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Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Erlangen, 21. August 1865

Mein Liebster!

Eben erhalte ich Deinen lieben, langen Brief1 und freue mich dessen so herzlich sowohl der guten Nachrichten wegen die Du uns von Dir gibst, als auch Deiner liebevollen Aussprache wegen, daß Du uns zu Dir wünschst, mich Deine unnütze Frau, die Dich schlechter Weise so lange auf Nachrichten warten läßt. Jetzt hast Du aber längst meinen Brief2 und siehst daraus daß ich nicht ganz so schuldig bin, denn durch die verzögerte Nürnberger Parthie und durch Deinen lieben ersten Brief3, der erst Mittwoch4 Vormittag in meine Hände kam, konnte ich nicht eher schreiben. Es wird dieß Mal vielleicht ebenso gehen, denn Deinen lieben, trauten Brief erhalte ich eben erst Mondtag5 um 3 Uhr, nachdem er Samstag6 Mor- gen abgegangen ist und nun erwarte ich meine Damen zum Kränzchen und kann also erst heute Abend weiterschreiben.

Meine Damen sind fort und nun laß Dich herzlich umarmen und küssen Du lieber, treuer Mann und Dir erzählen wie es bei uns steht. Gottlob ist’s bei der kleinen Hauptperson, meinem Gustelchen, entschieden besser, der Reisschleim und die neue Arznei thun ihm gut, so daß Dorsch auch das Mitbringen von Herz unterließ, und ich mochte nicht darauf dringen, weiß ich nun doch, daß Herz ein wachsames Auge, wenn auch nur durch die Mittheilungen von Dorsch darauf hat. Großen Staat kann ich freilich nicht mit ihm machen, er sieht blaß und angegriffen aus, wenn auch etwas dicker und fester. Annchen hatte ein Paar recht schlimme Tage mit ihrer Mandelgeschichte, die Heilung dauerte länger und war schmerzhafter als das erste Mal, doch seit Donnerstag7 geht es wieder ordentlich und sie ist nur wüthend über Dorsch, der ihr Singen und Ausgehen bei kühlem, feuchtem Wetter entschieden verboten hat, und wie viel Regen und kühle Tage haben wir in denen ich Deiner mit Bedauern gedenke. Wie freue ich mich Deines Entschlusses ruhig in dem schönen Vevey zu bleiben, Du hast gewiß mehr davon als bei unbeständigem Wetter weiter zu eilen, wo der Himmel dann oft an den schönsten Punkten seinen Vorhang niederläßt. Und Du fandest ja auch außer unserm guten Gottliebla, nette Gesellschaft da, unterhalte Dich nur recht gut und laß Dir nicht leid sein, allein zu sein, es wird uns vielleicht auch mal wieder so gut gehen. Ist denn Dr. Ziemssen aus Moskau ein Verwandter unseres lieben Collegen8, der sich vom Regen schon wieder nach Hause hat treiben lassen, er ging von Zürich nach Bern, lauter Regen, in Interlaken lauter Regen, da machte er kehrt und war Freitag schon hier, um seine Kinder ins Affentheater zu führen, was ich Donnerstag mit den unsrigen schon ausgeführt hatte zum großen Entzücken der kleinen Schaar, auch Annchen war dabei.

Die Kinder sind im Ganzen ordentlich, aber an Unruhe fehlt es nicht jetzt wo Alle Ferien haben und bei dem schlechten, unbeständigen Wetter keine Parthien oder größere Spaziergänge zu unternehmen sind. Georg macht seine Arbeiten in so weit ordentlich, daß er jeden Tag vom Zehn-Uhr Brod bis Mittag ohne Widerrede arbeitet, freilich nicht so gut als er könnte und sollte. Seine Drachenmanie hat ihm ein entzündetes Auge eingetragen, durch das Rennen im Wind und Gucken nach dem Himmel so daß es damit fürs Erste vorbei ist, und er sich nur begnügt, einen neuen größeren zu machen und zu Geld zu sparen für ein großes Knaul Schnur. Ach läge ihm sein Arbeiten nur halb so am Herzen als sein Drachen. Luischen, Mariechen haben seit Sonnabend Ferien und freuen sich dessen in besonderem Maße, leider versteht es Frl. v. P.9 gar nicht ihnen die Schule lieb zu machen. Sie sind meistens recht ausgelassen und übermüthig, was freilich manchmal ins Gegentheil umschlägt. Sophiechen ist brav, Rosel nimmt sich zusammen, gegen mich war sie in den ersten Tagen etwas kühl und passiv, nun aber ist sie in der alten Weise aufmerksam und anständig und ich führte keine Aussprache herbei. Mundelchen ist der kleine Schatz wie immer, ich sagte ihm Deine Grüße und fragte: was soll ich Papa schreiben? Kommen sagte der kleine Mann mit dem süßesten Gesichtchen. Er ist Gottlob ganz wohl und munter, hat auch sein Theil Geismarkts-Freuden genossen, er fuhr ein Paar Mal Caroussel, was ihn königlich amüsirte.

