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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, München, 8. Oktober 1863

Liebes Suschen!

Deinen lieben mir bereits durch Kern angekündigten Brief1 fand ich vorgestern Abend vor. Ich habe ihn nicht sofort beantwortet, um mich erst noch über die Zeit meiner Abreise von hier zu entscheiden. Diese wird sich jetzt noch bis Sonntag2 Morgen verzögern. Zwar werden unsere Sitzungen3 schon morgen Freitag Nachmittag geschlossen, worauf ein Diner in den Vier Jahreszeiten zum Abschied folgen soll; aber ich wünsche doch noch Sonnabend hier zu bleiben, um wenigsten den einen Tag für mich und München zu gewinnen, denn von München habe ich bisher fast nichts als die Straßen, die Akademie, wo unsere Sitzungen stattfinden und die Weinhalle4 gesehen; der ganze Lärm des Octoberfestes ist beinahe unbeachtet an mir vorübergegangen. Übrigens lebe ich unruhig genug, da es außer den Sitzungen Besuche zu machen oder zu empfangen giebt und sonst noch Plage genug. Glaube aber nicht, daß ich mich davon besonders angestrengt finde. – Ich will in der Kürze erzählen, was ich seit Sonntag Morgen, da ich Dir schrieb5, getrieben. Der Ausflug am Sonntag war sehr gelungen, das Wetter schön und warm. Ranke fehlte bei der Parthie, da ihn der König am Morgen empfing, auch Häusser war nicht dabei, weil er Frau und Tochter mit sich hat, welche das Octoberfest vorzogen; so blieben Pertz, Waitz, Lappenberg, Stälin, Giesebrecht und ich. Die Eisenbahn brachte uns nach Starnberg, das Dampfschiff nach Possenhofen und Feldaffing, wo der König sich eine neue Villa am See erbaut.6 Dort speisten wir im Freien unter der Laube, den Neuen See und die Alpenkette mit Schnee hie und da bedeckt vor uns. Der Spaziergang, den wir nachher antraten, zog uns etwas zu weit in die Ferne, so daß wir auf dem Rückwege das Dampfboot, welches in Possenhofen anlegt, versäumten. Wir gingen also von da zu Fuß, aber über eine Stunde, am Abend nach Starnberg zurück; die Abendbeleuchtung auf dem See war herrlich. Um 8 Uhr langten wir wieder in München an und ich konnte noch zum Onkel gehen,wo ich die Familie, auch Wilhelmine, die den Abend zuvor angekommen, bei ihm antraf. Wilhelmine sah recht gut aus und ihrem Kind geht es auch gut. Onkel und Tante befinden sich wohl. Ich nahm eine Einladung zum folgenden Mittag bei ihnen an, kam aber eine Stunde zu spät, da unsere Sitzung bis 2 Uhr dauerte. Am Dinstag7 Nachmittag erholte man sich von den Anstrengungen der Sitzung bei einer Excursion nach Nymphenburg und Bad Gern, welches dort in der Nähe liegt. Dr. Steub, der bekannte Schriftsteller, hatte die Parthie arrangiert und das Souper mit Rebhühnern bestellt. Auch die Frauen, die von Häusser und Steub, fanden sich dahin ein und die zwei würtembergischen Deputirten zur Zollconferenz8, ein Paar steife Herren, die aber durch die Heiterkeit der Gesellschaft doch einigermaßen mit fortgerissen wurden. Man ging zimlich spät bei Nacht und Nebel zu Fuß wieder zurück. Ranke ist wirklich unverwüstlich und das bei 67 Jahren! Ebenso Pertz und Lappenberg; der letztere ist 69! – Gestern Mittwoch Abends erholten wir uns wieder bei Giesebrecht, der ein splendides Souper gab, Liebig und Staatsrath Maurer waren unter den Gästen, auch die jungen Leute Kluckhohn und Kern. Der letztere ist heute morgen wieder fort. Man kam spät nach Hause und heute morgen dauerte die Sitzung wieder bis 2 Uhr; es blieb nur noch eine Stunde des schönen warmen Tages übrig, die ich dazu benutzte, um die Gemäldeausstellung9 zu besuchen; ich konnte sie aber bis zum Dunkelwerden nur zur Hälfte sehen. Heute Abend sind wir auf’s Schloß zum  Souper eingeladen, welches wir dort ohne den hohen Wirth einnehmen sollen: General Spruner, unser College in der Commission wird dieselben vertreten. Endlich morgen letzte Sitzung bis 3 Uhr und Abschiedsdiner! In der That zu viel des Guten und der Erholung!

Du, liebe Susi, wirst morgen in Erlangen Sitzung halten bei Betten Reinigen oder Stopfen. Du richtest uns das Haus wieder ein, wo wir uns gemüthlich einwintern wollen. Hoffentlich wird unser Verweilen in Nürnberg nur noch kurz sein; ich sehne mich nach der gewohnten Ordnung und sie wird uns Allen wohl thun. Ich komme also mit dem Eilzug Mittags in Nürnberg an; vielleicht treffe ich auch noch die lieben Eltern, doch muß ich es für unwahrscheinlich halten. Ich grüße sie herzlichst, ebenso die Geschwister und unsere lieben Kinder und freue mich Dich und sie wiederzusehen.

Gervinus und Frau sind hier, doch konnte ich bis jetzt nur ihn auf ein Paar Minuten sprechen und er hatte leider einen argen Schnupfen; daher er auch morgen nicht an unserem Diner Theil nehmen wird. Ich denke aber beide wenigstens übermorgen länger zu sehen. Auch zu Onkel und Tante bin ich nicht wieder gekommen.

Lebewohl, meine Herzens Susi –
Dein Karl.