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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Straßburg, 20. September 1866

Liebes Suschen!

Ich habe Deinen lieben Brief1 am Dinstag Abend auf der Post vorgefunden und wurde sehr erfreut durch die guten Nachrichten, die er mir brachte. Ein solches Wort aus dem Herzen einer lieben Frau und vom eignen Herde thut einem recht wohl in der Fremde, wo man das Daheim entbehrt. Übrigens befinde ich mich hier keineswegs wie ein Vereinsamter und es fehlt mir nicht an freundlicher Ansprache. An jenem Sonntag Nachmittag, von dessen häuslicher Ruhe Du mir ein anziehendes Bild gabst, fuhr ich von hier eine Stunde weit hinaus nach dem Ort Neuhof, wo Prof. Reuß, an den ich Grüße von Herzog und Weizsäcker zu bringen hatte, auf eigenem Gute in den Sommerferien verweilt. Ich wurde sehr freundlich von ihm aufgenommen, da er sich erinnerte mich schon vor 22 Jahren in Rostock bei Hofmanns gesehen zu haben. Mit ihm war damals Prof. Kunitz, gleichfalls Theolog, der sich nun ebenfalls zum Besuch bei Reuß einfand und mit mir am Abend zurückging. Doch davon habe ich Dir ja schon geschrieben. Es war für mich damals noch ungewiß, ob ich Archiv und Bibliothek würde offen finden; ich hatte am Sonntag2 die Archivare und Bibliothekare vergebens in ihren Wohnungen aufgesucht. Es war die Zeit der Ferien und wahrscheinlich, daß sie verreist seien. Doch das schlechte Wetter war in dieser Beziehung für mich ein glücklicher Umstand, weil es den Herren die Reiselust vertrieb. Ich traf den Archivar Brucker im Archiv, der so freundlich war mir seine Schätze zu zeigen und mir zu gestatten, in den Morgenstunden von 9 – 11 Uhr im Archiv zu arbeiten, was ein persönliches Opfer für ihn ist, da er seine Ferien hat und sonst nicht hingehen würde. Er führte mich zu Herrn Buchdruckereibesitzer Heitz, der auch Schriftsteller und Kenner der Literatur des Elsaß ist. Dieser freundliche und redselige Herr legte mir von seinen Büchern und Handschriften manches Seltene, das mich interessirte, vor. Herr Brucker führte sodann mich Nachmittags in die Bibliothek, die jetzt von 2 – 5 Uhr offen ist und ich fand dort die Handschriften, mit denen ich mich vornehmlich beschäftigen wollte.3 So war ich doch beruhigt darüber, daß ich nicht vergebens hieher gekommen, und für die vorgesetzte Zeit meines hiesigen Aufenthalts hinlänglich mit Arbeit versorgt. Auch meine Tagesordnung Vormittags und Nachmittags ist mir durch die angegebenen Stunden vorgeschrieben. Außerdem begleitet mich Prof. Kunitz, der in meinem Alter aber Junggeselle ist, auf meinem Hauptspaziergang am Abend um mich in Stadt und Umgegend zu orientieren. An dem einzigen schönen Tag, den ich außer dem Sonntag, hier hatte, nämlich gestern Mittwoch Abend, bestiegen wir den Münster, dessen Plattform einen herrlichen Überblick über die Stadt und die Ferne bis an Schwarzwald und Vogesen gewährt, leider war die Ferne doch nicht ganz klar. Am Dinstag Abend war ich zu Kunitz eingeladen und fand bei ihm außer Prof. Reuß und Sohn die Professoren Baum (Theolog) und Bergmann (Philolog der neueren Sprachen). Den letzteren hatte ich schon am Morgen besucht unter Begleitung von Kunitz, damit ich von ihm in das Casino eingeführt wurde, wo man französische und deutsche Zeitungen in Menge findet. Ich war seitdem schon zwei Mal in diesem schön ausgestatteten Local am Abend nach dem Essen. Mit Essen und Wohnung bin ich erst jetzt nach mancherlei Irrfahrten zu einer bestimmten Ordnung gelangt. Im Rothen Hause wohnte ich zwar anständig an dem Kleberplatz, der zur besten Stadtgegend gehört, aber theuer und wenig bequem. Dagegen fand ich das Essen in Restaurationen und Cafe’s noch weniger zusagend und nicht minder theuer, wenn man es nach seinem Geschmack verlangte. Herr Brucker empfahl mir einen anderen Gasthof Hotel du cerf oder zum Hirschen in der Mezgergasse; ich zog also dorthin, fand das Essen zwar ordentlich nicht aber Wohnung und Bett; darum verließ ich auch diesen schon am folgenden Tag, nämlich gestern, und suchte mir eine Privatwohnung, die ich so glücklich war alsbald in angenehmer Lage zu finden. Diese ist an einem Quai der Ill, welche die Stadt durchschneidet – Quai des bateliers no. 38 – die Aussicht auf die Häuser am anderen Ufer, welche kleine Gärten haben, ungefähr so wie in Nürnberg auf der Schütt – über dise ragt der Münster in erstaunlicher Höhe hervor, ein wunderwürdiger Bau. Die Hausfrau, welche mir das Zimmer mit Alkoven vermiethet hat, ist sehr gefällig und ihr Mädchen besorgt die Wohnung; der Mann ist Buchdrucker; ich bekomme morgens den Caffe auf das Zimmer; für eine Woche – auf so lange gedenke ich noch hier zu bleiben, bis nächsten Donnerstag4 – zahle ich 10 francs. Heute Abend bin ich zu Prof. Reuß eingeladen, in seine Stadtwohnung, wo ich wahrscheinlich dieselben Herren, wie bei Kunitz antreffen werde. Am nächsten Sonntag5 gedenke ich einen Ausflug nach den Vogesen zu machen; der Ort Barr und die dortige Gegend sind mir besonders empfohlen worden; freilich ist gutes Wetter nöthig. –