Sonnabend hatte ich eine rechte Überraschung da kam plötzlich Mittag mit dem Eilzug, als wir eben dick in der Schneiderei saßen für Hochzeitskleider der Kinder, die liebe Mama um sich persönlich nach unserm Gustelchen umzusehen, und Ferdinand mit Stephanie, um meinen Hofmeister für ihre Jungens zu engagiren. Sie blieben bis 5 Uhr, fanden den Kleinen viel besser als sie dachten, den Hofmeister auch nach Wunsch und so hatten wir einen ganz gemüthlichen Nachmittag, in dessen Verlauf auch der lang ersehnte Brief von Manuel ankam. Was sagst Du dazu? es ginge ja Alles ganz gut, wenn die Hochzeit in Nürnberg eher wäre; übrigens kann ich Dir über München etwas sagen. Weizsäcker brachte mir Donnerstag einen Brief von Giesebrecht an ihn, worin er ihm schreibt, daß O. A. Rath Lutz Giesebrecht aufs Bestimmteste versichert hat die Angelegenheit der Historischen Commission sey im königlichen Cabinet erledigt und dem König zur Sanktion vorgelegt, und die Versammlung der Commission für diesen Herbst sey als feststehend10 anzunehmen. Freilich waren seit dieser Mittheilung an Giesebrecht schon 11 Tage verflossen ohne daß Giesebrecht Weiteres gehört hatte (er schrieb am 15ten von St. Zeno); nun bringt die allgemeine Zeitung in den letzten Tagen eine officielle Anzeige daß der Bestand der Commission auf 15 Jahre mit je 15 000 Gulden vom König gesichert sei; hast Du’s vielleicht gelesen? Direkt von München ist noch nichts gekommen.

Ich möchte Dir so gerne Manuels ganzen Brief schicken, es spricht sich darin eine so befriedigte Stimmung aus und er schildert das Leben in Lautensee so hübsch, aber ich muß erst wiegen, ob der Brief nicht zu dick wird.

Die Mutter sagte mir sie hätte gewußt wie betrübt es auf petit-chateau11 steht und Dich deßhalb lieber an Ferrad gewiesen, dem nahen Freund unseres seligen Georg, der auch ein Jahr in Erlangen studirte; Du schreibst aber Nichts davon, hast Du ihn nicht aufgesucht?

Denke nur, es wäre Dir beinahe eine Begleitung von Nürnberg zu Theil geworden, wenn die Eltern mehr Zeit gehabt hätten Etwas mit Dir zu besprechen und Du Dich einverstanden erklärt hättest, nämlich mein Bruder Friedrich der in diesem Herbst seine erste Reise machen durfte und nun in Begleitung eines stud. Merkel heute an den Rhein abgegangen ist; es ist vielleicht in mancher Beziehung besser so, denn so herrlich Vevey ist, so will doch so ein junger Mensch Verschiedenes sehen und es hat noch Zeit mit der Schweiz für ihn. Aber zauberhaft schön ist’s in Vevey, wie entzückt standen wir vor nun 23 Jahren12 auf der Terrasse, ich weiß nicht ob sie noch einen weitern Namen hat, ein freier Platz vor einer Kirche mit der herrlichsten Aussicht über den See, und dem Dent du Midi gegenüber.

Warst Du denn schon in Chillon?

Doch nun ernstlich zum Schluß, die Kinder die mit Annchen eben zusammen singen, sie probiert es zum ersten Male wieder, lassen von Herzen grüßen, sie wollen recht artig sein, um Papa Freude zu machen. Gott behüte Dich, mein einzig Geliebter, und sende Dir seine treusten Engel zum Schutz und schenke uns bald ein frohes Wiedersehen, halte aber nur Deine Zeit recht aus und verkürze Deine Erholung nicht um unsert willen, wir halten es schon aus und freuen uns mit Dir. Leb wohl, mein Geliebter, grüße mir Gottlieb schönstens, ist er nett?

Gott mit Dir und Deiner Susanna.