Du spendest Geist nach allen Seiten! Herzlichen Dank für den süßen Saft und für Deine freundliche Erinnerung an mich!
Das alte Jahr ist vergangen, das Dir wiederum ein großes Leid gebracht, einen Theil Deines Lebens hinweggenommen und Dich vereinsamt hat. Tief habe ich Dich beklagt, lieber Freund, und aufs neue, wie schon oft, der schweren Stunden gedacht, die wir im ähnlichen schmerzlichsten Fall zu Rostock mit einander durchlebten.1 Du willst Dich nun herausreißen aus dem Ort, in dem Du keine Heimat mehr findest, und eine neue suchen draußen außerhalb des Ganzen des zur Zeit möglichen Deutschlands. Möge es Dir dort nicht zu sehr anthun nach diesem, mögest Du in der Wissenschaft Dein Glück, wie Deinen Ruhm, finden, möge es Dir | auch dort2 nicht an gleichgesinnten Freunden des deutschen Namens und der deutschen Ehre, die nur unter Preußens Führung sich heben und wachsen können, fehlen!
Gestern kurz vor Mittag wurden wir und die ganze Stadt erschreckt durch das plötzliche Auflodern einer mächtigen Flamme auf dem Dach des nahen Universitäts- Krankenhauses3; binnen kurzem war das ganze Dach davon ergriffen; die Kranken wurden in der Eile hinweg gebracht, die Betten und Geräthe zu den Fenstern hinausgeworfen. Der Brand griff in dem oberen Stockwerk um sich, wüthete am heftigsten in den beiden Flügelgebäuden, dauerte noch die Nacht hindurch; dabei war es bitter kalt, das Wasser fror in den Eimern und Schläuchen. Heute steht ein verödetes Haus als Ruine da! Morgen werden wir daran denken es wieder aufzubauen.
Baue auch Du, lieber Jhering, Dir ein neues Haus in der Ferne und vergiß in Deinem neuen Garten auch die Quitten nicht und sende uns, wenn sie gewachsen sind, wieder von Ihrem Saft | und Deinem Geist; denn ich bin sicher, daß Du auch meiner nicht vergessen hast, der ich bin und bleibe
Dein alter Freund Carl Hegel
1Rudolf Ihering (1818-1892), Karl Hegels (1813-1901) Kollege und Freund in ihrer Rostocker Zeit, verlor in Rostock seine junge Frau Helene, geb. Hofmann (1824-1848), im Kindbett, seine zweite Frau Ida, geb. Frölich (1826-1867), starb im Jahr 1867 während seiner Gießener Zeit (seit 1852); vgl. dazu einführend DB . 2Rudolf Ihering wechselte im Jahr 1868 von Gießen an die Universität Wien. 3Vgl. dazu auch Neuhaus, Karl Hegels Gedenkbuch, S. 199; Karl Hegel wohne zu dieser Zeit ganz in der Nähe des Krankenhaus-Gebäudes in einem neuen, selbst gebauten Haus, welches er mit seiner Familie 1861 bezogen hatte; es befand sich damals an der Ecke Lilien Gasse / Spital-Straße und wurde zu späterer Zeit dann zur Kinderklinik (Ecke Loschgestraße/Krankenhausstraße); vgl. dazu Karl Hegel – Historiker im 19. Jahrhundert , VIII/20, S. 189, und Nr. VIII/21, S. 190.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Jhering, RudolfRudolf Jhering11855536718181892Jhering, Rudolf (1818–1892), in Aurich geborener Rechtswissenschaftler, der nach seinem Studium an den Universitäten Heidelberg, Göttingen, München und Berlin 1842 in Berlin promoviert wurde, hatte Lehrstühle an den Universitäten Basel (1845), Rostock (1846–1849), Kiel (1849–1852) und Gießen (1852–1868) inne und folgte im Jahre 1868 einem Ruf an die Universität Wien. 1872 wechselte er bis zu seinem Tode an die Universität Göttingen.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Österreichische Nationalbibliothek Wien
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Österreichische Nationalbibliothek Wien1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
DeutschlandKulturgeschichtlich ist damit der Raum deutscher Nation und Sprache gemeint, wo „Teutschland“ im Laufe der Frühen Neuzeit eine Kurzbezeichnung für das „Heilige Römische Reich teutscher Nation“ wurde. Im 19. Jahrhundert wurde „Deutschland“ immer mehr zur inoffiziellen Bezeichnung für die deutschsprachigen Gebiete Mitteleuropas, zunächst das Gebiet des 1815 gegründeten Deutschen Bundes, dann des 1871 gegründeten Deutschen Reiches.
Preußen, Prusse Königreich Preußen (französisch: Prusse), auch Ostpreußen als östlichste Provinz des Königreichs.
Wissenschaft, WißenschaftForschende Tätigkeit in einem bestimmten Bereich zur Hervorbringung eines begründeten, geordneten bzw. für sicher erachteten Wissens.
Deutsch/deutsch, Deutsche/r; DeutschesAuf die deutschen Staaten bezogen, den deutschen Staaten zuzuordnen, zu den deutschen Staaten gehörend; deutschsprachig; deutsche Sprache; Angehörige/r der deutschen Staaten, Deutschlands.
Universitäts-Krankenhaus (Gebäude, Erlangen)Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begonnener Bau des Universitätskrankenhauses am separierten Ostteil des Schlossgartens, welches zum Wintersemester 1823/24 mit 25 Betten sowie einer medizinischen und chirurgischen Abteilung seinen Betrieb aufnahm; 1863 erfolgte die Aufstockung um ein weiteres Geschoss.
QuitteAromatische, zumeist sehr harte, birnen- oder apfelförmige, grünlich-gelbe bis hellgelbe Frucht (Kernobst) des Quittenbaumes (Obstbaum), die zumeist zu Saft oder Gelee etc. verarbeitet wird, um sie genießbar zu machen.
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis