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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Straßburg, 16. September 1866

Liebstes Suschen!

Ich befinde mich wohl und schon am Ziel – in Straßburg.

Das Wetter war gestern Nachmittag und Abend abscheulich, immerfort Regen. Daher keine Versuchung der schönen Natur nachzugehen.

Donnerstag Nachmittag habe ich in Nürnberg meine Geschäfte und auch Deine Aufträge, wie Du erfahren haben wirst, besorgt2; ich war auch auf dem Glockenhof. Die gute Mutter fand ich schon recht erholt, sie war beim Abendessen auf. Der Vater gab mir 150 fl.3, wovon er aber 50 fl. als halbjährliche Dotation bezeichnete, so daß Du nur 100 fl. mit bestem Dank zurückzusenden hast. Ich hoffe doch, daß das Geld aus München endlich gekommen sein wird! In Erlangen ließ ich nicht mehr als 23 ½ fl. zurück, womit Du nicht lange ausreichen wirst.

Freitag4 Morgen fuhr ich zunächst bei gutem Wetter nach Nördlingen. Mit mir war ein Deutscher, geboren aus dem bayrischen Schwaben, seit 12 Jahren aber angesessen in der Republik der Neger zu Hayti, mit dem ich mich sehr gut unterhielt, indem ich ihn vollständig ausfragte. In Nördlingen hatte ich eine Stunde Zeit und sah die Hauptkirche, welche sehr schöne Gemälde von Schäufelin aufbewahrt. Nach 5 Uhr Nachmittag war ich in Stuttgart, wo ich im hôtel royal gegenüber dem Bahnhof abstieg. Dann suchte ich Stälin auf und fand ihn in der Bibliothek. Er war, wie zu erwarten, sehr freundlich gegen mich und wir machten, nachdem er mich bei seiner Frau bewirthet hatte, einen Spaziergang auf die Weinberge nach Uhlandshöhe. Die Luft war mild, und der Mond beleuchtete bald die Landschaft mit mattem Licht, während unten in der Stadt ein Lichtermeer aus dem Dunkel aufstieg. Wir kamen spät zurück: ich trank Thee bei Stälins, die Tochter sah ich nicht, nur den Sohn, einen kräftigen jungen Mann, der bereits beim Archiv angestellt ist. Frau Stälin läßt Dich bestens grüßen; ebenso er. Ich war gestern Morgen noch bis nach 10 Uhr auf der Bibliothek und suchte dann noch schnell, Dir zu Gefallen, Frau Roser auf, die sehr erfreut und liebenswürdig sich erwies; sie läßt Dich herzlich grüßen, es geht ihr, ihrem Mann und Kindern ganz wohl, ich fand sie unverändert. Um 12 Uhr ging der Schnellzug ab; ich fuhr an Ludwigsburg vorüber und dachte an Mariettchen, gab auf der Station im Fahren einem jungen frischen Artilerielieutnant, den ich schon auf der Fahrt nach Stuttgart gesehen, eine Karte für sie, die er sicherlich bestellen wird. Es fing bald fürchterlich zu regnen an; in Carlsruhe hielten wir an und ich dachte dort oft an die Reise, die wir 1859 mit ein ander machten5. Um 5 Uhr traf ich hier in Straßburg ein; die douane machte nur eine Minute Aufenthalt, nach dem Paß wurde gar nicht gefragt; ich fuhr im Omnibus nach maison rouge am Kleberplatz, wo ich ein hübsches Zimmer erhielt mit Aussicht auf den schönen Platz. Ich trieb mich hierauf in den Straßen im heftigen Regen umher, trat in den Münster bei magischem Dämmerlicht, welches durch die farbigen Scheiben gebrochen wurde. In den Seitencapellen und an den Wänden brannten einzelne Lichter und sah man dunkle weibliche Gestalten neben den Beichtstühlen knien. Zu diesem wundervollen mystischen Bau bildete einen eigenthümlichen Gegensatz die gemüthliche glänzende Bierhalle, in der ich mich hernach niederließ und ausruhte, wo ich eine interessante Unterhaltung mit ein paar französischen Soldaten anknüpfte. Doch ich muß mich kurz fassen und mir Manches für mündlichen Bericht vorbehalten.

