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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Paris, 31. August/2. September 1867

NB. Meinen ersten Brief aus Brüssel vom 29. wirst Du erhalten haben1 – Meine hiesige Adresse ist: Paris, Rue Corneille, hôtel Corneille.

Liebes Suschen! So wäre ich denn nun in der Stadt, die da meint die Weltstadt zu sein! Groß und lärmend genug ist sie dazu. Indessen ist es doch nicht gerade schwer sich darin zurecht zu finden, mit Hülfe des ehrlichen Bädeker! Der Eintritt wurde mir ein wenig erleichtert durch Herrn Bobyneau, den Begleiter des Herrn Schnizler, Gorup’s Assistenten, welche beide ich auf dem Weg zwischen Brüssel und Paris antraf; doch mußte ich in der Hauptsache mir selbst helfen. Um 4 Nachmittags kam der Zug an bei gutem Wetter, bedecktem Himmel und milder Luft. Ich nahm ein cabriolet auf Zeit, um mir eine Wohnung zu suchen, und fuhr wirklich gerade 1 ¼ Stunde rechts und links der Seine herum, fragte wohl bei 6 und 7 Gasthöfen oder meublirten Wohnungen an, bis mir endlich diese gefiel: Hôtel de Corneille in Rue Corneille près de l’Odéon. In dem von Beetz empfohlenen hotel Valois, welches wegen der Nähe der Bibliothek mir am besten gepaßt hätte, war nur noch 1 Zimmer, ich weiß nicht wie hoch, zu 10 francs täglich zu haben; in dem hotel du Caire, welches ein Straßburger Bekannter mir genannt hatte, fand ich ebenfalls nur einen kleinen Winkel, 5 Treppen hoch, und doch 3 ½ francs. Ich wandte mich hierauf zu dem weniger stark besuchten Viertel, dem sog. Quartier Latin, sah viele schmutzige Löcher, die darum nicht gerade billiger waren und fand endlich diesen Gasthof, den mir schließlich der Kutscher empfahl (die anderen hatte ich nach Bädeker aufgesucht), wo ich zwei Treppen hoch hinten nach dem Hof hinaus doch in einem reinlichen und der Luft zugänglichen Zimmer für 4 francs täglich wohne.2

Nachdem ich also glücklich unter Dach gekommen machte ich mich auf zu Fuß nach Louvre, Tuilerien, Palais royal, den Glanzpunkten der Stadt an oder in der Nähe der Seine. Doch schon ganz in meiner Nähe fesselte mich der Palast Luxemburg und der öffentliche Garten bei diesem, und um hier gleich mein Urtheil summarisch zusammenzufassen, muß ich sagen, daß die öffentlichen Gärten, dann der prächtige belebte Fluß mit seinen schönen Brücken und Quais mir als der reizendste und ausgezeichnetste Theil diser Hauptstadt erscheinen. Die Paläste der älteren und neueren Zeit sind allerdings ausgedehnter als die Hauptgebäude in Berlin, stehen aber was Charakter, Schönheit und Wirkung des Baustils betrifft, sehr hinter diesen zurück; der Louvre ist größer als das Berliner Schloß, aber doch weniger imposant in seiner Facade, die Tuilerien sind in dem wenig geschmackvollen Stil des großen Schlosses bei Potsdam3, welches letzterem selbst in diesem Stil ein großartigerer Bau ist. Ein unvergleichlicher Glanz des Luxus ist in den Kaufläden des Palais royale ausgebreitet, der besonders des Abends in wundervoller Beleuchtung strahlt. Das Palais royale habt Ihr Euch als ein großes mehrstöckiges Schloß in länglichem Viereck zu denken, welches einen reizenden Blumengarten mit einem Springbrunnen in der Mitte einschließt: rings um unter den Bogengängen befinden sich die offenen Kaufstände, eine Treppe hoch die Restaurationen, viele Cafe’s auch unten; in der Gasbeleuchtung am Abend gleicht das Ganze einem strahlenden Feenpalast. Ich aß dort zu Mittag um die Stunde, die hier noch Mittagszeit ist, 7 Uhr, sah Gold und Juwelen ohne Zahl mit neidloser Betrachtung, ergözte mich an den Wasserstrahlen des Springbrunnen, hinter welchem die vielen Lichter verschleiert waren und wanderte den weiten Weg nach Hause, wo ich müde genug ankam und sehr gut schlief.

