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Karl Hegel an Otto Hartwig, Erlangen, 9. Juli 1867

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Sehr geehrter Herr Doctor!

Für die Zusendung Ihrer Schrift über die sicilianischen Stadtrechte sage ich Ihnen meinen besten Dank. Da der Gegenstand bei uns so gut wie terra incognita ist, so befinden Sie sich in der angenehmsten Lage, fast nur Neues und eben so viel Interessantes bieten zu können. Recht gern will ich mich darüber, so bald ich die Zeit dazu finde, die ich gegenwärtig nicht habe, auch öffentlich in der Sybel’schen Zeitschrift aussprechen. Doch will ich Ihnen gegenüber, da Sie es wünschen, auch meine aufrichtige Meinung nicht verhehlen, welche dahin geht, daß mir der Werth Ihres Schriftchens mehr in demjenigen zu bestehen scheint, was Sie referierend über die Stadtrechte, insbesondere das von Messina, aus der wie man sieht, gleichzeitig benutzten sicilianischen Literatur mittheilen, als in dem, was Sie aus eigner Forschung hinzugethan haben. Hier haben Ihnen offenbar noch die nöthigen Vorstudien gefehlt, und mit diesen die Bekanntschaft mit den nothwendigen literarischen Hülfsmitteln. Es wäre deshalb wohl zu wünschen gewesen, daß Sie mit der Publication dieser Schrift noch etwas länger gezögert hätten, damit Ihnen das eigne Bedauern dessen, was Ihnen entgangen ist, erspart worden wäre. Auch merkt man es der Arbeit selbst an, daß sie rasch wie ein Entwurf niedergeschrieben, im Einzelnen nicht überall durchdacht ist.

In Bezug auf das Unternehmen, eine ganze Sammlung der sicilianischen Stadtrechte zu edieren, welches Sie im Sinne haben, hege ich mancherlei Bedenken. Erstens weiß ich nicht, bezweifle aber, ob es sich überhaupt in Ansehung der wissenschaftlichen Ausbeute sonderlich verlohnen dürfte. Für die Verfassungsgeschichte der Städte scheint nach dem Beispiel des Stadtrechts von Messina überaus wenig Gewinn daraus zu schöpfen sein; und auch der privatrechtliche Stoff, den diese Stadtrechte allein bieten, wird sich auf einige wenige Resultate, die von wirklichem Belang sind, beschränken. Es kommt zweitens hinzu, daß, wie es scheint, Ihnen nirgends Originalhandschriften, sondern nur Drucke oder späte Abschriften für die beabsichtigte Edition vorgelegen haben, so daß für die Richtigkeit der Texte keine sichere Gewähr gegeben ist. Und drittens würde eine Bearbeitung dieser Stadtrechte, wenn es auf solche abgesehen ist, wohl nur von einem mit der römischen und italienischen Rechtsgeschichte völlig vertrauten Juristen, mit Sicherheit und Gründlichkeit ausgeführt werden können. Ich könnte Ihnen durchaus nicht rathen, sich hierauf einzulassen.

Sie werden mir die Aufrichtigkeit meiner vorstehenden Äußerungen gewiß um so weniger übel deuten, als ich damit nur Ihrem Wunsche, meine Ansicht zu erfahren, zu entsprechen glaube. Dabei schließe sich natürlich nicht die Möglichkeit aus, daß ich mich in dem einen oder andern Punkte geirrt haben kann.

Hochachtungsvoll
Carl Hegel.