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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 9. Februar 1868

Lieber Manuel!

Morgen ist bei uns der große Wahltag zum Zollparlament, der seit Wochen unsere politischen Parteien in Bewegung gesetzt hat. In Mittel- und Oberfranken und in Schwaben hat, wie es scheint, unsere Fortschrittspartei d. h. die national liberale Partei die Oberhand, in Unterfranken und den beiden Bayern1 wird vermuthlich die particularistische d. h. diejenige, welche die Dinge nicht weiter zur Einigung fortgehen lassen, sondern hemmen will, das Übergewicht behalten. Doch ist dort die nationale Partei nicht ohne Boden, z. B. in Ingolstadt, wo Crämer von Doos Aussicht hat, der Abgeordnete von Nürnberg zu werden, den man auch hier wählen will. Ein heftiger Wahlkampf hat sich jedoch zuletzt auch in Nürnberg entsponnen, wo eine starke Partei den großen Maschinenfabrikherrn und Reichsrath Cramer Klett durchbringen will: vermuthlich wird aber Krämer Craemer, zu dem außer dem sog. eigentlichen Volk in der Stadt alles Landvolk hält mit großer Majorität durchgehen. Er ist ein ächter Volksmann im guten Sinne des Worts und gut deutsch gesinnt. Bei uns hier im Wahlkreis Erlangen, Fürth und Hersbruck ist mein College Marquardsen, ehemals Präsident des Schleswig Holstein Vereins und Hauptfaiseur2 der Fortschrittspartei aufgestellt; da er keinen Gegencandidaten hat, wird er ohne Zweifel gewählt werden. Auch er ist mehr Volksredner als Staatsmann, wenngleich er mehr als Crämer, Anspruch darauf macht es zu sein, und ein geschickter Faiseur im Parteiwesen und Parteigetriebe. Den Schleswig Holsteinismus hat er ganz fallen gelassen, weil damit nichts mehr zu machen ist. In Forchheim-Bamberg3 wird der Premierminister Hohenlohe gewählt werden; und unter der Hand will man wissen, daß er annehmen werde, obwohl er vor einigen Wochen noch in Ansbach sich nicht aufstellen lassen wollte. Auch der Handelsminister von Schlör will, wie es scheint, lieber im Parlament als im Bundesrath4 sitzen. Alle Gemüther sind gespannt auf den Ausfall der Wahlen. Er wird aller Erwartungen nach jedenfalls viel besser im Deutschen Sinne sein, als wie in unserem verstockten Nachbarlande von Schwaben.5

Mit großem Antheil habe ich die preußischen Landtagsverhandlungen der letzten Woche gelesen, wobei es fast bis zum Bruch zwischen Bismark und der conservativen Partei gekommen ist. Daß die Altpreußen schmollen ist ihnen nicht so sehr übel zu nehmen, doch halte ich es für ein großes Glück, daß sie schließlich unterlegen sind. Was ist doch der Vinke für ein heilloser Querkopf! Bismark ist wohl verstimmt und angegriffen zugleich; kein Wunder, da er den ganzen Staat gleichsam auf seinen Schultern trägt! –

Eure durch Frau Heineke überbrachte Sendung hat großen Beifall bei Jung und Alt gefunden und bei mir alte liebe Berliner Weihnachtsempfindungen erregt. Herzlichen Dank darum von uns Allen!

Den Brief von Duncker und Humblot habe ich sogleich beantwortet, so wie es auch nach Deinem Sinne gewesen sein wird, – daß wir keine Materialien weiter zu bieten im Stande seien, daß ich es immerhin für möglich hielte, eine neue Biographie, kürzer und populärer gefaßt als die frühere, für ein größeres Publicum anziehend zu schreiben, und daß meiner Meinung nach Rosenkranz derjenige sein würde, der sie am besten abfassen könnte; deshalb möge die Buchhandlung sich nur an ihn wenden und ihn fragen, ob er glaube, daß sich das Buch machen lasse und ob er selbst es machen wolle.

In meinem Hause geht es, Gott sei Dank, Allen, auch dem kleinen Gottlieb, ganz wohl. Für diesen letzteren ist ein Kindermädchen, als dritter dienstbarer Geist, in‘s Haus aufgenommen worden, welches in der Nürnberger Krippenanstalt unter der Obhut unserer Cousine Meyer auferzogen worden und sich ganz gut schickt. Meine liebe Frau war in letzter Zeit ebensoviel, wie durch das jüngste, durch unser ältestes Kind in Anspruch genommen, welches, wie denn Tante Frida sich auszudrücken pflegt, heute in die Welt eingetreten ist, d. h. ihren ersten Ball besucht hat. Es war ein bescheidener Harmonieball, bei welchem sie sehr unschuldig vergnügt war und auch uns durch ihr gutes Aussehen, unbefangenes Benehmen und heiteres Wesen erfreut hat. Auch als Sängerin gefällt sie und wird oft gesucht. Doch wird sie nun bald in Marie Schmidtlein, die in der Berliner Gesangsschule weiter fortgeschritten, eine gefährliche Rivalin finden. Es war große Besorgniß, daß wir unseren trefflichen Musikmeister Professor Herzog verlieren könnten, wenn ihm die Stelle bei der Thomasschule in Leipzig, die durch Hauptmanns Tod erledigt ist, angetragen würde; doch hoffen wir noch, ihn bei uns festzuhalten. Es wäre für uns ein unersetzlicher Verlust.

Unsere Universität ist ohnehin in den letzten Semestern immer mehr zurückgegangen, die Zahl der Studierenden ist auf 400 gesunken, Norddeutsche kommen weniger; die Abwesenheit von Hofmann beim Landtag in München, der das ganze Semester durch fortdauert, und Delitzsch‘ Weggang6 werden sehr empfunden; Köhler aus Bonn, schon früher hier Docent und außerordentlicher Professor, den wir zu Ostern erwarten, wird uns den Letzteren bei weitem nicht ersetzen.

Sei doch so gut und schicke mir das Geld, was Du von mir noch übrig hast und erkundige Dich doch einmal im Vorbeigehen, wie gegenwärtig der Dollar beim Verkauf der amerikanischen Papiere angenommen wird; den Cours der Bonds selbst ersehe ich aus den Zeitungen. Ich werde wohl meine Amerikaner wieder losschlagen, da auf das Amerikanische 7 so gar kein Verlaß ist, um der guten Tucher willen hätte ich sie gerne behalten. Wenn ich nur wüßte, worin wieder vortheilhaft anzulegen!

Meine liebe Frau schreibt selbst an Deine Clara, die ich, so wie die Kinder, allerschönstens grüße.

Treulich Dein Karl.