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Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Simmelsdorf, 5. September 1867

Mein liebster Manni!

Heute Morgen erhielt ich Deinen reichhaltigen Brief1 aus Paris mit den Gottlob so guten Nachrichten. Ich bewundere Deine physische und geistige Kraft, die all diese Genüsse bewältigen kann, denn Du entrollst mir meinen Augen ein bewegtes Bild des Lebens und Treibens, Drängens und Sehens, wovor mir jetzt schwindeln könnte. Wie von sicherm, ruhigen Ufer aus verfolgen Dich meine Blicke und umschreiben Dich meine liebenden Gedanken. Übrigens so gar ruhig leben wir hier nicht, fast jeder Tag bringt eine neue Abwechslung, freilich ich nehme daran nur in soweit Theil als es mir angenehm ist und mich nicht anstrengt. Freitag Morgens habe ich Dir geschrieben, hoffentlich hast Du meinen Brief2 poste restante3 erhalten, die geliebten Eltern nahmen ihn mit bis Nürnberg, Nachmittag machten die größeren Kinder einen Spaziergang mit Onkel Gottlieb auf den Bühler Berg, ich blieb mit den Kleinen zu Hause. Onkel Gottlieb hat sich sehr erholt, ist heiter und frisch, politisirt wird gar nicht, wenn mir auch hie und da etwas spitze Bemerkungen über Preußen hingeworfen werden, die ich aber nicht weiter beachte, nebenbei wird bei Gelegenheit über die bayrischen Zustände in ihrer jetzigen Gestalt sehr geklagt. Am Sonnabend4 kam als wir eben in der Verandah saßen ein fremder Herr, der sich als Finanzrath Manz entpuppte und von Paula mit größter Freude begrüßt wurde, also wieder etwas Andres, für Nachmittag wurde eine Parthie nach Ittling arrangirt, der Esel eingespannt und auf den Wagen gepackt was Schonung bedürftig war oder sonst Vergnügen daran fand. Zu den Letztern gehörten vor Allem unsre Kleinen, der Mundel ist glücklich, voll Lust und Leben den ganzen Tag, wälzt sich im Heu, das eben im Garten liegt, jagt Hühner und Gänse und freut sich seiner Freiheit in voller Kindeslust. Auch Sophiechen ist recht lieb und brav; sie haben an Beyers Kindern reichlich Unterhaltung und Gesellschaft, und an Abwechslung fehlt es nicht, bald beobachten sie eine brütende Henne, bald wird ein Birnbaum geleert, bald wird Heu eingefahren und sie sitzen jubelnd oben auf, es ist ein köstliches Leben.

Am Sonntag5 Morgen ging ein Theil der Gesellschaft nach Helena, ich natürlich nicht, von unsern Kindern nur Anna und Mariechen, Luischen ist doch leicht angegriffen und kann so weite Wege nicht machen, obwohl sie im Ganzen viel frischer ist, auch besser aussieht. Es war sehr heiß, und sie kamen recht müde nach Hause, da warst Du in Versailles mit Gerlachs, das ist ja nett dieß zufällige Finden! vielleicht findest Du die beiden Vettern Theodor und August auch so ungesucht, sie reisten gestern Abend6 von Nürnberg ab, stiegen erst ab in dem grand hôtel du Pavillon rue de l’écheque7 N. 36, dort wohnten Hans und Gottlieb8, und dort könntest Du sie erfragen und Deine Addresse für sie hinterlassen.

Am Sonntag Nachmittag kamen die lieben Eltern von Nürnberg zurück, derweil war schon eine Einladung an die ganze Familie eingelaufen nach Kirchsittenbach9 zu Böheims für Montag, die dann auch mit großem Jubel per Leiterwagen ausgeführt wurde. Es fanden sich noch ein Paar unbesetzte Plätze, die unserm Luischen und im letzten Augenblick dem resigniert dabeistehenden Georg überlassen wurden. Das war ein Vergnügen. Wir entschädigten uns durch einen Spaziergang Nachmittags zu Walthers, von wo uns Abends Hermann per Esel abholte. Hermann muß sich eben doch vor anstrengenden Parthien hüten, obwohl es ihm viel besser geht. Am Abend musicirten Hermann und Anna ein bischen bis der Leiterwagen unsre fröhliche Gesellschaft wieder zurückbrachte. Alles fühlte den Tag nachher das Bedürfniß der Ruhe und es ist auch gar zu schön im Garten unter der Verandah, ich möchte da immer am Liebsten sitzen, aber freilich Andre sind beweglicher und so wurde denn gestern schon wieder eine Parthie arrangiert und zwar nach Wildenfels schon des Morgens früh; dießmal ging Anna, Mariechen und Georg mit, Paula, die ihr kleines Mädchen  nicht gerne oft allein läßt hatte schon beide Dienstmädchen mitgenommen, die eine um das Kind Huckepack zu tragen, die Andre um für die Gesellschaft Mittag zu kochen, es sah originell aus als sie fortzogen 12 Mann hoch. Die beiden Eltern blieben zurück, auch Tante Thekla und ich natürlich mit den Kleinen, und wieder mußte der Esel Nachmittags den Postgaul machen und uns ihnen entgegen nach Ittling bringen, wo wir dann die ganze Gesellschaft sehr befriedigt und munter fanden. Die liebe Mama hatte Kaffee mitgebracht, der vortrefflich im Freien unter den reichbeladenen Obstbäumen schmeckte, das sind so unsre herrenlosen Freuden, immer erhöht und belebt durch die jubelnden freudestrahlenden Kinder. Jetzt in dem Augenblick sind sie alle versammelt unter einem Haselnußstrauch und pflücken die reifen Früchte, die herrenlos ihnen geopfert sind.

Über die Zeit unsres Hierbleibens ist noch gar Nichts bestimmt, verdrängt werden wir nicht, da Sophie nicht mehr wagt, Nürnberg zu verlassen, so nah ist möglicher Weise ihre Entbindung, und Maria kann nicht kommen nach Karls Aufnahme ins Corps Anfang Oktober. Nächsten Mondtag beginnt wohl die Schule bei Rückert10, aber Sophiechen dispensire ich und Georg soll ja nicht mehr eintreten, freilich weiß ich nicht, ob er hier gerade viel lernt, Hermann läßt ihn bei sich arbeiten, ebenso Anna im Deutschen, ich gebe ihm hie und da Rechnungen auf, aber die ganze Umgebung und Lebensweise ist doch gerade keine den Studien günstige, um so besser befindet er sich körperlich, er sieht vortrefflich aus, ebenso wie die Anderen.

Ich wage nicht, noch ein Blatt zu nehmen und eile deßwegen zum Schluß möge es Dir fort und fort gut gehen, schreibe mir bald mehr, hörst Du? Von Luise haben wir Gottlob recht gute Nachrichten, gestern war die Taufe. Von Allen die schönsten Grüße, von Kindern, Eltern, Verwandten. Caroline ist eine recht glückliche und dadurch liebenswürdiger gewordene Braut.

Leb wohl, mein Einzig  Geliebter, Gott behüte Dich und führe Dich glücklich zurück zu Deiner Susanna.

P. S.11 Ich sende Dir hier einen Brief12, den Prof. v. Kern mir heute zusandte und denke, es ist besser, ihn nicht zurückzubehalten, da es ja sonst ein doppelter Brief wird. Uns geht es Gottlob fortwährend recht gut, die Kinder sind sehr glücklich, der Mundel erwirbt sich durch seine zutrauliche Fröhlichkeit Aller Herzen und ich möchte gerne den Aufenthalt noch weiter ausdehnen, da die lieben Eltern uns nicht vertreiben, aber es liegt mir durch Georgs nöthige Vorbereitung auf und am Herzen und ich denke, wir wollen bis heute in acht Tagen, den 14ten September weggehen, dann hat er doch noch 14 Tage in Erlangen bis zur Prüfung, freilich Viel wird sich da nicht mehr machen lassen, und hier sind der Zerstreuungen und Vergnügungen gar zu Viel. Gestern war die ganze Nachbarschaft zu Mittag da, morgen kommt das Schwarz-Tuchersche Brautpaar mit Caroline Tucher, Onkel Benoit und Holzschuhers13, leider kann unsere gute Lina nicht. Vielleicht hast Du jetzt schon Gelegenheit gemacht, die Vettern August und Theodor zu treffen und der Erstere hat Dir von unserem Leben hier erzählt; morgen erwarten wir auch noch Onkel Wilhelm, der ja ganz allein in Nürnberg sitzt, all seine Leutchen sind in Leitheim. Leb wohl, mein trauthester Manni! Gott behüte Dich und führe Dich glücklich zu uns zurück, in 3 Wochen ohngefähr kann ich hoffen, die Familie bei uns zu sehen, nicht wahr? Sey nur recht vergnügt und genieße all das Schöne, das sich Dir bietet. Von ganzem Herzen – Deine Susanna und Kinder.