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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 10. Juli 1868

Lieber Manuel!

Ich bin wieder lange im Rückstand bei unserer Correspondenz geblieben und beginne mit der Mittheilung von unseren hiesigen Erlebnissen und zwar rückwärts vom heutigen Tage an. Wir sind in Sorge wegen des seit einer Woche andauernden Unwohlseins unseres jüngsten Kindes Gottlieb. Nachdem man bis dahin alle Ursache hatte mit seinem glücklichen Gedeihen und fröhlichen Aussehen zufrieden zu sein, stellte sich plötzlich immer mehr zunehmender Durchfall und Appetitlosigkeit ein; vermuthlich hängt dieser Rückgang des Befindens mit den Jahren zusammen oder ist auch durch die plötzliche Abkühlung der Luft bedingt, welche vielleicht eine Erkältung des Kleinen zur Folge gehabt hat; was aber auch die Ursache sein mag, so sind wir in diesem Fall doppelt ängstlich, da es eine gewisse Ähnlichkeit mit der ersten Erkrankung unseres früh verstorbenen vorjüngsten Kindes darbietet.

Mir steht in einigen Wochen die persönliche Theilnahme an dem Bonner Jubiläum1 in Aussicht, da ich von meinen Collegen zum Deputirten unserer Universität bei diesem Fest erwählt worden bin. Auf die erste Nachricht hiervon beeilte sich mein trefflicher Freund Ägidi, der vor kurzem seine Vorlesungen in Bonn eröffnet hat, mich als Gast in sein Haus einzuladen, wobei er die Möglichkeit offen ließ, daß auch meine Frau mich begleiten würde. Ich habe diese doppelte Einladung gern angenommen und wünschte sehr, Susannen das Vergnügen der Rheinreise zu gewähren, um mir selbst die Freude ihrer Begleitung zu machen, wenn jetzt nur nicht diese schöne Hoffnung durch das andauernde Leiden des Kindes gestört wird!

Die lutherische Versammlung in Hannover wurde von hier aus durch drei unserer Theologen – Hofmann, Thomasius und Zezschwitz – besucht; sie sind sehr befriedigt über das zahlreiche Erscheinen der Glaubensgenossen und die einmüthige Stimmung, welche in der Versammlung herrschte, zurückgekommen. Auch unser früherer trefflicher College, Harnack aus Dorpat, ist von dort zum Besuch hierher gekommen und erhöht in diesen Tagen unsere Geselligkeit durch seine anregende und liebenswürdige Persönlichkeit. Dabei will ich der abstechenden Wirkung wegen nicht übergehen, daß der alte Lichtfreund Uhlich für heute Abend einen Vortrag im Prater angekündigt hat und morgen Nachmittag Gartenfest in Bubenreuth ist, auf welches sich unser Annchen des Tanzvergnügens wegen nicht wenig freut und wozu sie auch noch ihre Freundin und Cousine Rosa Grundherr vom Glockenhof als Gast bei uns eingeladen hat.

Dies bringt mich auf den im Innern völlig neu ausgebauten und auch äußerlich durch Altan und Veranda sehr verschönerten Glockenhof, welcher nun für zwei vollständige Wohnungen oben und unten eingerichtet ist, damit die beiden Brüder Ferdinand und Friedrich mit ihren Familien nebeneinander darin Platz finden können. Ferdinand, Appellationsrath in Eichstädt hat es, nachdem der Oberappellationsrath in München für ihn unerreichbar geworden, endlich glücklich dahin gebracht vorläufig auf ein Jahr in den stillen Hafen arbeitsloser Quiescenz2 einzufahren und wird ihn schwerlich mit seinem Willen wieder verlassen. Dieser Bruder also bezieht die obere Wohnung des Glockenhofs für Sommer und Winter, Friedrich im Sommer die unten.

Mit größerem Rechte als der Appellationsrath hat unser Onkel Oberappellationsrath Gottlieb sich den Ruhestand verdient, in welchen er mit Vollendung seines 70. Lebensjahres sofort eingetreten ist. Nachdem er sich einige Wochen in Leitheim wegen seiner Gesundheit aufgehalten hat, ist er jetzt nach Ems gegangen. Er wird natürlich seinen Wohnort München nicht aufgeben.

