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Karl Hegel an Ferdinand Frensdorff, Erlangen, 16. Januar 1865

Geehrter Herr Doctor!1

Ihre trefflichen Arbeiten zum Anonymus I erhielt ich als ein willkommenes Weihnachtsgeschenk und ich habe mich noch in den Ferien und bis jetzt, soviel mir Zeit dazu übrig blieb, damit beschäftigt. Im Allgemeinen bin ich durch Ihre Behandlung der Sache durchaus zufrieden gestellt und ganz und gar nicht der Meinung daß Ihre Bearbeitung hinter derjenigen der Nürnberger Chroniken zurückstehen werde. Wo der Mangel im Stoffe selbst liegt, sieht jeder Verständige, und ebenso daß Sie das vorhandene Material ausreichend benutzt haben. Über das Mehr oder Weniger, das Sie aus demselben gegeben haben, kann man wohl verschiedener Meinung sein; doch läßt sich darüber im einzelnen Fall oft schwer entscheiden und will ich Ihnen die Freude an Ihrer Arbeit durch derartige Mäkelei nicht verderben. Nur weniges haben Sie unerklärt gelassen, wofür ich auch keine Erklärung habe finden können und wird man sich dabei beruhigen müssen. Wegen derjenigen Anfragen, die Sie an Kern gerichtet haben, will dieser noch im Nürnberger Archiv einen Versuch machen. Wenn dies nicht bis jetzt schon geschehen ist. So lag das Hinderniß allein in einer Reise, welche Kern nach Karlsruhe angetreten hat und von der ich ihn noch zurück erwarte.

Die Bemerkungen, welche mir beim Durchgehen Ihrer Arbeit aufgestoßen sind, habe ich auf bei folgendes Blatt2 geschrieben, welches ich mir wieder zurück erbitte. Weniger Bedeutendes, was bloß Form und Ausdruck betraf, und nicht der Mühe werth erschien, hier aufzuzeichnen, habe ich mir zu ändern erlaubt: es ist von der Art, daß Sie es bei der correctur entweder stehen lassen oder auch noch anders machen können, wenn Sie es vorziehen. Anweisungen für den Setzer habe ich hinzugefügt, wo es nöthig erschien, und die Blattzahlen in den Text hineingesetzt, was Sie zu thun noch unterlassen hatten, um Ihnen die Mühe zu ersparen. Ferner kommt noch in Betracht, was am Schluß meiner Bemerkungen steht, worüber ich Ihre Ansicht erst zu vernehmen möchte.

Wie viel das Ganze für den Druck ausmacht, ist jetzt nothwendig zu wissen, damit wir nicht mit diesem beginnen, ehe wir des Endes sicher sind. Ich schicke deshalb das Manuscript zuerst nach Leipzig, um es dort taxiren zu lassen, und werden Sie es von da zurück erhalten. Ich glaube vorläufig immer noch nicht, daß wir mit diesem und dem Wahraus und Küchlin auch nur für einen schmalen Band genug haben werden. Wegen des Küchlin bin ich überhaupt wieder im Zweifel, ob er zu geben sei. Ich wäre nicht dafür, wenn er durch den Gehalt der Berliner Handschrift 4153 , die nach Ihrer Mittheilung gleichfalls die älteste Sagengeschichte aufgenommen hat, ersetzt werden könnte. Sollte nicht eben dieses Stück sich ganz gut dazu eignen – ich meine die ganze Chronik der no. 415 – im Anschluß an Wahraus den ersten Band auszufüllen? Diese Frage wird ernstlich in Betracht kommen, wenn es sich herausstellen sollte, daß wir sonst für den Band nicht Stoff genug hätten. Der Auszug in Beilage I würde jedenfalls besser wegbleiben, wenn wir überhaupt die ganze Chronik noch geben wollen. Den Münchener Codex, den Sie bezeichnen (oben 3205 in 4) können Sie vielleicht direct durch die Vermittlung der Göttinger Bibliothek beziehen.

Sie berufen einen anderen Punkt, der mir auch bei den Nürnberger Chroniken aus der 2. Hälfte des 15 Jahrhunderts viel Sorge macht, wie es mir den neben einander hergehenden Aufzeichnungen und Sammlungen von Notizen, welche spätere Compilationen weiter ergänzen, zu halten sei. Ich neige mich allenfalls zu der Ansicht, daß nicht dieser ganze Wust mit allen Wiederholungen zu geben sei, zumal wo die Zeit der Aufzeichnung und die Aufeinanderfolgen derselben sich kaum recht bestimmen läßt, sondern daß man sich gleich für den selbständigen Text entscheiden müsse, wenn auch die unvollständigen ihm der Zeit nach vorhergehen.

Unser Verleger drängt mich mit dem Beginn des Drucks, damit es nicht zuletzt wieder eine Hetzerei giebt. Sie haben mir den Wahraus versprochen. Natürlich wird bei diesem und bei dem was noch im 15 Jahrhundert folgt, keine solche Ausbeutung des archivalischen Materials erwartet, wie bei Anonymus I, so weit es das 14 Jahrhundert angeht. Mit dem letzteren werden Sie jetzt zum Schluß kommen müssen, wobei ja gern zurückbleiben mag, was nicht zu erledigen ist. Meine Bemerkungen werden Ihnen nur wenig Mühe machen. Und wenn nun auch der Wahraus fertig vorliegt, wollen wir sehen, was noch weiter vor Beginn des Drucks geschehen muß. Die Auskunft, die ich von Hirzel erwarte, wird dafür entscheidend sein.

Grüßen Sie Professor Waitz. Von München her ist immer noch keine Entscheidung über das fernere Schicksal der Historischen Commission4, gekommen, und auch Giesebrecht, der mir vor kurzem geschrieben hat, weiß darüber nichts zu sagen.

Hochachtungsvoll
der Ihrige
Carl Hegel.