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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Straßburg, 31. März 1867

Guten Morgen, liebes Frauchen!

Ich bin, wie Du siehst, glücklich in Straßburg angelangt und wohne bereits im gemietheten Zimmer wieder am Quai des bateliers no. 27, nicht in demselben Hause wie im Herbst, wo ich kein Zimmer frei fand, sondern nicht weit davon in derselben freundlichen Lage. Die Vermietherin handelt mit Schuhen und ist eine freundliche Frau; es ist Alles sehr sauber und reinlich gehalten und ein ordentliches williges Mädchen bedient mich. So bin ich denn hier, wie es scheint, ganz gut aufgehoben. – Auch die Freunde: Reuß, Kunitz, der Archivar Brucker haben mich recht herzlich begrüßt. Lexer und Weizsäcker traf ich gleich nach Ankunft, nachdem ich im Badischen Hof abgestiegen. Wir treffen Mittags und Abends zusammen. Im Archiv war ich gestern Vormittag und Nachmittag nur kurze Zeit, da ich am Morgen nach der Wohnung suchte und sodann umzog, Besuche machte usw. Das Wetter ist schlecht; es goß in Strömen am Freitag1 Abend und war in der Ferne ein Gewitter, gestern war es ziemlich kalt, doch sah ich bei Kunitz Hyacinthen im Freien und die Crocus waren fast schon verblüht. Beim Hereinfahren durch die Vorstadt bemerkte ich blühende Pfirsichbäumchen und die Gesträuche sahen schon hübsch grün aus. Im Zimmer aber muß man heizen.

Ich komme auf meine Reise zurück.

Mit Stintzing gelangte ich nach einstündigem Aufenthalt in Bamberg und kurzem Verweilen in Schweinfurt, wo sein im Gesicht etwas zerkratzter sonst gut und frisch aussehender Sohn Wilhelm ihn erwartete, rasch nach Würzburg. Wegele empfing mich auf dem sehr entlegenen neuen Bahnhof und brachte mich in seine Wohnung, wo ich als Gast von der jungen Frau, von meinem Pathen Karl und den zwei anderen Söhnen herzlich begrüßt und aufgenommen wurde. Die junge Frau macht einen sehr angenehmen Eindruck, sie ist nicht größer als Du, freundlich, heiter vom Charakter, wie es scheint, unbefangen und Herz gewinnend. Ich ging mit Wegele auf die Mainbrücke und durch die Stadt, dann in die Harmonie, wo ich einige Würzburger Collegen, Hoffmann, Urlichs und den Bürgermeister Zürn, den ich als Assessor in Augsburg kannte, antraf. Nach Christoph erkundigte ich mich bei Wegele, deraber nichts Näheres sondern nur dies von ihm wußte, daß er sehr weit entfernt in der Gegend des Bahnhofs wohne, wo ihn noch am späten Abend aufzusuchen nicht wohl anging. Durch meinen frühen Aufbruch um 6 Uhr Morgens verursachte ich einige Störung im Hause, da die junge Frau schon um 5 Uhr aufstand, um für das Frühstück zu sorgen; doch nahm sie das sehr leicht und half mein Depreciren2 nichts.

Auf der neuen Würzburg Heidelberger Bahn gelangte ich in 5 bis 6 Stunden nach Heidelberg. Der Weg ist meist wenig anziehend und wird erst schön wo man den Neckar erreicht, besonders auf der letzten Station von Neckargemünd her. Die Bahn geht im Tunnel unter dem Schloßberg durch, aus dem man plötzlich wieder hervortaucht und mitten in die Stadt hinein sieht, worauf man noch einmal im Berg unter dem Riesenstein verschwindet und beim Bahnhof draußen anlangt. Eine lange neue Straße läuft längs dem Pariser Weg her in sonniger Lage dem Berg gegenüber. Dort spazierten englische oder russische Damen und rothbejackte Fräulein. Es macht den Eindruck wie ein eleganter Kurort. Die Sträucher waren schon grün; man sah blühende Bäume hie und da in den Anlagen und an dem Berg hinauf; von weitem eröffnete sich der Blick auf die röthliche Schloßruine. Ich konnte nur kurz in diesem paradiesischen Thal verweilen, aß in der Restauration und fuhr um 1 Uhr weiter und kam bald in belebte Unterhaltung mit einem Ehepaar aus Hamburg, das, dem Kaufmannstand angehörig, nach Frankreich und Italien zum Vergnügen reiste. Als ich aber in Carlsruhe an der Wagenseite entlang ging, wurde ich plötzlich im Momente des eigenen Erkennens angerufen von alten guten Bekannten – von Kußmauls, die eben im Begriff waren nach Freiburg zurückzufahren. Zu diesen setzte ich mich und gab Auskunft über die Erlanger Freunde. Sie selbst sahen beide recht gut aus. In Appenweier, wo die Wege sich trennen, verließ ich sie wieder, erreichte Kehl und stieg aus an der Station Austerlitz, welche dem Stadttheil von Straßburg, dem ich mich zuwenden wollte, näher liegt als der große Bahnhof. Ohne alle Schwierigkeit, selbst ohne Paßvorweisung und ohne Kofferöffnung, kam ich herein.

Nun, liebes Suschen, wünsche ich recht bald von Dir und den Kindern zu hören; schreibe mir daher gleich unter oben bemerkter Adresse. Lege keine anderen Briefe ein, wenn sie nicht dringenden Inhaltes sind und dann frankire doppelt, unter Berücksichtigung, daß Briefe nach Frankreich, einfach frankirt, nur 6/10 Loth wiegen dürfen, und ungenügend frankirt hier Nachzahlung des doppelten Porto verlangen. Ich grüße die Kinder alle in herzlicher Liebe und hoffe nur Gutes von ihnen zu hören; sieh auf Georgs Arbeiten und nimm es genau damit.

Luischen’s Geburtstag ist ja wohl erst am 6.3, bis dahin schreibe ich wieder; schicken kann ich nichts von hier, weil es zu viel Weitläufigkeiten macht. Grüße die lieben Nürnberger; vielleicht fährst Du noch einmal vor Ostern4 hinüber.

Heute Mittag esse ich mit Weizsäcker bei Archivar Brucker; bei Reuß und Kunitz sind gleichfalls schon Einladungen für uns angekündigt.

Lebe wohl liebes Suschen und gedenke mein!

Dein
Dich liebender Gatte und Freund.