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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Brüssel, 27./29. August 1867

Liebes Suschen!

Gestern Abend glücklich hier angelangt; zwei reiche Reisetage dünken mich eine unendlich lange Zeit! Das Datum des heutigen Tags bezeichnet den Geburtstag meines seligen Vaters1 und ruft die Erinnerungen der Vergangenheit wach.

Die erste Reisenacht auf der Fahrt über Würzburg nach Darmstadt, Mainz war miserabel. Mit knapper Noth konnte ich in Fürth noch den Zug nach Würzburg erreichen; er war bereits im Abfahren begriffen als ich einstieg, ich hätte bequemer auf Fürther Kreuzung einsteigen können, allein der Expedient in Erlangen hatte mich und mein Gepäck ausdrücklich nach Fürth dirigirt.

Auf der Nachtfahrt von Würzburg nach Darmstadt kämpfte ich mit einem Passagier um den Polster auf dem mein Ellenbogen ruht, weil er Inständig mit seinem Schädel, den er darauf gelegt hatte, gegen diesen arbeitete, um sich besser ausstrecken zu können. In Darmstadt beim Morgengrauen fand ich im Cupé nebenan mehrere Nürnberger, unter diesen Herrn Hertel und Dr. Merkel, Dr. Sommer mit Tochter, welche gleichfalls nach Paris zu reisen beabsichtigten. Ich assorciirte mich mit dem letzteren und seinem Hannchen und dise mit mir, so daß wir die ganze Reise bis hierher zusammen machten. Herr Dr. Sommer bewährte sich als ein liebenswürdiger Nürnberger Philister, von höchster Gemüthlichkeit. Heute morgen verläßt er mich, weil er direct nach Paris abreist.

Wir machten am Sonntag morgen die Rheinfahrt von Mainz aus bis Cöln herunter, Morgens etwas bedeckter Himmel, Abends schöne sonnige Beleuchtung; man ermüdet doch zuletzt bei der langen Fahrt von 9 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends trotz aller Abwechslung der romantischen Scenerien oder vielmehr wohl in Folge der Ruhelosigkeit. Ich sprach auf dem Dampfschiff diesen und jenen an: besonders gefielen mir ein Paar preußische Offiziere, ein Curassier Lieutenant und ein Infanterie Offizier in Civil, prächtige frische und gebildete Menschen, voll Schwung und Begeisterung. Der Glanzpunkt war Coblenz mit einer mächtigen eisernen Brücke neben der Schiffbrücke; eine eben solche noch großartigere bei Cöln, unter welchen die Dampfschiffe mit ihren hohen Schloten ungehindert durchfahren.

In Cöln stiegen wir im Hotel Disch ab, über unseren Wunsch vornehm und glänzend und ebenso theuer; Abends wurde noch der herrliche Dom besucht, und von da über die Brücke gegangen. Am andern Morgen verweilte ich noch einmal länger im Dom, der im Innern ganz vollendet ist, unvergleichlich reich und groß in der Spitzbogenarchitektur, dann besuchte ich das schöne städtische Museum; das Stadtarchiv fand ich leider geschlossen, den Archivar verreist. Deshalb fuhr ich mit Dr. Sommer und Hannchen weiter nach Brüssel, um 11¾ Uhr, blieb aber um 1¼ zwei Stunden in Aachen, um dort noch den alten Dom und Stuhl Kaiser Karls des Großen zu sehen und den Krönungssaal im Rathhaus – breite historische Localitäten in Ausdehnung und Ausschmückung sehr verschieden nach den Begriffen der Gegenwart.

Herrliche Fahrt nach Verviers und Lüttich durch ein reizendes Land von Anhöhen, Wiesen, Wald und anmuthigen Thälern, von Lüttich an eben bis Brüssel, wo ich um 9 Uhr eintraf. Meine Hand ist unsicher beim Schreiben, wie Du siehst, weil das Blut etwas erregt ist; ich schließe, um meine Wanderung durch Brüssel anzutreten. Leider ist das Wetter trüb und regnerisch geworden.

Also heute ist der Tag der Freude, der Euch nach dem lieben Simmelsdorf ruft. Ich denke mir Eure Geschäftigkeit und den Jubel der Kleinen, wenn der Wagen an’s Haus fährt bis Alles glücklich hineingepackt ist und es endlich fort-geht. Hoffentlich giebt es unterwegs keinen Regen!

Mich bringt der heutige Tag endlich in das andere Local: Abfahrt von hier 9 Uhr, Ankunft Nachmittag 3 ¾ Uhr; wenn ich nur erst glücklich untergebracht wäre in Paris, die Präliminarien des Ankommens sind doch immer unangenehm; doch bin ich durch die letzten Tage schon einiger maßen daran gewöhnt worden. Vorgestern Vormittag sah ich bei Regen der erst gegen Mittag aufhörte den Theil von Brüssel, den man fast so gut bei Regen wie bei Sonnenschein sehen kann, nämlich das prächtige alte Rathhaus und den Marktplatz, der mich mit seinen Giebelhäusern an Rostock erinnerte, die Gemäldegallerie im Industriepalast, meist niederländische Bilder, die beiden effectvollen Bilder von Gallait und Bièfve im Justizpalast, die Abdankung Carl’s V.2 und den Compromiß der Gueusen3 vorstellend; die bedeckte Gallerie St. Hubert mit glänzenden Läden zu beiden Seiten; die Königliche Bibliothek fand ich leider geschlossen; dann die Cathedrale, in welcher besonders die Glasmalereien aus dem 16. Jahrhundert sehr bedeutend sind. Die anderen Gebäulichkeiten, der königliche Palast, der Nationalpalast oder Ständehaus sind ziemlich schmucklos, ein Park mit schönen Baumalleen und Rasenplätzen, denen man die Wirkung der Sonne nicht anmerkte, liegt zwischen beiden. Von 9 – 4 Uhr war ich unterwegs mit kurzer Unterbrechung, die ich beim Restaurant machte. Dann setzte ich mich auf die Eisenbahn nach Antwerpen, wo ich um 6 Uhr eintraf.

Vom Gasthof am Hafen hatte ich einen überraschenden Blick über den breiten Strom der Schelde, welchen große und kleine Schiffe mit Segeln, Masten, Schornsteinen belebten. Große Regsamkeit war am Quai und in den ausgedehnten Hafenbassins, diese angefüllt mit Dampfern und Segelschiffen aller Art, die im Ausladen begriffen waren, oder darauf warteten. Alles erinnerte mich an unser liebes Rostock und die Sonne ging schön unter jenseits der Schelde. Am folgenden Morgen begann ich mit einer Rundfahrt nach der Citadelle und den Boulevards um einen großen Theil der Stadt, und besuchte hierauf das Museum, welches Meisterwerke von Rubens, van Dyk, Quintin Massys, van Eyk und andern Niederländern enthält; nach kurzem Ruhepunkt beim Restaurant, nicht bloß um des Magens sondern auch der ermüdeten Augen willen, sah ich die gewaltige Cathedrale, die selbst neben dem Cölner Dom imponirt – sie ist mehr als 200‘ Fuß breit und hat auf jeder Seite des großen Mittelschiffs noch 3 Nebenschiffe (im Ganzen 7 Schiffe), und Rubens‘ größte Schöpfungen, die Abnahme vom Kreuz4 und die Aufrichtung des Kreuzes5, die Himmelfahrt Mariä6; das Rathhaus ist groß und bedeutend, doch erst aus dem 16. Jahrhundert, die einst berühmte Börse von Antwerpen ist vor 9 Jahren niedergebrannt, jetzt ein leerer Platz mit den Häusern rings um. Die Straßen, Plätze, der Markt haben überwiegend ein ganz anderes Ansehen. Um 6 Uhr Abends kam ich hier wieder zurück.

Ich schließe, um mich zum Bahnhof zu begeben. Der Himmel ist bedeckt, ich werde also nicht an der Hitze zu leiden haben. Möge auch Euch, Ihr Lieben, der Himmel günstig sein und Gott Euch behüten. Grüßt mir die Lieben in Simmelsdorf. In Paris erwarte ich einen Brief von dort bis Sonnabend oder Sonntag. Herzliches Lebewohl, liebstes Suschen

Dein Geliebter und
Getreuer.