Berchtesgaden 29. August
1863.
Morgens 7 Uhr.
Geliebtes Suschen!
Deine letzten guten Nachrichten, die ich hier am Mittwoch Morgen erhielt, waren mir doppelt willkommen, weil ich sie sogleich den lieben Eltern mitteilen konnte, die gerade zu der Zeit hier waren: Es kam viel Besuch an einem Tage zusammen, am Dinstag meine ich, denn es war der zweite nach dem Aufhören des Regenwetters, ein sehr schöner Tag und die Reichenhaller glaubten nicht länger warten zu dürfen, um das schöne Berchtesgaden und den herrlichen Königssee zu sehen. Auch zeigten sich unsere Berge gerade in voller Pracht mit dem frisch gefallenen Schnee.
Ich schrieb Dir am Montag, daß ich Flottwells erwarte; sie kamen auch noch an dem Tag, ich erfuhr es aber erst gegen Abend, eilte zur Post, wo ich gewöhnlich zu Abend esse und wo sie logirten; aber konnte nur Adalbert sprechen, die junge Frau war wieder nicht wohl und hatte sich zur Ruhe begeben. Endlich am andern Morgen beim Frühstück sah ich sie, das wir zusammen auf dem balcon nahmen, ein zierliches Frauchen, ohne Ansprüche, doch nicht gar so zart und anmuthig wie ich sie mir nach allem vorstellte. Sie machten | am Vormittag die Parthie nach dem Königssee: ingleichen wurde mir auf den Nachmittag der Besuch der Eltern und der Münchener nebst Crailsheims und der von Giesebrecht fast gleichzeitig angekündigt. Über der Erwartung dieser lieben Gäste unterblieb unser gemeinschaftlicher Spaziergang: Giesebrechts kamen am Nachmittag, die Eltern und die Andern erst Abends, nachdem jene abgefahren, so daß ich doch die einen nach den andern empfangen und mich ihnen ungetheilt widmen konnte. Die Eltern hatten eine größere Tagesparthie über die Ramsau und den Königssee ausgeführt und blieben die Nacht hier in Berchtesgaden, während die Münchner und Crailsheims noch nach Reichenhall zurückfuhren. Wir besehen am andern Morgen die königliche Villa, dann ging ich ins Bad und Mittags trennten wir uns wieder: mit Vaters Fuß geht es immer besser, so daß er schon kleinere Spaziergänge unternehmen kann, und die gute Mutter hatte den Tag vorher den Weg vom Königssee bis hier, beinahe 1 ½ Stunde, ohne Beschwerde mit den Kindern und Crailsheims zu Fuß zurückgelegt. Mit Flottwells waren wir noch den Abend und Morgen zusammen; am lezteren aber reisten sie schon wieder ab. Sie hatten eigentlich mehrere Tage hier bleiben wollen, dann aber beschlossen sie eine Tour über Golling, Gastein und
Ischl auszuführen, zu welchem Zweck sie einen Wagen auf 5 Tage nahmen, und ich bedauerte sie nur so kurz gesehen zu haben. Adalbert klagte, daß ihm der Aufenthalt und die badecur in Reichenhall | nach Franzensbad nicht gut bekommen und sah auch nicht so wohl wie früher aus; sein Zustand scheint nicht unbedenklich. –
So eben kommt Dein lieber Brief vom 27. August Mit der Einlage von Annchen, die mich ebenso gerührt als erfreut hat. Gott sei Dank, daß es so gut steht! Du hast Recht, daß auch Deine Briefe und guten Nachrichten wesentlich zu meiner Erheiterung und so auch zu meiner Erholung beitragen. Sehr ergötzlich war mir der frohe Hasenschmaus. Nun wird es ja doch endlich zu den ersten Versuchen des Aufstehens kommen; ich hatte erwartet schon in diesem Briefe davon zu hören! Annchen schreibt, am Sonntag würde sie aufstehen. Es ist mir lieb, daß das Kindermädchen sich gut, wenn auch etwas langsam anläßt und
Emilie die Dienste bei den Kindern statt der Wärterin besorgen kann: immerhin wirst Du bisweilen die liebe Lene vermissen. Es wird wohl noch mehr als eine Woche vorübergehen, ehe die Übersiedlung nach Nürnberg stattfinden kann; doch hoffe ich auf alle Fälle Euch dort anzutreffen, wenn ich zurück komme und ich denke nicht länger mehr als 14 Tage auszubleiben. Jetzt aber will ich in mein Morgenbad zur Wäscherin am Fluß hinuntergehen.
