Ich habe es bis jetzt unterlassen Ihnen meine Freude und Befriedigung über Ihr bereitwilliges Eingehen auf meine beiden Anträge1 auszusprechen, womit Sie mir aufs neue eine höchst willkommene Bürgschaft für den guten Fortgang unserer gemeinsamen Arbeiten gegeben haben. Ich verschob es, um gleich mit einer bestimmten Verabredung wegen der Vorbereitungen und des Beginns der neuen Arbeit an Sie zu kommen. Denn es war meine Absicht vorerst persönlich das Terrain in Straßburg zu recognosciren und dort die nöthigen Einleitungen zu treffen, um sodann in Verbindung mit Ihnen und nach verabredetem Plan an die Sache zu gehen
Nun aber wie haben sich jetzt die Verhältnisse unseres unglücklichen Deutschland aufs traurigste gestaltet! Ich fühle mich dadurch so gedrückt und zugleich in Erwartung gespannt, daß ich an eine literarische Arbeit, welche stetige innere Sammlung und Ruhe verlangt, gar nicht denken kann. | Und Ihnen wird es wahrscheinlich ebenso gehen! Man kann nicht wissen, was schon die nächsten Tage bringen werden; wie wäre es möglich unter solchen Umständen an seinen eignen Plänen für spätere Zeit festzuhalten! Auch in meiner nächsten Nähe sehen sich die Dinge für den Augenblick so fraglich und bedenklich an, daß ich mich nicht dazu entschließen konnte meine Familie auch nur auf kurze Zeit zu verlassen. Ich schreibe einiges Nähere darüber an Kern, der es Ihnen mitheilen wird. Wer kann sodann wissen, was aus den Arbeiten und Mitteln unserer Commission in der Zukunft werden wird?
Wenn Nord und Süd sich politisch trennen2, werden sie dann noch wissenschaftliche Gemeinschaft in München mit einander pflegen können? Zunächst an die gewöhnliche Zusammenkunft im Herbst ist für dies Mal ja gar nicht zu denken.3 Sie verstehen, daß schon allein wegen dieser Ungewißheit ich vorläufig meinen Plan zu dem neuen literarischen Unternehmen sistiren muß, womit ich jedoch die Hoffnung keineswegs aufgeben mag, daß ich ihn bald wieder werde aufnehmen können – wenn erst wieder Friede ist und die Commission fortbesteht oder wenigstens ihre Geldmittel für meine Chroniken fortfließen, denn sonst brauche ich sie weiter nicht. Die Geldmittel, die jetzt noch vorhanden sind, reichen aus um die Arbeiten | des laufenden Etatsjahrs (bis 1. October) zu honoriren und in diesen ist das Honorar für Ihr versprochenes Glossar und die Remuneration für Kern natürlich schon von mir umgerechnet. Aber auch der Druck in Leipzig scheint jetzt so gut wie still zu stehen. Eine Zeit lang war freilich der Postenlauf zwischen hier und dort unterbrochen; jetzt ist er aber wieder geöffnet und der letzte Correcturbogen, den ich erhielt, war erst der 74; so ist wenig Aussicht vorhanden, daß der Band in diesem Jahr werde im Druck vollendet werden!5
Über den neuen Plan wollte ich deshalb noch nichts im weiteren Kreise verlauten lassen, damit uns nicht ein Anderer zuvorkommt und das schöne Material vorweg nehme, insbesondere nicht in Straßburg Hindernisse aufgelegt werden möchten, wie ich es in Regensburg auf die unangenehmste Weise zu erfahren bekommen habe.
Zu dem neuen Familienglück, welches Ihnen durch die Geburt eines Töchterlein zu Theil geworden ist, bringe ich Ihnen noch meinen zwar verspäteten aber durchaus nicht minder herzlichen Glückwunsch.6 Möchten Sie recht viel Freude an diesem Kinde erleben! Wird es Ihnen nun doch vielleicht möglich sein, den früher beabsichtigten Besuch in Nürnberg auszuführen? Ich glaube kaum. Aber sehr gern möchte ich Sie einmal wiedersehen.
Meiner Frau und allen sechs Kindern geht es gottlob recht gut.7 Meine älteste Tochter hat schon die Größe einer erwachsenen. | Ich kaufte vor einiger Zeit ein Kästchen für sie bei Ihrem Herrn Schwiegervater und freute mich von ihm zu hören, daß gute Nachrichten von Ihnen da seien.
