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Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 17./18. Oktober 1866

Mein lieber, trautester Mann!

Wie geht’s zu Hause, das ist eine Frage, die mir jetzt so oft im Herzen und in Gedanken liegt und auf die ich gar zu gerne recht bald Antwort haben möchte; und Du mein Liebster denkst gewiß eben so oft unser und wie Viel habe ich Dir auch zu berichten von den wenigen Tagen, die wir getrennt sind. Doch vor Allem, wir sind glücklich und wohlbehalten hier angekommen, mit Liebe und Herzlichkeit von den lieben Geschwistern aufgenommen worden, die allerdings wohl erst denselben Sonntag2 Morgen die Nachricht unsrer Ankunft, erst den Brief, dann die Depesche aus Eisenach erhalten hatten, aber durchaus gerichtet und bereit waren, uns aufzunehmen. So sind wir dann nun 2 Tage hier in dem schönen Berlin und Annchen ist so davon angethan und es gefällt ihr so gut, daß sie mir erklärte, sie möchte nicht mehr mit zurück. Die Lieben sind auch Alle so freundlich gegen sie, das Leben ist so gemüthlich trotz allen Eifers dagegen von Seiten der guten Nürnberger und das Treiben der Weltstadt verfehlt auch nicht Eindruck auf sie zu machen.

Donnerstag d. 18ten. Noch immer keinen Brief, mein Liebster. Sag mal, was ist denn das eigentlich? ich schreibe Dir gleich von Eisenach aus und denke, Du wirst gleich antworten, ich bin ungeduldig vom Hause zu hören und es geht ein Tag nach dem andern hin und ich höre Nichts und Du weißt doch wie ich darnach verlange. Nun erzähle ich Dir zur Strafe auch gar Nichts Näheres von unserm Leben; Nichts von dem schönen Spaziergang zur Wartburg am Samstag3 Morgen, Nichts von unserm ersten Gang zur Stadt am Montag4 die ganze lange Strecke unter den Linden wo die eroberten Kanonen zu beiden Seiten eine an der andern steht, Nichts von unserm flüchtigen Gang durch das neue Museum, was wir ein ander Mal gründlich nachholen wollen, Nichts von der interessanten Feier der Grundsteinlegung einer neuen Kirche, wo Manuel als Consistorial Präsident eine Rolle spielte und wir den stattlichen König, den Kronprinzen u. s. w. in nächster Nähe beobachten konnten, wie sie die üblichen Hammerschläge thaten, Nichts von dem gestrigen Tage wo wir Besuch bei Heffter, Eichhorn und Müller machten, wo ich überall als treue Preußenfreundin aus dem verrufenen Bayern freundlich begrüßt wurde. Heute Mittag sind wir zu Hefftens gebeten, vorher wollen wir aber noch zu Ehrhard, nachdem Bröher gestern hier war und Annchens Ohr sich besehen und Ehrhard in jeder Beziehung sehr rühmte; möchte die Behandlung gute Früchte tragen!

Auch zu Frl. Baum, der Singlehrerin, wollen wir heute gehen, mit Frl. Hoffmeyer haben wir noch nicht gesprochen, Clara meinte, sie würde Annchen gleich fest halten und es wäre doch wünschenswerth, daß Annchen sich erst ein wenig einlebt, jedenfalls wollen wir aber morgen hingehen und Mondtag5 soll sie dann anfangen. Sie hat guten Muth und freut sich auf Alles, ich denke, es wird gut gehen. Doch mein Liebster ich muß schließen, hoffentlich seid Ihr wohl und munter nur etwas schreibfaul, Luischen soll mir nun auch schreiben, wie es ihr mit ihrem Haushalt geht. Wie sind denn die Kinder? ich küsse sie im Geiste. Hast Du nach Simmelsdorf geschrieben? Annchen und unsre Lieben grüßen schönstens, Mariechen ist sehr nett mit Annchen.

Lebe wohl mein treuester Mann, Gott sey mit Euch und führe uns glücklich wieder zusammen.

Du hast doch meinen Brief6 von Eisenach erhalten, in dem ich Dich um Visitenkarten bat, in meinem Schreibtisch, linker Hand.

Leb wohl!

Deine Susanna.