So weit der erste Tag. Am zweiten besuchte ich das Pantheon in der Nähe meiner Wohnung, ein großartiger Rundbau mit Korinthischen Säulen; die Bibliothek Sainte- Geneviève neben diesem, an deren Außenwänden die Namen der berühmten Männer aller Zeiten in chronologischer Folge verzeichnet sind; mit Stolz sah ich in der letzten Reihe den Namen meines Vaters; dann die Universitätsgebäude der Sorbonne und des Collège de France, die keineswegs ansehnlich sind; das Museum mittelalterlicher Gegenstände, das mich sehr interessirte im hotel Cluny; hierauf gegen Mittag fuhr ich zur Ausstellung, die eine ganze Welt im Kleinen für sich ist, ein großer Rundbau von Glas, in dessen Mitte ein offener anmuthiger Blumengarten mit Springbrunnen; im weiteren Umkreis um das Glashaus herum befinden sich eine Menge kleinerer Gebäude in allen erdenklichen Formen und Stilarten aller Welttheile, unter den Arkaden des Gebäudes selbst rings umher Restaurationen gleichfalls von allen Nationen; eine unendliche Menschenmenge drängt sich, sitzt, schmaust, lärmt aller Orten; kaum findet man sich zurecht in diesem Gewühl. Ein glücklicher Zufall führte mir den Collegen Gerlach mit seiner Frau zu, die ich eine Zeitlang begleitete, dann aber bei den Mexicanern wieder aus dem Gesicht verlor. Es war 6 Uhr Nachmittags als ich todmüde mich wieder auf den Omnibus setzte und ich hatte nur einen Theil der äußeren Räume durchwandert. Ich ging noch in das Theater des Odeon um 9 Uhr und blieb bis 11 Uhr darin, sah den letzten Act von Racine Andromaque, der sehr mittelmäßig gespielt wurde, und die beiden ersten von Molière le malade imaginaire, recht gut. Das war der andre Tag.

2. September Morgens

Am dritten wurde Morgens die Hauptkirche Notre Dame auf der Cité Insel (Insel der Seine) besucht – großer gothischer Bau, nicht vom schönsten Stil; dann das berühmte Rathhaus (hôtel de ville) mit dem einstigen Grève Platz vor ihm, denen beiden man nicht die entsetzlichen Vorgänge ansieht, deren Schauplatz sie vor etwa 77 Jahren waren.4 Hierauf noch einmal in die Ausstellung; Herr Schmidt aus Nürnberg, der Musikalienhändler führte mich in den inneren Räumen umher; die Ausstellung ist musterhaft zugleich nach Nationen und sachlich geordnet mit Aufschriften überall, so daß man sich bald orientirt. Nur Einzelnes konnte ich im Fluge betrachten; wenn man 6 Stunden darin herumgelaufen ist, hat man freilich ungeheuer viel und doch sehr wenig vom Ganzen gesehen, und welche Menschenmenge überall, hier und in den Straßen von Paris, auf den Boulevards besonders. Man meint, die ganze Menschheit sei auf den Beinen und hier zusammengedrängt. Abends fand ich beim Essen im Palais Royal (denn ich dinirte erst um 7 Uhr) Gerlach’s wieder und verabredete mit ihnen eine Fahrt nach St. Cloud und Versailles für gestern Sonntag (1. September). Wir verfehlten uns dennoch beim Dampfschiff, deren mehrere zugleich an demselben Punkt (pont royale) alle halbe Stunde abgehen, fanden uns aber wieder in Versailles, wohin man mit der Eisenbahn fährt. St. Cloud liegt sehr schön auf der Anhöhe über der Seine, der kaiserliche Palast war offen; ebenso der von Versailles, wo man mehrere Stunden lang durch die endlose Reihe der Säle und der historischen Gemälde hindurch gejagt wird; dann durch den Park nach Trianon (groß und klein Trianon). Abends fand ich mich in Paris mit der Nürnberger Gesellschaft wieder zusammen in einem berühmten Tanzlocal, wo es laut genug zuging und ich nur kurz verweilte.

Ich habe jetzt vorläufig genug an allem dem Lärmen und Sehen und Umherjagen und will heute Vormittag ausruhen in der Bibliothek und mit meiner Arbeit beginnen.5 Übrigens geht es mir Gottlob ganz gut. Das Wetter ist schön, am Tage wohl recht warm oder heiß, die Abende und Nächte sind wundervoll; man sitzt noch Mitternachts draußen auf der Straße ohne Überrock oder Plaid, alle Läden bleiben bis dahin offen im strahlenden Lichterglanz und der Verkehr der Omnibus-Carre dauert fort. Ich hoffe heute von Dir, liebe Susi, einen Brief vorzufinden; gestern hätte ich nicht nachfragen können wegen der Fahrt nach Versailles und man restiert6 überdies bei den stundenweiten Entfernungen, auch wenn man viel Omnibus fährt, sehr viel Zeit, so daß man keinen Weg vergeblich machen möchte: ich rechne, daß Du von Simmelsdorf etwa am Freitag7 geschrieben haben wirst, kaum kann der Brief heute schon hier sein. Du wirst es recht still und gemüthlich haben in dem lieben Simmelsdorf, und kannst Dich ausruhen im Freien bei dem schönen Wetter. Paris wäre auch in anderen Zeiten für Dich eine furchtbare Strapaze gewesen. Frau Gerlach wird Dir davon erzählen. Ich denke oft an Dich und die Kinder, wenn ich etwas sehe, was Dir oder Ihnen gefallen würde. Wenn nur nicht Alles so entsetzlich theuer werde. Ich brauche 16 – 20 Francs täglich, allein um zu leben! Ich hoffe jedoch mit 12 auszukommen, wenn ich nun mich auf eine geregelte Tagesordnung einrichte und die Hälfte der Zeit auf der Bibliothek zubringen werde. Grüße mir alle die Lieben in Simmelsdorf, die Eltern, die Kinder, die lieben Verwandten. Sei tausend Mal gegrüßt

von Deinem Getreuen.