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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 31. März 1868

Lieber Manuel!

Mein junger College Professor extraordinarius der Theologie Plitt, Kirchenhistoriker und Schwiegersohn meines andern Collegen Schelling, hat sich mit einer Bitte an mich gewendet, die ich an Dich bringen muß. Im Auftrage der Söhne1 des Philosophen Schelling wird er dessen Briefe herausgeben. Zu diesem Zweck wünscht er, was die Briefe desselben an unsern Vater betrifft, die Originale zu benutzen, von welchen nur die Abschriften unserer seligen Mutter vorliegen, und auch von diesen nicht alle, da die vier ersten abhanden gekommen sind. Seine Bitte ist also, daß wir ihm die Originale mittheilen möchten. Sie werden sich ohne Zweifel bei den übrigen Manusskripten, die Du in Verwahrung hast, befinden. Ich denke, wir können die Bitte nicht abschlagen und darum ersuche ich Dich, mir die Briefe zu schicken.

Bei dieser Gelegenheit habe ich mir auch die Briefe unseres seligen Vaters an Schelling geben lassen und dabei die Entdeckung gemacht, daß der alte Schelling einige sehr werthvolle uns vorenthalten hat. Nur vier sind bei Rosenkranz gedruckt2; auf diese folgen aber noch sieben, einer von Frankfurt d. d.3 Nov. 2 18004, dann fünf aus Jena, 1803-1807 und einer aus Bamberg 1. Mai 1807, wenn von der Phänomenologie5 die Rede ist. Einige dieser Briefe enthalten allerdings nur Geschäftssachen, Neuigkeiten und verdienen nicht gedruckt zu werden; andere aber und besonders der letzte sind gerade für das Verhältniß zu Schelling von Wichtigkeit.6

Wie ist es nun wohl mit dem Recht des Gebrauchs dieser Briefe, nachdem die Briefsteller leider verstorben sind? Haben die Erben das Recht die Briefe des Verstorbenen an den Erblasser zu veröffentlichen, ohne die Zustimmung des andern Theils? Ich glaube nicht. Ebenso gut hingegen, wie die Schelling’schen Erben die Briefe Schellings von uns zum Zweck ihrer Veröffentlichung verlangen, können wir nun wohl auch von den Briefen unseres Vaters an Schelling denselben Gebrauch machen. Sie wären dem neuen Bearbeiter einer Biographie gewiß höchst willkommen. Ich habe über den Plan der Duncker und Humblot‘schen Buchhandlung nichts mehr vernommen, will nun aber doch einmal an Rosenkranz schreiben, um zu hören, ob man sich an ihn gewandt hat.

In meinem Hause befindet sich Alles bis auf Georg, dessen Arm immer noch behandelt werden muß, und bis auf die verschiedenen Schnupfen, sonst wohl. Ich genieße für mein Theil die Ferien und bleibe zu Hause; für Straßburg ist die Jahreszeit zu ungünstig, überdies die Zeit zu kurz. In Nürnberg werden wir sicher auch nur kurzen Besuch an den Feiertagen7 machen, da das kleine Kind zu Hause bleiben muß: es ist ein hübsches Kind, welches gut zunimmt und jeden freundlich anlacht; am Schreien fehlt es aber auch nicht.

Vor einigen Tagen gab die Universität den Offizieren unserer neuen Garnison, welche in einem Bataillon Jägern besteht, ein Mittagessen zum besten, welches einen sehr guten Verlauf genommen hat. Das gegenseitige Verhältniß ist bis jetzt das beste; auch unsere Freiwilligen im einjährigen Dienst, welche seit 14 Tagen zu exercieren angefangen, schicken sich gut. Nicht so sehr das altbayrische, von den Pfaffen bei den letzten Parlamentswahlen aufgewiegelte Landvolk. Die zur 8 einberufene Mannschaft auf Urlaub hat sich in Traunstein so ungebührlich aufgeführt, daß der Major und Hauptmann ihres Lebens nicht sicher waren, das Rathhaus wurde demolirt; die Leute schrieen, sie wollten nicht dem König von Preußen schwören! In Würtemberg hat es schon bei den Wahlen9 ähnliche Scenen gegeben. Wir werden nun sehen, wie weit die Energie unserer Regierung reicht. Einige von den schönsten Prachtexemplaren der Stockbayern werdet Ihr nächstens das Vergnügen haben im Zollparlament zu betrachten.

Die Meinigen grüßen herzlich. Unser Luischen wird nächster Tage 15 Jahr alt10 und am Sonntag nach Ostern11 eingesegnet12 werden. Sie ist eine schlanke Gestalt, nicht so groß als Anna, aber schon größer als meine Frau und soll mir am meisten ähnlich sein. Sie erinnert mich oft an unsere selige Mutter. Sie hat viel Gefühl und daher große Empfindlichkeit und Reizbarkeit, weiß sich noch wenig zu beherrschen. Da sie nach der Einsegnung unsere sehr mangelhafte Mädchenschule13 verläßt, ist es nöthig für ihren weiteren Unterricht durch Privatstunden zu sorgen; diese fänden sich jetzt wohl auch hier, doch schicken wir sie vielleicht nach Nürnberg, weil es auch sehr gut für sie sein wird, wenn sie eine Zeitlang das elterliche Haus verläßt und sich in andere Verhältnissen schicken lernt. – Hast Du schon Luise Schwarz, die gute anspruchslose Seele und heitere Dulderin in Berlin gesehen? Hat Dich nicht ihr Bruder Louis aufgesucht, für welchen Du Dich vor Jahren einmal nach einem gewissen Zimmermeister und seiner Tochter erkundigtest? Grüße Luise recht herzlich von uns; Du weißt, daß sie in der Augenheilanstalt von Gräfe ist.

Innige Grüße an die liebe Clara und die Kinder

von Deinem Bruder Karl.