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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 31. Mai 1868

Lieber Manuel!

Wie vertragt Ihr die Sonnenhitze dieses Mai? Es ist Ein Tag wie der andere, glühende Sonne und Dürre, mit Ausnahme eines kurzen Gewitters am Abend unserer Verfassungsfeier vom 26. Mai.2 Der Rasen in meinem Garten ist längst größtentheils zu gelben Stoppeln geworden! ]Wenn es bei Euch ebenso ist, so werdet Ihr Euch hinaussehnen weg von der staubigen Residenz an Meeresstrand oder in Waldesschatten u[nd Flüsse. Ich gedenke mit einigen Collegen, Makowiczka, Ziemssen, Keil morgen und übermorgen einen kurzen Ausflug nach Rothenburg o. d. Tauber zu unternehmen, der freilich nicht zur Abkühlung aber doch zur Abwechslung dienen wird. Das alte Reichsstädtchen interessirt mich in mehr als einer Beziehung und ich hätte es schon längst gerne besucht, allein es liegt abseits von der Eisenbahn, so daß man am schnellsten auf dem weiten Umweg über Ansbach dorthin gelangt.

Unser Annchen kam gestern von Würzburg zurück. Da es mit ihrem Gehör in der letzten Zeit weniger gut ging, faßten wir rasch den Entschluß sie dorthin zu dem berühmten Ohrenarzt von Tröltsch zu schicken. Sie reiste am Dienstag3, fand freundliche Aufnahme bei Paula und Christoph von Tucher, unserem Vetter, und wurde sorgfältig untersucht. Nach dem Ausspruch des Arztes ist das linke Ohr nur wenig, das rechte stärker leidend; auch er erkennt darin eine Folge des Nervenfiebers, bei welchem mich der starke Ausfluß aus dem rechten Ohr schon damals sehr erschreckte. Die Mittel, die er verordnet hat, sollen nur die Erhaltung des gegenwärtigen Standes bezwecken, der durch gehörige Ausspülung der Gehörgänge schon wesentlich gebessert ist. Es ist sehr traurig, daß das liebe Kind bei so glücklichen Anlagen dieses Leid mit auf seinen ganzen Lebensweg zu nehmen und zu tragen hat!

Die lieben Nürnberger und Schweinfurter (August und Maria) sahen wir vor 14 Tagen in Bamberg, wo man von beiden Seiten zusammentraf. Außer den Eltern waren noch Grundherrs (Friedrich und Lina) und die alten und jungen Crailsheims dabei. Es war ein schöner und heiterer Tag; vormittags besuchte man den Dom und den Michelsberg, nachmittags den schattigen Theresienhain an der Rednitz.4 Annchen wird mehr davon berichtet haben.

Carolinens Hochzeit ist nun auf den 18. Juni anberaumt5, vorausgesetzt, daß die königliche Genehmigung bis dahin erfolgt sein wird. Wenn nicht alle Cabinettsentschließungen so über alle Gebühr auf sich warten ließen, könnte man dessen wohl sicher genug sein, nachdem die Leistung längst in Ordnung gebracht ist. Auch für die Hochzeitsgeschenke ist schon gesorgt; die Geschwister zusammen haben sich zu einem vollständigen Service für die Tafel vereinigt. Dein Geschenk, welches nach Deinem Wunsch von meiner Frau ausgewählt wurde, wird in einem sehr hübsch verzierten Cafféservice zum täglichen Gebrauch für Mann und Frau bestehen, welches gerade 5 Thaler kostet; ich zweifle nicht, daß es den vollen Beifall des jungen Ehepaars finden wird.

Ich danke Dir für Deinen Vortrag6, den ich mit vielem Interesse gelesen habe. Der Gegenstand ist mit wünschenswerther Klarheit behandelt, die praktischen Ziele sind deutlich angezeigt, wenngleich mir nicht entgangen ist, wie viel Problematisches in den Mitteln und Wegen der Ausführung liegt und der Zukunft anheimgegeben wird. College von Scheurl, dem ich das andere Exemplar zustellte, kam persönlich mir dafür zu danken und sprach sich einverstanden mit Deinen Grundsätzen und durchaus entgegenkommend, in seiner milden und vermittelnden Weise, auch in Bezug auf die bestehende Unionskirche aus. Er sagte mir, daß er Dir selbst danken und eine von ihm verfaßte Schrift über Bekenntniß und Kirche7 zusenden werde. Er ist ein vortrefflicher Mensch, ein reiner Charakter von einer Selbstlosigkeit, wie man sie selten findet, ein Gelehrter von dem gediegensten Wissen und ein hochgeachteter Lehrer. Schwere Prüfungen sind ihm auferlegt gewesen in seinem häuslichen Leben. Seine Frau, mehrere Jahre lang unheilbar erkrankt – eine Frau von unendlicher Herzensgüte – starb ihm vor wenigen Tagen. Ein erwachsener Sohn, Rechtspraktikant in Nürnberg, neigt zu demselben Leiden.

Wegen Herausgabe der Schelling’schen Briefe habe ich mich mit meinem Collegen Schelling und seinem Schwiegersohn, dem Theologen Plitt, der damit beauftragt ist, ganz in der Weise verständigt, wie Du mir darüber schriebst. Die Briefe unseres seligen Vaters, welche Annchen noch nicht ganz abgeschrieben hat, sind noch in meinen Händen. Nur einer davon, der sich auf die Phänomenologie8 bezieht, scheint mir wirklich von Bedeutung.9

College Marquardsen ist erst gestern von dem Zollparlament zurückgekehrt und hat uns gestern Abend von seinen Eindrücken, besonders von den letzten anstrengenden Festlichkeiten und Ausfahrten Mittheilung gemacht.10

Meine Susanna und Annchen grüßen bestens.

Sage Deiner Clara und Deinen Kindern meine herzlichsten Grüße.

Treulichst
Dein Bruder Karl.