geschichte an der Universität Königsberg wurde, von 1857 bis 1861 dort Ordinarius und anschließend bis 1889 an der Universität München war. Im Jahre 1858 wurde er Gründungsmitglied der Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften und von 1862 bis 1889 deren Sekretär. Im Jahre 1875 wurde er Mitglied der neugeschaffenenen Zentraldirektion der MGH in Berlin und wurde Mitglied des Verwaltungsrates und Gelehrtenausschusses des GNM in Nürnberg.
Gemmingen, N. N. Fräulein GemmingenGemmingen, N. N., Fräulein.
Tucher, Sigmund Georg KarlSigmund Georg Karl Tucher116154400318481931 Tucher, Sigmund Georg Karl (1848–1931), Sohn Christoph Karl Gottlieb Sigmund Tuchers (1798–1877) und Thekla Therese Eleonore Tuchers (1813–1901), Rittergutsbesitzer.
Stieglitz, N. N.-Stieglitz, N. N., Oberforstmeister aus Altenburg.
Harnack, Theodosius AndreasOtto Harnack11648335018171889Harnack, Theodosius Andreas (1817–1889), in Sankt Petersburg geborener deutsch-baltischer evangelisch-lutherischer Theologe, der von 1834 bis 1837 an der estnischen Universität Dorpat studierte und nach einer Hauslehrertätigkeit sein Studium an den deutschen Universitäten Berlin, Bonn und Erlangen fortsetzte. Im Jahre 1843 in Dorpat Privatdozent geworden, war er dort 1847/48 außerordentlicher Professor für Praktische Theologie und von 1848 bis 1853 ordentlicher Professor für Praktische und Systematische Theologie. Von 1853 bis 1866 war er Ordinarius an der Universität Erlangen und darnach bis 1875 wieder in Dorpat. In erster Ehe war er mit Maria Harnack, geb. Ewers (1827–1857), verheiratet und wurde Vater von Zwillingssöhnen, des Theologen Adolf Harnack (1851–1930) und des Mathematikers Axel Harnack (1851–1888), sowie des Pharmakologen Erich Harnack (1852–1915) und des Literaturwissenschaftlers Otto Harnack (1857–1914). Die Mutter seiner Kinder starb am 23. November 1857 bei der Geburt Otto Harnacks.
Mangold, N. N.-Mangold, N. N., Forstmeister aus Stettin.
Heyder (Heider), KarlKarl Heyder11678981618121885Heyder (Heider), Karl (1812–1885), war ab 1839 Privatdozent, ab 1847 außerordentlicher und von 1852 bis 1885 ordentlicher Professor der Philosophie an der Universität Erlangen.
Ziemssen, Hugo WilhelmHugo Wilhelm Ziemssen11759745718291902Ziemssen, Hugo Wilhelm (1829–1902), in Greifswald geborener Mediziner, der von 1848 bis 1854 an den Universitäten Greifswald, Berlin und Würzburg studierte, 1854 in Greifswald promoviert wurde, sich dort 1856 habilitierte und 1861 außerordentlicher Professor wurde. Von 1863 bis 1874 war er ordentlicher Professor für Innere Medizin, Spezielle Pathologie und Therapie an der Universität Erlangen und wechselte dann bis zu seinem Tode auf einen Lehrstuhl an der Universität München.
Dorsch, GustavGustav Dorsch-1830Dorsch, Gustav (* 1830), im Jahre 1855 an der Universität Erlangen zum Dr. med. promoviert, Hausarzt der Familie Hegel in Erlangen.
Emilie-Emilie, Hilfsperson im Erlanger Haus Karl Hegels (1813–1901).
Reichenhall47.7222676,12.8760923Kurort in den bayerischen Alpen, etwa 15 Kilometer südwestlich von Salzburg gelegen.In Oberbayern im Berchtesgadener Land gelegener Kurort, circa 23 Kilometer westlich von Salzburg gelegen.
St. Zeno47.7312042,12.8893931Ortsteil von Reichenhall um das ehemalige Kloster St. Zeno der Augustiner-Chorherren herum.
Altenburg50.9852411,12.4340988Etwa 250 Kilometer südwestlich von Berlin gelegene wettinische Residenzstadt im Osten Thüringens.
Stettin53.4301818,14.5509623Etwa 140 Kilometer nordöstlich von Berlin an der Mündung der Oder in die Ostsee gelegene alte Residenz- und Hansestadt, die 1815 zur Hauptstadt der preußischen Provinz Pommern und zu einem verkehrsgünstig gelegenen Industriestandort wurde.
Gradierhäuser, GradirhäuserDie später zu einem Gradierwerk weiterentwickelten Anlagen, in denen Sole über Reisigwände herabrieselt, die bei Sonneneinstrahlung die Verdunstung fördert. Das Einatmen der so angereicherten salzhaltigen Luft in einer Art Freiluftinhalatorium hat heilende Wirkung bei Atemwegserkrankungen.