Fortsetzung um 11 Uhr. Zwischen 11 und 12 Uhr bin ich gewöhnlich auf meinem Zimmer, um auszuruhen und die Mittagswärme vorübergehen zu lassen; dann esse ich zu Mittag entweder in der Post oder im Neuhaus, wo es besser ist, bin wieder eine Stunde zu Haus und lese oder schreibe; dann trete ich meinen Nachmittagsspaziergang an. Gestern ging ich bei herrlichem Wetter nach 3 Uhr an den Königssee und ließ mich bei Abendbeleuchtung bis zu dem Kesselfall fahren, um ½ 8 Uhr war ich zurück; gleich darauf ging der | volle Mond über den Berg herauf; es war sehr schön und ich saß noch lange auf dem balcon der Post einsam in Betrachtung versunken. Bisweilen beneide ich die Glücklichen, die mit ihren Frauen und Kindern reisen und sich zusammen an allen diesen Herrlichkeiten erfreuen, die ich allein für mich nicht recht zu genießen vermag. Ich lebe in der That nur um der Kur willen hier und nehme das andere nur als ein Beiläufiges mit.
Mit der mitgenommenen Lectüre bin ich beinahe zu Ende und ich muß Dich um eine Nachsendung bitten, und zwar sogleich. Du wirst unten bei meinem Pult auf dem Boden die ganze Reihe der Bände von Thiers hist. du consulat etc. finden; wovon jedoch diejenigen fehlen, die ich schon mitgenommen habe. Ich bitte Dich mir noch Band I und XIV (1 und 14) hierher zu senden und wenn Du die leicht finden kanst, eine Neue broschure über Reichenhall und Berchtesgaden beizulegen. Diese wird in meinem Bücherschrank im obersten Fach linker Hand, wo Reisebeschreibungen und Städtepläne beisammen sind stehen: wenn Du sie da nicht findest, dann laß das weitere Suchen.
Mit meinem Befinden geht es gut; doch ist der Schlaf unruhig; vermutlich von den Bädern, und er wird es mehr, wenn ich mich auf meinen Spaziergängen etwas mehr angreife, wie z. B. gestern, denn man ist durch die Kur doch schon ohnehin ermüdet. Übrigens hoffe ich auf guten Erfolg im ganzen.
Möge es Dir gut gehen, liebes Suschen, du hältst Dich so tapfer! Könntest Du nur auf acht Tage abkommen und mich zu Ende meiner Kur abholen! Doch es kann wohl nicht sein, denn wer sollte Deine Stelle vertreten? Lebe wohl, meine innigst Geliebte!
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Berchtesgaden47.63108,13.0021634Markt im oberbayrischen Berchtesgadener Land mit Schloß der Könige von Bayern, nahe dem Königssee, circa 150 Kilometer südöstlich von München und etwa 25 Kilometer südlich von Salzburg gelegen.
Privatbesitz
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Privatbesitz
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Flottwell, Adalbert JuliusAdalbert Julius Flottwell11663105818291909Flottwell, Adalbert Julius (1829–1909), in Marienwerder geborener Sohn Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und seiner zweiten Ehefrau Auguste Flottwell, geb. Lüdecke (1794–1862), der nach seinem 1849 begonnenen Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin preußischer Beamter und Politiker wurde. Verheiratet mit Ella (Else) Flottwell, geb. Oppen-Gatersleben (1841–1916), war er von 1861 bis 1868 Landrat von Meseritz in der Provinz Posen, gleichzeitig von 1866 bis 1868 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses, dann von 1868 bis 1872 Landesdirektor im Fürstentum Waldeck-Pyrmont, von 1872 bis 1875 Kabinettsminister im Fürstentum Lippe, von 1875 bis 1880 Regierungspräsident in Marienwerder, dazu von 1878 bis 1881 Mitglied des Deutschen Reichstages, sowie ab 1880 Präsident des seit 1871 bestehenden preußischen Bezirks Lothringen in Metz. Bis 1902 war er schließlich Direktor der Schlesischen Bodenkreditbank.
Giesebrecht, Wilhelm FriedrichWilhelm Giesebrecht
HiKo
11871736718141889Giesebrecht, Wilhelm Friedrich (1814–1889), in Berlin geborener Historiker, der 1851 außerordentlicher Professor der Geschichte an der Universität Königsberg wurde, von 1857 bis 1861 dort Ordinarius und anschließend bis 1889 an der Universität München war. Im Jahre 1858 wurde er Gründungsmitglied der Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften und von 1862 bis 1889 deren Sekretär. Im Jahre 1875 wurde er Mitglied der neugeschaffenenen Zentraldirektion der MGH in Berlin und wurde Mitglied des Verwaltungsrates und Gelehrtenausschusses des GNM in Nürnberg.
