München, 29. September
1864
Morgens 8 Uhr
Liebste Susi!
Du wirst verlangen zu hören, wie es mir geht. Ich bin wohl auf und denke an Dich und unsere Kinder.
Der Kurierzug brachte uns mit großer Schnelligkeit unaufhaltsam – nicht einmal in Augsburg konnte man sich zum Essen niederlassen – bis Nachmittag 4 Uhr hierher. Das Wetter ist wunderschön, aber kalt. Sehr auffallend war uns beim Aussteigen auf dem hiesigen Bahnhof die frische Kälte der hiesigen Luft. Abends besuchten wir – ich meine immer Wegele und mich, da wir beinahe unzertrennlich sind – Giesebrecht, den wir glücklich zu Hause trafen, von welchem und seiner Frau ich sogleich begrüßt wurde. Ein Theil der auswärtigen Commissionsmitglieder, unter denen auch Stälin, der mit uns in demselben Gasthof (dem Rheinischen Hof) wohnt, war bereits Tags zuvor angekommen und fanden sich am Abend bei Ranke zusammen, wo ich sie aufsuchte. Seine hübsche Tochter, eine glückliche Braut, machte die Honneurs beim The.
Gestern Morgen wurde zuerst die Bibliothek besucht, dann gingen wir um 10 in die Sitzung, bei welcher sich auch die neu erwählten Mitglieder – Arneth aus Wien, Maurer und Döllinger von hier – einfanden. Ranke hielt einen sehr interessanten Vortrag, in dem er sich ausführlich über | die Persönlichkeit des verstorbenen
Königs verbreitete. Nächst Giesebrecht als Secretär kam zuerst die Reihe an mich Bericht über meine bisherigen wie die bevorstehenden Arbeiten zu erstatten. Nach Schluß der Sitzung um ½ 2 Uhr wurde gegessen, dann ein gemeinschaftlicher Spaziergang mit Pertz, Waitz, Lappenberg nach der Theresienwiese unternommen. Die Abendbeleuchtung war wunderschön, die Wiese mit den Vorbereitungen zum Octoberfest sehr belebt, der Gebirgskranz in seinen duftigen Umrissen klar zu schauen. Nachher machte ich zuerst noch einige dringende Besuche, unter anderem bei Staatsrath v. Maurer, der uns zu heute Abend eingeladen hat, und dann ging ich – erst gegen ½ 8 Uhr – was mir sehr am Herzen lag zum Onkel. Ich erwartete ihn nicht zu Hause zu treffen, da ich beim Vorübergehen am Tage das Fenster des Hauses mit Marquisen verschlossen gesehen. Doch waren sie da und eben im Begriff auszugehen, nachdem sie erst vor wenigen Stunden aus Miesbach zurückgekehrt waren. Sie gingen zu Harsdorfs und ich mit ihnen. Mit ihnen gleichfalls Frau Tholuck, die seit einigen Tagen zum Besuch schon in Miesbach bei ihnen war. Ich war überrascht von der ruhigen ergebenen Stimmung, in der ich sie alle traf. Mit dem Onkel selbst habe ich nur zwei Worte über den Todesfall gewechselt, auf dem Wege zu Harsdorfs sprach ich mehr mit der Tante darüber und erfuhr | die Details der Krankheit. Da die Ärzte hier das Nervenfieber nicht für ansteckend erklären, so wurden auch gar keine Vorsichtsmaßregeln getroffen. Bei Harsdorfs war die Unterhaltung belebt und beinahe heiter: es wurde warm gegessen und Punsch getrunken. Erst um ½ 21 Uhr trennte man sich.
So ist mein bisheriger Zeitverlauf gewesen. Das künftige Schicksal der Commission ist noch gänzlich unbestimmt und Niemand, wahrscheinlich auch das königliche Cabinet selbst nicht, weiß was aus ihr werden wird. Doch sind die auswärtigen Mitglieder entschlossen den Fortbestand derselben, wenn nicht in Bayern, anderswo zu sichern. In den anderen Regionen unseres Landes herrscht zur Zeit noch völlige Anarchie und ist Alles unsicher geworden. Der junge König scheint nur seinem Vergnügen zu leben. Da er erst am Sonntag Mittag zum Octoberfest hier eintreffen wird, so ist es durchaus unwahrscheinlich, daß wir ihn sehen. Auch der Minister v. Koch, der nach Hohenschwangau berufen wurde, war gestern noch nicht zurück. Man spricht sogar von einer neuen Ministerveränderung, bei welcher Koch das Innere erhalten würde. Es ist ein seltsamer Zustand! Niemand weiß wo aus und ein und was draus werden solle! –
Ich hoffe recht bald Nachricht von Dir zu erhalten, heute oder morgen. Wie lange unsere Sitzungen dauern werden, ist noch nicht zu übersehen; möglich daß wir schon am Sonnabend zum Schluß kommen und am Sonntag einen gemeinschaftlichen Ausflug unternehmen. Jedenfalls schreibe ich Dir noch vorher. – Tausend Grüße an die Kinderlein. Lebe wohl liebste Susi und denke an Deinen Getreuen in der Ferne
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut: 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Eine Chronik, München 2008.