Nun, liebe Susi, will ich Dir noch ein Geldgeschäft auftragen.

Ich lese in der A. A. Z. daß die neue bayrische Prämienanleihe zum curs von 95 ausgegeben wird in Obligationen von 100 Stück oder 175 St. und daß die Einzeichnungen am 26. und 27. dieses Monats stattfinden. Ich will mich dabei mit 800 St. = 1400 fl.6 beteiligen und zu diesem Zweck 4 Stück hessische Ludwigsbahnactien, die Du in dem Paket meiner Geldpapiere findest, jedes auf 250 fl. lautend nebst dazu gehörigen coupons und Dividendenscheinen, verkaufen. Diese haben gegenwärtig den curs von 130, machen also den Werth 1300 fl. aus, wozu halbjährliche Zinsen a 2 fl. = 20 fl. und eine Abschlagszahlung auf die Dividende, deren Betrag ich nicht kenne, kommen. Nimm diese 4 Stück Actien und Coupons und Dividendenscheine und bitte den Vater, daß er sie durch Merkel in Frankfurt verkaufen lasse; nimm ferner 80 St. oder 140 fl. von dem Geld, welches Du aus München erhalten hast und bitte den Vater, daß er damit die Anzahlung von 10 Procent für 800 St. in der neuen Prämienanleihe für mich gütigst besorge. Es wird nöthig sein, daß Du zu diesem Zweck selbst nach Nürnberg hinüberfährst und zwar ohne Aufschub. Sollte die Einzeichnung auf die Prämienanleihe für mich aus irgend einem Grund nicht statthaft sein – denn es wird gewiß ein großes Gedränge danach stattfinden und die banquiers vielleicht den ganzen Betrag sogleich belegen – so will ich doch auf alle Fälle die hessischen Ludwigsbahnactien verkaufen, um das Geld anders und zwar in bayrischen Papieren anzulegen.

Nun leb wohl mein geliebtes Frauchen, ich küsse die Kinder alle nach der Reihe und lasse sie herzlich grüßen. Ich grüße ebenso die lieben Eltern und Deine Geschwister. Möge es Euch allen wohl gehen! Ich werde noch einen Brief von Dir im Gasthof zum rothen Hause nachfragen. Deinen nächsten schickst Du am besten in meine jetzige Wohnung Quai des bateliers no. 38 chez Ms. Eckart. In herzlicher Liebe der

Deinige.