Leben Sie wohl und empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau
Treulich der Ihrige Carl Hegel
1Vgl. dazu: Brief 18660421_01. 2Dies bezieht sich auf das damalige aktuelle Tagesgeschehen, den Deutschen Krieg bzw. Deutsch-Deutschen Krieg oder Preußisch-Österreichischen Krieg im Jahr 1866, in welchem zwischen Juni und August der Deutsche Bund unter Führung Österreichs einerseits und Preußen sowie dessen Verbündete andererseits gegeneinander kämpften. 3Die Plenarversammlung der Historischen Kommission fand infolge des „Deutschen Krieges“ im Jahr 1866 nicht statt, vgl. dazu Neuhaus, 150 Jahre Historische Kommission, S. 21. 4Unsichere Lesart. 51866 erschien der zweite Band mit Augsburger Chroniken im Rahmen des von Karl Hegel betreuten Editions-Unternehmens der „Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert“, Band 5 der Gesamtreihe, vgl. Chroniken der deutschen Städte, Bd. 5, Augsburg, Bd. 2. 6Zu Matthias Lexers (1830-1892) Genealogie vgl. rudimentär DB . 7Zur Familie Karl Hegels vgl. die Genealogie, s.v. DB .
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Lexer, MatthiasMatthias Lexer11905732818301892Lexer, Matthias (1830–1892), in Kärnten geborener Privat- und Gymnasiallehrer, Sprachwissenschaftler und Lexikograph, der 1861 wissenschaftlicher Mitarbeiter Karl Hegels am Editionsunternehmen „Die Chroniken der deutschen Städte“ der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften wurde und ihm auch nach seinem Ausscheiden verbunden blieb. 1863 wurde er außerordentlicher, 1866 ordentlicher Professor für Deutsche Philologie an der Universität Freiburg im Breisgau und war von 1868 bis 1890 Ordinarius an der Universität Würzburg. Im Jahre 1891 folgte er einem Ruf an die Universität München, verstarb aber ein Jahr später.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Bayerische Staatsbibliothek (BSB), München
: Döllingeriana II.
BSB München1000
Neuhaus
, Helmut: 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Eine Chronik, München 2008.
Neuhaus
, 150 Jahre Historische Kommission
2008
Die Chroniken der deutschen Städte
vom 14. bis in’s 16. Jahrhundert, hg. durch die Historische Commission bei der Königl. Academie der Wissenschaften von Karl
Hegel
, Bd. 5, Die Chroniken der schwäbischen Städte. Augsburg, bearb. von Ferdinand
Frensdorff
, Bd. 2, Leipzig 1866. (https://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/dlibra/publication/59552/edition/54958 )
Chroniken der deutschen Städte
, Bd. 5, Augsburg, Bd. 2
1866
Kern, TheodorTheodor Kern11614072018361873Kern, Theodor (1836–1873) wurde am 5. Mai 1836 in Bruneck in Tirol im Kaisertum Österreich geboren und starb am 18. November 1873 in Veytaux am Genfer See. Theodor Kern stammte aus einer österreichisch-badischen Handwerker- und Beamtenfamilie. Er besuchte das Gymnasium in Innsbruck und studierte seit 1853 zunächst Jura, später Geschichte und Philologie in Innsbruck, Göttingen, Heidelberg und München. Julius Ficker in Innsbruck, Georg Waitz in Göttingen, Ludwig Häusser in Heidelberg sowie Heinrich Sybel in München waren seine akademischen Lehrer. Das Staatsexamen für das Höhere Lehramt hatte er 1857 „mit glänzendem Erfolg“ absolviert. Promoviert worden war er als Schüler Ludwig Häussers im darauffolgenden Jahr 1858 in Heidelberg. 1863 habilitierte er sich über die „Chronik der Stadt Nürnberg vom 14. bis in’s 16. Jahrhundert“ und wurde im selben Jahr Privatdozent. Er war seit 1859 erster wissenschaftlicher Mitarbeiter Karl Hegels beim Editionsunternehmen „Die Chroniken der deutschen Städte“, für das er viele Forschungsreisen unternahm. Mit seiner sehr ordentlichen Arbeitsweise war Karl Hegel als Editionsleiter sehr zufrieden. Ab 1866 war Theodor Kern außerordentlicher, 1871 ordentlicher Professor der Geschichte an der Universität Freiburg im Breisgau, wo er einen historischen Verein gründete und die „Zeitschrift für Geschichte des Breisgaus“ herausgab. Auch noch in dieser Zeit blieb er dem Editionsprojekt der „Chroniken der deutschen Städte“ als Mitarbeiter auf Honorarbasis verbunden. 1873 starb der sehr begabte junge Historiker an den Folgen einer schweren Erkrankung.
Hackmann, Auguste, verh. Lexer-18451919Hackmann, Auguste (1845–1919), Tochter des Nürnberger Kaufmanns Erich Hackmann und der Louise Racer, heiratete 1864 den Germanisten und Mitarbeiter Karl Hegels Matthias Lexer (1830–1892), mit dem sie zwei Söhne und zwei Töchter hatte.
Straßburg48.584614,7.7507127Ehemalige Reichs-, Universitäts- und Bischofsstadt am Westufer des Rheines und an der Ill zwischen Vogesen im Westen und Schwarzwald im Osten gelegen.