Neuhaus
, 150 Jahre Historische Kommission
2008
Wegele, Franz XaverFranz Xaver Wegele
HiKo
11930313218231897Wegele, Franz Xaver (1823–1897), in Landsberg am Lech geborener Historiker, der an den Universitäten München und Heidelberg studierte und sich im Jahre 1849 habilitierte. Von 1851 bis 1857 war er außerordentlicher Professor der Geschichte an der Universität Jena, von 1857 bis zu seinem Tode ordentlicher Professor an der Universität Würzburg. Im Jahre 1858 gehörte er, ein Freund Karl Hegels (1813–1901), zu den Gründungsmitgliedern der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und war von 1873 bis 1897 einer der Redakteure bei der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB).
Giesebrecht, Wilhelm FriedrichWilhelm Giesebrecht
HiKo
11871736718141889Giesebrecht, Wilhelm Friedrich (1814–1889), in Berlin geborener Historiker, der 1851 außerordentlicher Professor der Geschichte an der Universität Königsberg wurde, von 1857 bis 1861 dort Ordinarius und anschließend bis 1889 an der Universität München war. Im Jahre 1858 wurde er Gründungsmitglied der Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften und von 1862 bis 1889 deren Sekretär. Im Jahre 1875 wurde er Mitglied der neugeschaffenenen Zentraldirektion der MGH in Berlin und wurde Mitglied des Verwaltungsrates und Gelehrtenausschusses des GNM in Nürnberg.
Stälin, Christoph FriedrichChristoph Friedrich Stälin
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11720279718051873Stälin, Christoph Friedrich (1805–1873), in Calw geborener Bibliothekar und Historiker, der von 1821 bis 1825 an den Universitäten Tübingen und Heidelberg Philosophie, Theologie und Philologie studierte und danach in den Dienst der Königlichen Öffentlichen Bibliothek in Stuttgart eintrat, deren Direktor er 1869 wurde. Im Jahre 1858 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Ranke, LeopoldLeopold Ranke
HiKo
11859827917951886Ranke, Leopold (1795–1886), in Wiehe geborener deutscher Historiker, der von 1818 bis 1824 Gymnasiallehrer in Frankfurt an der Oder war. Im Jahre 1824 wurde er außerordentlicher Professor, 1834 ordentlicher Professor für Geschichte an der Berliner Universität. Von 1858 an war er erster Präsident der von ihm initiierten Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Arneth, AlfredAlfred Arneth
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11634485718191897Arneth, Alfred (1819–1897), in Wien geborener österreichischer Historiker, Archivar und Politiker. 1848/49 gehörte er der Frankfurter Nationalversammlung an, wurde 1863 Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und war 1896/97 deren Präsident; im Jahre 1868 wurde er Direktor des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs.
Maurer, Georg LudwigGeorg Ludwig Maurer
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11873205617901872Maurer, Georg Ludwig (1790–1872), in der Rheinpfalz geborener Jurist und Historiker, der nach seinem Studium an den Universitäten Heidelberg und Paris im Jahre 1814 in den Staatsdienst des Königreichs Bayern eintrat. 1826 wurde er Professor der Rechtswissenschaften an der Universität München. Nachdem 1832 der minderjährige Otto Friedrich Ludwig von Wittelsbach (1815–1867) König Otto I. von Griechenland geworden war, wurde Maurer neben anderen bis 1834 mit der Führung der Regentschaft in Griechenland betraut. Nach seiner Rückberufung nach München wurde er 1847 im Königreich Bayern Justiz- und Außenminister und widmete sich seinen in zahlreichen Büchern niedergelegten (rechts)historischen Forschungen. Im Jahre 1863 wurde er zum Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt. Er war der Vater des Juristen Konrad Maurer (1823–1902).
Döllinger, Ignaz Johann JosephIgnaz Döllinger
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11852624317991890Döllinger, Ignaz Johann Joseph (1799–1890), in Bamberg geborener katholischer Theologe, Kirchenhistoriker und Bibliothekar, der im Jahre 1822 zum Priester geweiht wurde. Von 1826 bis 1847 war er außerordentlicher Professor für Kirchenrecht und Kirchengeschichte an den Universitäten München, dann bis 1850 in Dillingen. Von 1850 bis 1890 war er ordentlicher Professor an der Universität München, dazu von 1837 bis 1847 Oberbibliothekar der Universitätsbibliothek und im Studienjahr 1872/73 deren Rektor. 1863 wurde er ordentliches Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und 1873 Präsident der Akademie in München.