Emilie-Emilie, Hilfsperson im Erlanger Haus Karl Hegels (1813–1901).
Lene (Lena)Lene (Lena), Interimsdienstmädchen im Haus der Familie Karl Hegels (1813–1901) in Erlangen.
Thiers, Adolphe11880193717971877Thiers, Adolphe (1797–1877), in Marseille geborener französischer Politiker und Historiker, der von 1871 bis 1873 erster Präsident der Dritten Republik Frankreichs war. Zu seinen wissenschaftlichen Hauptwerken gehört seine zwischen 1845 und 1862 erschienene 20bändige „Histoire du Consulat et de l‘Empire“.
Heyder (Heider), KarlKarl Heyder11678981618121885Heyder (Heider), Karl (1812–1885), war ab 1839 Privatdozent, ab 1847 außerordentlicher und von 1852 bis 1885 ordentlicher Professor der Philosophie an der Universität Erlangen.
Ziemssen, Hugo WilhelmHugo Wilhelm Ziemssen11759745718291902Ziemssen, Hugo Wilhelm (1829–1902), in Greifswald geborener Mediziner, der von 1848 bis 1854 an den Universitäten Greifswald, Berlin und Würzburg studierte, 1854 in Greifswald promoviert wurde, sich dort 1856 habilitierte und 1861 außerordentlicher Professor wurde. Von 1863 bis 1874 war er ordentlicher Professor für Innere Medizin, Spezielle Pathologie und Therapie an der Universität Erlangen und wechselte dann bis zu seinem Tode auf einen Lehrstuhl an der Universität München.
Dorsch, GustavGustav Dorsch-1830Dorsch, Gustav (* 1830), im Jahre 1855 an der Universität Erlangen zum Dr. med. promoviert, Hausarzt der Familie Hegel in Erlangen.
Schmidtlein, Eduard JosephEduard Joseph Schmidtlein11679424017981875Schmidtlein, Eduard Joseph (1798–1875), in Würzburg geborener Jurist, der von 1816 bis 1820 an den Universitäten Würzburg, Göttingen und Berlin Rechtswissenschaften studierte. Als außerordentlicher Professor 1823 an die Universität Landshut berufen, wechselte er 1826 mit ihr nach München und lehrte dort von 1828 bis 1834, bevor er dann bis 1870 ordentlicher Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Erlangen war. Er war in erster Ehe mit Clara Göschen (1806–1840) verheiratet, einer Tochter des Juristen Johann Friedrich Ludwig Göschen (1778–1837). Aus seiner 1842 geschlossenen zweiten Ehe mit Therese Müller (1815–1872) stammt u. a. die Tochter Marie Schmidtlein.
Königssee47.55510515,12.976567195707304Gebirgssee östlich des Watzmanns im Berchtesgadener Land.
Ramsau47.6070066,12.8968243Gemeinde, südwestlich von Berchtesgaden gelegen, zugleich Bezeichnung für das ganze Tal zwischen Berchtesgaden und dem Hintersee.
Reichenhall47.7222676,12.8760923Kurort in den bayerischen Alpen, etwa 15 Kilometer südwestlich von Salzburg gelegen.In Oberbayern im Berchtesgadener Land gelegener Kurort, circa 23 Kilometer westlich von Salzburg gelegen.
Golling47.5967154,13.1674472Im Salzburgischen gelegene Gemeinde an der Salzach, etwa 25 Kilometer südlich von Salzburg.
Gastein (Wildbad)47.1144954,13.1352653Ort am Südende des 40 Kilometer langen Tals der Gasteiner Ache, am Fuße des circa 2500 Meter hohen Graukogels in den Hohen Tauern gelegen, entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem berühmten internationalen Kurbad, dessen Anfänge zu Beginn der 1830er Jahre liegen.
Ischl47.7115299,13.6239333Etwa 260 Kilometer westlich von Wien und etwa 50 Kilometer südöstlich von Salzburg gelegenes österreichisches Kur- und Solebad an der Traun im Salzkammergut, seit Mitte des 19. Jahrhunderts Sommerresidenz des österreichischen Kaisers.
Franzensbad50.1223741,12.3488519Westböhmisches Kurbad, nach seinem Begründer, dem Römischen Kaiser Franz II. (1768-1835), benannt, etwa sieben Kilometer nördlich von Eger gelegen.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Kesselfall47.5915997,12.9855609Wasserfall am Königssee.
Königliche Villa (Berchtesgaden)Vom bayerischen König Maximilian II. Joseph (1811-1864) in Auftrag gegebene und 1853 fertiggestellte Villa, die neben dem Königlichen Schloß im Marktzentrum Berchtesgadens als Sommerresidenz für die königliche Familie diente.