DeutschlandKulturgeschichtlich ist damit der Raum deutscher Nation und Sprache gemeint, wo „Teutschland“ im Laufe der Frühen Neuzeit eine Kurzbezeichnung für das „Heilige Römische Reich teutscher Nation“ wurde. Im 19. Jahrhundert wurde „Deutschland“ immer mehr zur inoffiziellen Bezeichnung für die deutschsprachigen Gebiete Mitteleuropas, zunächst das Gebiet des 1815 gegründeten Deutschen Bundes, dann des 1871 gegründeten Deutschen Reiches.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Leipzig51.3406321,12.3747329Am Zusammenfluß von Weißer Elster, Pleiße und Parthe gelegene Universitäts- und Messestadt in Sachsen.
Regensburg49.0195333,12.0974869An der Donau gelegene alte Reichsstadt des Heiligen Römischen Reiches, wo ab 1663 der Immerwährende Reichstag stattfand, sowie Residenz- und Bischofsstadt, etwa 200 Kilometer nordwestlich von Linz entfernt.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
recognoscirenRekognoszieren, also die Echtheit einer Sache, einer historischen Quelle wie einer Urkunde, Handschrift etc. feststellen.
Junges DeutschlandEine eher lockere literarische Bewegung des Vormärz, die nach der Juli-Revolution in Frankreich im Jahre 1830 stärker hervortrat und sich mit ihren liberalen Überzeugungen vor allem gegen die reaktionäre Politik Klemens Wenzel Lothar Metternichs (1773-1859), des führenden österreichischen Politikers, und der deutschen Fürsten richtete. Zum „Jungen Deutschland“ gehörten Dichter, Schriftsteller und Journalisten wie Heinrich Heine (1797-1856), Ludwig Börne (1786-1837) und Karl Gutzkow (1811-1878).
Deutsch-Deutscher Krieg (1866) Der „Deutsch-Deutsche Krieg“, auch Preußisch-Österreichischer Krieg oder Deutscher Krieg, war eine militärische Auseinandersetzung zwischen Österreich als Anführer des Deutschen Bundes und Preußen sowie seiner Verbündeten, die am 14. Juni begann und bis zum 23. August 1866 andauerte; Bayern stand an der Seite der Österreichs. Durch den Sieg Preußens wurde die projektierte Einigung Deutschlands als einheitlicher Bundesstaates in Form der Kleindeutschen Lösung unter preußischer Führung immer wahrscheinlicher, weswegen dieser Krieg auch als der zweite von insgesamt drei sogenannten Einigungskriegen (beginnend mit dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864) bezeichnet wird. Die Gründung des deutschen Kaiserreiches unter den Hohenzollern erfolgte schließlich nach dem „Deutsch-Französischen Krieg“ als drittem und letztem sog. Einigungskrieg 1870/71.
wissenschaftlichAuf die Wissenschaft bezogen, ihr zuzuordnen, auf ihr gründend, sie betreffend, zu ihr gehörend, sie beinhaltend.
sistiren„Sistieren“ hier im Sinne von: (vorläufig) einstellen, unterbrechen.
Chronik(en), Chroniken der deutschen Städte (Städtechroniken), chronikalische DenkmälerEdition „Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert“, von 1862 bis 1899 hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durch Karl Hegel (1813-1901); auch allgemein: auf die Antike zurückgehende geschichtliche Darstellung, in der die Ereignisse in zeitlich genauer Reihenfolge, dabei aber, im Gegensatz zu den formal strengeren Annalen, in größeren Zeitabschnitten aufgezeichnet werden, auch im Sinne von: Lebensläufen.
Stadtchroniken, Städtechroniken, auch: ChronikenIm Rahmen von Stadtgeschichtsschreibung und -forschung geschriebene, teilweise auch edierte Chroniken von Städten. Karl Hegel (1813-1901) gab im Rahmen seiner Leitung des umfangreichen wissenschaftlichen Editionsunternehmens für die Münchener Historische Kommission „Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert“ – angefangen mit seiner Geburtsstadt Nürnberg – solche Städtechroniken heraus.
Etatjahr, EtatsjahrHaushaltsjahr bzw. Rechnungsjahr, für das ein Etat festgelegt wird.
honorirenentlohnen
Honorar, HonorarienVergütung; „Honorarien“ als veralteter Plural von „Honorar“, hier gebraucht im Sinne von Vergütung einer nebenberuflichen Tätigkeit oder einer freien Mitarbeit.
GlossarErklärendes Wörterverzeichnis zu einer Textedition.
Remuneration, RemunerationenZusätzliche Bezahlung, Gratifikation; hier auch im Sinne von Gegenleistung(en) und Vergütung(en) gebraucht im Sinne einer regelmäßigen Gehalts- bzw. Lohnzahlung.
Druck, Drucke„Druck“ als Abkürzung oder Synonym für Drucklegung gebraucht, darüber hinaus auch für ein fertiges Druckerzeugnis (z. B. Kunstdruck, gedruckte Edition einer handschriftlichen Quelle etc.) stehend, somit auch im Sinne von „alte Drucke“.