Maximilian II. Joseph von Bayern, König von BayernMaximilian II., König von BayernKönig von Bayern11857934718111864 Maximilian II. Joseph (1811–1864), war von 1848 bis 1864 König von Bayern und Gründer der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Pertz, Georg HeinrichGeorg Heinrich Pertz
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11859285817951876Pertz, Georg Heinrich (1795–1876), in Hannover geborener Historiker, Archivar und Bibliothekar, der von 1813 bis 1816 an der Universität Göttingen studierte und promoviert wurde. Er war von 1823 bis 1874 Leiter der Monumenta Germaniae Historica und gehörte im Jahre 1858 zu den Gründungsmitgliedern der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Waitz, GeorgGeorg Waitz
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11905914218131886Waitz, Georg (1813–1886), in Flensburg geborener Historiker, der nach einem breiten geisteswissenschaftlichen, juristischen und theologischen Studium an den Universitäten Kiel und Berlin 1836 promoviert wurde. Nach seiner Tätigkeit bei den Monumenta Germaniae Historica wurde er 1842 ordentlicher Professor der Geschichtswissenschaft an der Universität Kiel, wechselte 1848 als Ordinarius an die Universität Göttingen und wurde 1858 Gründungsmitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. Als er 1875 Präsident der Monumenta Germaniae Historica in Berlin wurde, ging er gleichzeitig an die Universität Berlin. Er war in erster Ehe mit Clara Schelling (1818–1857), einer Tochter des Philosophen Friedrich Wilhelm Schelling (1775–1854), verheiratet, in zweiter Ehe mit Helene Franziska Friederike Hartmann (1831–1915), einer Tochter des Generals Georg Julius Hartmann (1774–1856).
Lappenberg, Johann MartinJohann Martin Lappenberg
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10018093017941865Lappenberg, Johann Martin (1794–1865), in Hamburg geborener deutscher Historiker und Archivar, der nach Studien an den Universitäten in Edinburg und Berlin an der Universität Göttingen zum Dr. jur. promoviert wurde und nach diplomatischen Tätigkeiten für seine Vaterstadt Archivar des Archivs des Hamburger Senats wurde. Sein Wirken als Gelehrter fand höchste Anerkennungen mit seinen Berufungen in die Akademien der Wissenschaften in München, Berlin, Göttingen und Sankt Petersburg sowie in die Historische Kommission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften in München, zu deren 18 Gründungsmitgliedern er im Jahre 1858 gehörte.
Tholuck, Mathilde, geb. Gemmingen-Steinegg
Mathilde Tholuck, geb. Gemmingen11734367618161894 Tholuck, Mathilde, geb. Gemmingen-Steinegg (1816–1894), zweite Ehefrau des Hallenser Theologie-Professors Friedrich August Traugott (Gotttreu) Tholuck (1799–1877) und Schwester Thekla Therese Eleonore Tuchers (1813–1901).
Wolfermann, LudwigDer Kaufmann Ludwig Wolfermann war Inhaber einer Spezereihandlung (Gemischtwarenhandlung) in Nürnberg im 19. Jahrhundert.
Koch, Nikolaus (Nicolaus) Ritter vonNikolaus Koch11627320818071866Koch, Nikolaus (Nicolaus) Ritter von (1807–1866), im unterfränkischen Ebern geborener Politiker, der von 1864 bis 1866 königlich bayerischer Staatsminister des Inneren für Kultus und Schulangelegenheiten (Kultusminister) war.
Augsburg48.3668041,10.8986971Auf römische Zeit zurückgehende alte Reichsstadt des Heiligen Römischen Reiches und Bischofsstadt am Lech, etwa 65 Kilometer nordwestlich von München gelegen und seit 1806 zum Königreich Bayern gehörig.
Wien48.2083537,16.3725042An der Donau gelegene Hauptstadt des Kaiserreichs Österreich.
Miesbach47.790025,11.8335417Etwa 50 Kilometer südöstlich von München nahe dem Schliersee im Vorland zu den bayerischen Alpen gelegener Ort.
Hohenschwangau47.5562147,10.7409808In Höhe von etwa 800 Metern gelegenes Dorf im Ostallgäu zu Füßen des Schlosses Hohenschwangau, einer Sommerresidenz der bayerischen Könige, etwa vier Kilometer südöstlich von Füssen entfernt.
Bibliothek (München)1843 fertiggestellte Hof- und Staatsbibliothek des Königreichs Bayern in der Ludwigstraße, die auf die wittelsbachische Hofbibliothek der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zurückgeht.
SecretärLeitungsamt in der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften neben dem Amt des Vorsitzenden; Leitungsamt in wissenschaftlichen Akademien.
Theresienwiese (München)Westlich der Münchener Altstadt gelegener, nach Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen (1792-1854), der Gemahlin des späteren bayerischen Königs Ludwig I. (1786-1868), benannter Platz, auf dem ab 1810/11 das jährliche Oktoberfest stattfand.
Octoberfest, München (Oktoberfest)Seit dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts jährliche Münchner Landwirtschaftsschau und Volksfest auf der Theresienwiese.
Nervenfieber, auch: Nerfenfiebersiehe: Typhus
Historische Commission/Kommission, MünchenIm Jahre 1858 in München auf Anregung des Berliner Historikers Leopold Ranke (1795-1886) vom bayerischen König Maximilian II. Joseph (1811-1864) bei seiner Akademie der Wissenschaften gegründete Institution zur Erforschung der deutsche Geschichte.