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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Heidelberg, 14. November 1864

Lieber Erek.

Zu Deinen Wünschen, daß mir nur meine Kräfte für mein 19. Jahrhundert ausreichen möchten1, sage ich selbst aus vollem Herzen Amen. Ich möchte das Werk, das unter den Händen freilich riesenhaft anwächst, doch gar zu gerne zu irgend einem Ziele führen, oder vielmehr zu dem bestimmten Ziele des Jahres 1850, mit dem eine neue unvollendete und undarstellbare Periode angeht. Die Organisation des Ganzen liegt mir vollkommen vor, und ich bin durchdrungen davon, daß bis zu jenem Zeitpuncte durchgeführte Werk ein geschlossenes Ganzes darstellen würde, dem sachlich und formell wohl ein nicht ganz flüchtiger Werth inne wohnen würde. Die weltgeschichtlichen Verschlimmerungen, die die kleinsten Theile der ungeheuer getheilten Bewegungen zusammen binden zu Einem einzigen Ganzen, habe ich das Gefühl, sind noch in keinem größeren Geschichtswerke so blos gelegt, wie in diesem; weniger wohl durch meine Kunst, als durch die Natur des Stoffes und der Zeit, um die es sich handelt. Die nächsten zwei Theile, von denen Du den 7ten demnächst erhalten wirst2, stellen die Miseren des 3ten Jahrzehntes und die Julirevolution mit allen ihren vorgezeigten Blitzschlägen und Donnerkeilen dar, die bis Warschau, Athen und Rio reichen; zwei weitere Bände werden nöthig sein, die entfernteren Verluste und Gewinnste3 dieses Ereignisses darzustellen in der Geschichte des 4ten Jahrzehntes. Dann muß ein Band folgen des nachweist, wie die Anregungen und ganz besonders die Täuschungen der Julirevolution verursachen, daß die Literatur, durch einen Rückschlag des unbeseitigt gebliebenen Krankheitsstoffes, innerlich wie dem gegenüber als ein Wall des Widerstandes die materiellen technischen industriellen und commerciellen Entwicklungen gefördert durch die Flut der Naturwissenschaften sich aufwarfen; dabei ein Blick auf Nordamerica; und dem gegenüber dann in einem weiteren Band, der an die Collisionen von 1840 anknüpfend die orientalische Frage in ihrem ganzen Umfang behandelt. Schließlich zwei Bände über das 5. Jahrzehnt. Es ist eine schwindelnde Aufgabe, an der ich gleichwohl mit gutem Muthe weiter schaffen werde, wenn mir die Körper- und Geisteskräfte Stasnd halten wollen.

Wir sollten wohl daran denken, uns einmal wieder in Muße etwas zusammen zu sehen. Eigentlich ist es an uns, Euch in Erlangen einmal heimzusuchen. Hoffentlich kommt es im Lauf des Sommers dazu; ich muß doch Deine Schaar junger Hegelinge einmal zusammen sehen. Möge das siebente4 glücklich zur Welt kommen und auch zur Freude gedeihen. Grüße die liebe Frau aufs Herzlichste von uns.

Treulich der Deinige
Gervinus.