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Karl Hegel an Matthias Lexer, Erlangen, 18. Dezember 1863

Werthester Herr Professor!1

Ihre Anfrage in Betreff der Mülich’schen Chronik setzt mich in Verlegenheit, da ich eine bestimmte Entscheidung ohne genaue Kenntniß der Sache unmöglich treffen kann. Denn ob und in welcher Weise die späteren Zusätze zu Mülich zu geben seien, hängt von der Beurtheilung ihres inneren historischen Werthes ab. Vorerst schien es mir wünschenswerth, den Text der Mülich’schen Chronik bis 1487 rein in seiner ursprünglichen Fassung zu haben. Dann kommen die Zusätze bei Demer in Betracht. Auf den ersten Blick scheint es nicht zu Gunsten dieser Compilation, daß sie, wie Sie schreiben, die Jahre gänzlich unter einander gewürfelt hat. Sollte es sich dennoch bei näherer Untersuchung herausstellen, daß sie gleichwohl werthvolle Zusätze zu der früheren Chronik bis 1487 enthält, so würde es sich fragen, ob diese sich so eng an den Text der letzteren anschließen, wie z. B. die der zweiten Redaction von Ulman Stromer an die ältere, oder ob sie, wie ich für wahrscheinlicher halte, zu einzelnen Jahren neue für sich bestehende Nachrichten hinzufügen; ferner ob sie sehr zahlreich sind oder im Ganzen nur wenig ausgeben? Wenn meine Annahme richtig ist, daß diese Zusätze ganz selbständig erscheinen und sie in keinen inneren Zusammenhang mit der früheren Chronik gebracht sind: so würde ich es – Alles nur vorläufig gesagt – für zweckmäßig erachten, sie auszusondern und insofern sie nicht etwa bloß werthlose Spreu oder Excerpte aus früheren Chroniken enthalten, besonders zu geben, daß nicht als Nachträge etwa in Anhang, sondern sie der Fortsetzung der Demer’schen Chronik von 1487 an bis 1499 vorauszuschicken, und ebenso würde es dann auch mit der späteren Chronik und deren Fortsetzung bis 1527 zuhalten sein.

Ob sich dies so, wie ich mir denke, gut machen läßt, werden Sie bald aus gewonnener näherer Kenntniß der Handschriften beurtheilen können, ehe Sie an die Ausführungen selbst gehen, und ersuche ich Sie daher meinen Vorschlag zu prüfen und mir Ihre Ansicht darüber mitzutheilen. Im Fall es sich durch die Ausführbarkeit empfehlen würde, hätten Sie ziemlich glatte Arbeit, da Sie zuerst allein den Mülich’schen Text festzustellen, die Zusätze bei Demer aber nur für sich zu sammeln brauchten. Von den späteren in der dritten Compilation könnten wir vorläufig ganz absehen.

Wegen des Anonymus II und der Concordanz will ich heute noch, wenn es mir möglich ist, an Frensdorff schreiben. Ich hätte sogleich an Sie und ihn geschrieben, wenn ich nicht in den letzten Tagen durch meine Vorlesung und lange Sitzungen dazu zu sehr beschäftigt gewesen wäre.

Danken Sie Gott, daß Sie Ihre deutsche Grammatik nicht vor ein paar Zuhörern, an denen Sie sich keine Freude versprechen konnten, zu halten brauchen: es giebt keine größere Tortur für einen Docenten als diese, während es umgekehrt auf die Zahl nicht ankommt, wenn man nur sieht, daß man die Leute fördert und daß sie auf die Sache mit Eifer und Lust eingehen. Wie viel neue Vorlesungen zu schaffen machen, weiß ich selbst sehr gut und habe es in den drei letzten Semestern, wie auch in diesem, aufs neue erfahren, da man als gewissenhafter Docent es nicht bloß den Zuhörern, sondern vor allem sich selbst recht machen will.

Die bevorstehenden Ferien werden Ihnen daher gewiß recht willkommen sein und wünsche ich Ihnen, so gut es in der Form und bei peinlicher Trennung von Ihrer Frl. Braut, doppelt peinlich in solcher Zeit! gehen mag, recht angenehme Tage wenigstens der Erholung und inneren Sammlung.

Ich werde zu den Festtagen2 mit den Meinigen nach Nürnberg hinübergehen, aber zwischen Weihnachten und Neujahr wieder hier sein.

Kern ist mit dem Monstrum von Register immer noch beschäftigt, während wir im October glaubten, daß er bis Neujahr zwei neue Stücke für den 3. Band ausgearbeitet haben könnte. Dieser wird sonst hauptsächlich den Meisterlin mit seinen Zuthaten bringen und Hirzel wünscht dringend, daß der 3. Band etwa 10 Bogen weniger stark sein möchte als der zweite.

Sie werden gelesen haben, daß Wilhelm Wackernagel Mitglied der historischen Commission geworden ist, und ohne Zweifel die Wahl billigen. Aber was sagt man zu Döllinger?3

Hochachtungsvoll und ergebenst
der Ihrige
Hegel