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Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 25. Oktober 1866

Mein lieber, bester Manni!

Deinen lieben Brief von Dienstag1 Vormittag habe ich richtig gestern Mittag erhalten, also eben in 24 Stunden und freue mich sehr der guten Nachrichten, auch Deiner liebevollen Bereitwilligkeit meinen Urlaub noch ein bißchen zu verlängern, ich wollte eigentlich schon Freitag kommen und Dir gestern schreiben, aber da Du mich erst Sonnabend2 erwartest, lassen wir es jetzt dabei und ich reise Sonnabend Morgens hier ab um hoffentlich um Mitternacht bei Dir mein Geliebter anzukommen. Es ist mir auch gar nicht bange, wie die Zeit auszufüllen ist bis dahin, denn Berlin mit all seinen Herrlichkeiten, mit seinen weiten Wegen und Entfernungen verbraucht Zeit und Kräfte. Seit meinem letzten Brief3 haben wir gerade nicht besonders Großes geleistet, weil nun Annchens Schule begonnen und dadurch ihre Zeit sehr besetzt ist. Ein Besuch bei der Stahl bestätigte mir meine Vermuthung ihre Freundlichkeit sey nur Folge unsrer gut preußischen Gesinnung. Annchen fand sich ganz gut in die Schule, sie hatte sehr interessante Stunden in Geschichte, Geographie, Physik, bei wenigen Lehrern verstand sie schwer, nun hat aber Frl. Hofmeyer sie neben den Lehrer gesetzt und nun geht es besser. Überhaupt hat ihr Gehör sich wieder etwas gebessert, seitdem sie mehr zur Ruhe gekommen ist. Gestern war Böhm wieder hier, er will mit Erhardt sprechen und morgen Bescheid bringen über die zu beginnende Cur mit Bädern und Wassertrinken, natürlich sollte sie nur 3 Mal die Woche baden. Dienstag sahen wir das Schloß, die herrlichen Prachtgemächer, den weißen Saal, die Bildergalerie mit den Bildern all der preußischen und verwandten Fürsten und Fürstinnen besonders das wundervolle Bild der Königin Luise. Nachmittags – der hier sehr kurz ist, da wir erst um 3 Uhr essen, waren wir bei der alten Müller, die sehr wohl und munter ist. Gestern machten wir verschiedene Besorgungen, während Annchen in der Schule und bei Frl. Baum war. Die Letztere möchte gerne, daß Anna wöchentlich 2 volle Stunden habe, allerdings recht theuer, aber bei der kurzen Zeit glaubt sie sonst Nichts erreichen zu können. Vielleicht könnte man am Anfang darauf eingehen.

Auch im Museum4, Dieß Mal bei den Bildern waren wir gestern, da vermisse ich Dich  immer sehr, mein Auge selbst ist zu wenig geübt, das wirklich Schöne oder Schönste herauszufinden. Heute wollen wir zur Synagoge, wir hatten es schon vor und Dein Brief bestätigte und bestärkte meinen Wunsch. Ich schreibe während nebenan Clara mit einer Putzmacherin berathschlagt die sowohl ihre Hüte als auch den für Anna machen soll. Clara ist sehr nett mütterlich besorgt für Annchens äußere Bedürfnisse und richtet auch Alles so sparsam als möglich ein, aber das Leben in Berlin ist furchtbar theuer.

Leb wohl, liebstes Herz, Gott schenke uns ein frohes Wiedersehen, ich grüße und küsse die Kinder, schreiben kann ich nichts an sie, aber ich freue mich sehr auf Alle, groß und klein. Weißt Du auch daß heute unser Verlobungstag5 ist, 17 schöne, gesegnete Jahre.

Leb wohl, Herzchen, Gott behüte Euch! Schöne Grüße von Allen.

Ich umarme Dich im Geiste.

Deine Susanna.