Das jungvermählte Paar, Frau Gräfin Caroline und Gatte sind glücklich nach kurzer Hochzeitsreise im Allgäu in Augsburg eingezogen, wo die gute Mutter sie empfing, welche unterdeß die Wohnung mit dem ganzen Hausrath und den Hochzeitsgeschenken vollständig eingerichtet hatte. Die Hochzeit war am 18. Juni Donnerstag. Vorher ging ein glänzender Polterabend, an welchem ein Festspiel in dem Apollosaal im Garten gegeben wurde. Es war von Luise Löffelholz gedichtet und sehr wohl gelungen. Die Hauptrollen führten Carl und Marie Leitheimer aus, doch zeigten sich dabei auch noch andre junge Fräulein z. B. Hannchen Haller im schönsten Glanze. Die Kinder stellten Kobolde, Zwerge und Elfen dar; unser Mundel und der kleine Edi Crailsheim trugen lange Bärte, die sich zu ihren frischen runden Gesichtern gar seltsam ausnahmen; dabei kehrten sie dem Publicum immer das Hintertheil zu, um selbst besser zu sehen, was auf der Bühne vorging.3 Die Trauung am folgenden Morgen 11 Uhr war in der Lorenzer Kirche, die in Licht und Sonne strahlte; Pfarrer Port vollzog die Handlung und hielt eine ziemlich lange Rede. Das Festessen war im Saal des rothen Rosses bei 46 Personen und wurde nicht zu lang ausgedehnt, da das junge Paar schon um 4 Uhr verschwand.

Die fremden Gäste waren zahlreich. Außer den sämmtlichen Schwestern und deren Männern und den Tucher’schen Verwandten hatten sich auch die Brockdorf’schen eingefunden. Der alte Brockdorf, Eisenbahninspector in Reichenhall, ehedem schleswigholsteinischer Offizier – eine nicht besonders respectable Erscheinung, zwei Töchter, Schwestern meines neuen Schwagers, liebenswürdig und anspruchslos wie dieser, eine Stiftsdame aus Holstein und eine Tante aus Bamberg. Leider konnte Onkel Gottlieb mit seiner Frau nicht zugegen sein, da er gerade von einem gastrischen Übel befallen in München krank lag. –

Unsere Universität verliert den Physiker Professor Beetz (aus Berlin, wo er beim Cadettencorps angestellt und zugleich Docent bei der Universität war), der unter glänzenden Bedingungen an das neu errichtete Polytechnicum in München berufen ist. Wir sind dabei, die Vorschläge zur Wiederbesetzung dieser Professur zu machen, und unter denen, die berücksichtigt werden, ist Professor Paalzow an der Artillerie- und Ingenieurschule und Docent zu Berlin. Er ist von Magnus gut empfohlen, der auch versichert, daß er nicht mehr Augenleidend sei, von dem eines trübe war, da er auf dem einen Auge blind ist und das andere zu sehr angestrengt hatte. Solltest Du Gelegenheit haben, ungesucht von einem Unbetheiligten etwas über ihn, seine 4 und Persönlichkeit zu erfahren, so würde es mir lieb sein, wenn Du mir es recht bald mittheilen wolltest.

Du wirst nun wohl nächstens nach Helgoland abreisen; ich wünsche günstiges Wetter und den besten Erfolg. Nimm Dich aber in Acht vor dem Seebad, wenn es Dich aufregt, und bade lieber nicht täglich, wenn Du es nicht ganz gut vertragen kannst. Sonst schadet es mehr als es nützt.

Die leidige Liscow-Knaksche Sache ist nun wohl zur Ruhe gekommen?5 Die besonnene Erklärung des Consistoriums hat gewiß viel dazu beigetragen, sie aus der Welt zu schaffen.

Meine Frau kommt nicht zum Schreiben an die liebe Clara. Eben jetzt ist Marie Meyer von Nürnberg zum Besuch bei ihr. Grüße die liebe Clara und die Kinder von mir und den Meinigen. Möge es Euch Allen wohl gehen!

Herzlichst
Dein Bruder Karl.