Ich fahre am Abend fort, nachdem ich den ganzen Tag umhergelaufen. Das Wetter war glücklicher Weise günstig genug. Zuerst hörte ich in der lutherischen Hauptkirche eine Predigt und zwar eine französische; der welcher sie vortrug, hieß Le Blois und gehört wie ich nachher hörte und wohl aus der Predigt selbst errathen konnte, zu den fortschreitenden Theologen. Der Vortrag war so anziehend und lebendig, wie man bei uns in Deutschland nur sehr selten Gelegenheit hat, Ähnliches zu hören; der Inhalt reich und gedankenvoll. Nachher suchte ich diejenigen Herren auf, Bibliothekare und Archivare, auf deren guten Willen ich hauptsächlich angewiesen bin. Nachdem ich zuerst die Wohnungen erkundigt und die Straßen und Häuser aufgesucht, fand ich Niemand zu Hause, ungewiß, ob sie verreist oder ausgegangen sind, denn es wurde mir gar nicht aufgemacht. Ich verweilte lang im Dom und sah die berühmte Uhr beim Schlagen der Mittagsstunde, wobei gar viel Wunderliches vorgeht, das ich den Kindern erzählen werde. Ich machte nach einem vergeblichen Gang zur Wohnung von Prof. Reuß, der sich auf dem Lande aufhält, hörte aber doch wenigstens, wo er zu finden sei. Nachdem ich zu 2 francs in einer Restauration ziemlich schlecht gegessen und in einem großen Caffelocal meinen Caffe getrunken, wanderte ich zum Thor hinaus, um eine Stunde weit den Prof. Reuß auf dem Lande aufzusuchen; doch nahm ich noch einen Fiaker und kam bald ans Ziel, wo ich die freundlichste Aufnahme fand. Prof. Reuß erinnerte sich, mich vor 22 Jahren in Rostock bei Hofmanns gesehen zu haben. Bei ihm sind eine Frau von angenehmem Wesen und zwei Söhne, von denen der ältere, Geschichte studiert hat; er hat einen schönen Landsitz mit großem Garten, voll von prächtigen Zier- und Obstbäumen unweit vom Rhein. Von ihm empfing ich alle Mittheilung und Aufklärung über Straßburger Universitäts- und kirchliche Verhältnisse, die ich wünschte. Dann kam noch Prof. Kunitz, ein werter theologischer College, an den mir Herzog eine Karte mitgegeben, bei welchem es aber ebenfalls solcher Introduction nicht bedurfte. Dieser begleitete mich zu Fuß nach Hause und erbot sich mir für die nächsten Tage zum Führer. Leider weiß ich noch nicht, ob ich morgen die Locale offen finden werde, in welchen ich meine Arbeiten zu beginnen habe, was allein davon abhängt, ob die Vorstände noch verreist oder hier sind, so daß ich möglicher Weise meinen Zweck in der Hauptsache6 verfehlt haben könnte. –

Ich schreibe Dir bald wieder, liebes Suschen und hoffe morgen oder übermorgen spätestens etwas von Dir zu hören. Ich denke mein hübsches und ruhiges Zimmer (es liegt in einem Nebenhaus des schon besezten Gasthofes, aber an demselben Platz) hier in maison rouge am Kleberplatz zu behalten und Du kannst Deine Briefe hierher adressiren, wenn ich anders noch lange in Straßburg bleibe, was von den oben erwähnten Umständen abhängt. Ich wünsche von Herzen, daß Du und die Kinder mit Dir sich wohl befinden und empfehle Euch dem göttlichen Schuz. In treuer Liebe

Dein Mann.