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Karl Hegel an Matthias Lexer, Erlangen, 3. Juli 1866

Sehr geehrter Freund!

Ich habe es bis jetzt unterlassen Ihnen meine Freude und Befriedigung über Ihr bereitwilliges Eingehen auf meine beiden Anträge1 auszusprechen, womit Sie mir aufs neue eine höchst willkommene Bürgschaft für den guten Fortgang unserer gemeinsamen Arbeiten gegeben haben. Ich verschob es, um gleich mit einer bestimmten Verabredung wegen der Vorbereitungen und des Beginns der neuen Arbeit an Sie zu kommen. Denn es war meine Absicht vorerst persönlich das Terrain in Straßburg zu recognosciren und dort die nöthigen Einleitungen zu treffen, um sodann in Verbindung mit Ihnen und nach verabredetem Plan an die Sache zu gehen

Nun aber wie haben sich jetzt die Verhältnisse unseres unglücklichen Deutschland aufs traurigste gestaltet! Ich fühle mich dadurch so gedrückt und zugleich in Erwartung gespannt, daß ich an eine literarische Arbeit, welche stetige innere Sammlung und Ruhe verlangt, gar nicht denken kann. Und Ihnen wird es wahrscheinlich ebenso gehen! Man kann nicht wissen, was schon die nächsten Tage bringen werden; wie wäre es möglich unter solchen Umständen an seinen eignen Plänen für spätere Zeit festzuhalten! Auch in meiner nächsten Nähe sehen sich die Dinge für den Augenblick so fraglich und bedenklich an, daß ich mich nicht dazu entschließen konnte meine Familie auch nur auf kurze Zeit zu verlassen. Ich schreibe einiges Nähere darüber an Kern, der es Ihnen mitheilen wird. Wer kann sodann wissen, was aus den Arbeiten und Mitteln unserer Commission in der Zukunft werden wird?

Wenn Nord und Süd sich politisch trennen2, werden sie dann noch wissenschaftliche Gemeinschaft in München mit einander pflegen können? Zunächst an die gewöhnliche Zusammenkunft im Herbst ist für dies Mal ja gar nicht zu denken.3 Sie verstehen, daß schon allein wegen dieser Ungewißheit ich vorläufig meinen Plan zu dem neuen literarischen Unternehmen sistiren muß, womit ich jedoch die Hoffnung keineswegs aufgeben mag, daß ich ihn bald wieder werde aufnehmen können – wenn erst wieder Friede ist und die Commission fortbesteht oder wenigstens ihre Geldmittel für meine Chroniken fortfließen, denn sonst brauche ich sie weiter nicht. Die Geldmittel, die jetzt noch vorhanden sind, reichen aus um die Arbeiten des laufenden Etatsjahrs (bis 1. October) zu honoriren und in diesen ist das Honorar für Ihr versprochenes Glossar und die Remuneration für Kern natürlich schon von mir umgerechnet. Aber auch der Druck in Leipzig scheint jetzt so gut wie still zu stehen. Eine Zeit lang war freilich der Postenlauf zwischen hier und dort unterbrochen; jetzt ist er aber wieder geöffnet und der letzte Correcturbogen, den ich erhielt, war erst der 74; so ist wenig Aussicht vorhanden, daß der Band in diesem Jahr werde im Druck vollendet werden!5

Über den neuen Plan wollte ich deshalb noch nichts im weiteren Kreise verlauten lassen, damit uns nicht ein Anderer zuvorkommt und das schöne Material vorweg nehme, insbesondere nicht in Straßburg Hindernisse aufgelegt werden möchten, wie ich es in Regensburg auf die unangenehmste Weise zu erfahren bekommen habe.

Zu dem neuen Familienglück, welches Ihnen durch die Geburt eines Töchterlein zu Theil geworden ist, bringe ich Ihnen noch meinen zwar verspäteten aber durchaus nicht minder herzlichen Glückwunsch.6 Möchten Sie recht viel Freude an diesem Kinde erleben! Wird es Ihnen nun doch vielleicht möglich sein, den früher beabsichtigten Besuch in Nürnberg auszuführen? Ich glaube kaum. Aber sehr gern möchte ich Sie einmal wiedersehen.

Meiner Frau und allen sechs Kindern geht es gottlob recht gut.7 Meine älteste Tochter hat schon die Größe einer erwachsenen. Ich kaufte vor einiger Zeit ein Kästchen für sie bei Ihrem Herrn Schwiegervater und freute mich von ihm zu hören, daß gute Nachrichten von Ihnen da seien.

Leben Sie wohl und empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau
Treulich
der Ihrige
Carl Hegel