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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, München, 3. Oktober 1864

Liebstes Suschen! Dein Brief1 hat mich sehr erfreut durch die guten Nachrichten, die er enthielt und den Ausdruck Deiner Liebe. Ich hatte am Tage da er kam nur einen Moment Zeit ihn zu durchfliegen und kam erst am Abend vor Schlafengehen dazu ihn zu lesen. Denn neben den Sitzungen drängen sich Diners und Soupers und die Wege von einem zum andern sind oft weit. Denke Dir nur, ich war bei einem vertraulichen Diner bei Döllinger und nachher Abends noch einmal bei ihm zur Sitzung einer Subcommission und ich habe gefunden, daß mit ihm ganz gut zu verkehren ist. In bezug auf die confessionellen Gegensätze sagte er nach einem Toast von Ranke: ‘uns gilt mehr was uns vereinigt, als was uns trennt‘. Bei Staatsrath Maurer, bei Giesebrecht gab es splendide Soupers. Keines aber beim König, der überhaupt erst seit gestern hier ist. Dem Octoberfest sind wir Auswärtigen, wie gewöhnlich, gestern durch einen Ausflug entgangen: – wir waren dies Mal in Oberaudorf zwischen Rosenheim und Kufstein, wohin wir mit Eisenbahn fuhren, unser Siebzigjähriger Ranke mit uns. Waitz, Pertz, Lappenberg, Stälin, Wegele und ich. Von Oberaudorf das schon im Gebirgsthal liegt, gingen wir zu Fuß nach der Klause bei Kufstein, wo man eine schöne Aussicht auf den Innstrom, dann auf Kufstein und das ganze Thal nach oben und unten hat und wo wir zu Mittag aßen. Von dort gingen wir weiter bis Kufstein und tranken dort den Kaffe. Um 10 Uhr nachts waren wir zurück in München. Das Wetter war des Vormittags günstig, nur Nachmittags trübe und Abends empfindlich kalt. Hell und kalt ist es auch heute. Es ist ein enormer Volkslärm in der Stadt und draußen. Dabei hatten wir Vormittag eine sehr bewegte Sitzung.2 Es ist ein Schreiben aus dem Cabinet an uns ergangen, das verschiedene Deutungen offen läßt und verschieden von Auswärtigen und Einheimischen gedeutet wird. Wir haben beschlossen an den König eine Deputation zu schicken. Diese wird frühestens erst morgen Audienz erhalten und wollen wir das Resultat noch abwarten, so können wir möglicher weise noch übermorgen hier sitzen. Doch ist bei mehreren, wie bei mir, der dringende Wunsch übermorgen früh abzureisen und würde ich dann mit dem Eilzug Mittags (Mittwoch) in Erlangen eintreffen: wenn nicht erst am Donnerstag. –

Heute Abend habe ich den Genuß Figaro’s Hochzeit zu sehen; ich wünschte, Du wärst mit mir dabei: es macht mir ohne Dich nur halb so viel Vergnügen. Mit dem Gasthofe3 bin ich recht zufrieden; nur ist er freilich recht weit von der Mitte der Stadt entfernt. Bei der Tante bin ich noch einmal gewesen, komme auch wohl heut noch hin. Die Tholuck ist fort mit bösen entzündeten Augen.

Tausend Grüße an die lieben Kinder. Hoffentlich ist Sigmundle wieder ganz wohl. Ich freue mich sehr darauf Dich und sie bald wieder zu sehen.

Innigst
Dein Getreuer.