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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 30. August 1868

Bonner Jubiläum1

Lieber Manuel!

Du gabst mir die letzte Nachricht von Deiner Reise und Deinem Befinden aus Arolsen kurz vor Deiner Rückkehr nach Berlin. Jetzt wirst Du Dich dort wieder eingewöhnt und mit Deiner Familie, Marie ausgenommen, zusammengefunden haben. Das Wetter ist seitdem, wenigstens bei uns, kalt und unfreundlich geworden, so daß man gern und lieber als anderswo in seinem Hause sitzt. Auch für mich ist das Bonner Jubiläum2 und die schöne Rheinreise3, die sich anschloß, schon weit in die Ferne gerückt, wiewohl ich erst am 12. dieses Monats zurück gekommen bin. Ich weiß nicht, wie weit meine Frau davon schon Bericht erstattet hat, und will deßhalb nur Einiges hervorheben. Ich reiste am 31. Juli, Freitag, von hier ab, um rechtzeitig zur Vorberathung bei dem Rector von Sybel am Sonnabend einzutreffen. In Mainz blieb ich ein Paar Stunden und sah mir den Dom an, der einige historisch sehr interessante Grabdenkmäler von Erzbischöfen enthält. Wenig bedeutend scheinen mir dagegen die Standbilder von Guttenberg und Schiller. In Bingen blieb ich über Nacht; den Abend regnete es heftig und ich konnte nichts anderes thun als im Weinhaus zu sitzen und mich mit einigen Bürgern in’s Gespräch einlassen.

Doch gleich am frühen Morgen beim Caffe gab es eine sehr angenehme Begegnung mit einigen anderen Festgenossen und Deputirten – den Professoren Bursian von Zürich, Römer von Tübingen und Funke aus Freiburg. Den jovialen Philologen Bursian kannte ich schon, den für Preußen glühenden streitfertigen Vorkämpfer der würtenbergischen Minorität Römer lernte ich erst kennen, eine höchst energische charaktervolle Persönlichkeit. Wir fanden uns schnell zusammen und bildeten eine sehr angeregte und heitere Gesellschaft. Sie waren eben Willens mit Nachen nach Aßmannshausen hinüberzufahren um von dort den Niederwald zu besteigen; ich schloß mich sofort an, es war nicht viel über 7 Uhr, der Morgen herrlich, sonnig und frisch, der Weg in den Wald schattig; wir besuchten die schönen Aussichtspunkte und hatten vor Ankunft des Schnellschiffs von Mainz noch eine halbe Stunde Zeit, um in Rüdesheim das beste Gewächs der Jahrgänge 1862 und 1865 zu erproben. Das Schnellschiff mit hohem Vordeck nach amerikanischer Construction gebaut kam um 10 Uhr in Bingen an und brachte uns schon gegen 4 Uhr nach Bonn, wo wir mit Jubel am Ufer von einer großen Menge empfangen wurden. Von Freund Aegidi aufs freundlichste zu Gast in seine Wohnung eingeladen hätte ich erwarten dürfen, gleich hier auch von ihm empfangen zu werden; allein ich hatte ihm ausdrücklich geschrieben, daß ich per Eisenbahn ankommen würde und hatte diese Absicht nur um der guten Gesellschaft willen, mit der ich reiste, geändert. So mußte ich mich nun zu meiner Strafe erst mit vieler Weitläufigkeit nach seiner Wohnung, die weder den Meisten die ich fragte, noch auch mir bekannt war, hinfinden.4 Ich wurde nun sehr herzlich von Aegidi und Frau, bei der auch noch eine Schwester Anna von Sanden, zum Besuch war aufgenommen. Die sehr angenehme nach dem Garten hinaus gelegene Gaststube war für uns beide, mein Frau, deren Nachkommen noch unsicher war, und mich hergerichtet; die Wohnung selbst war geräumig und ansehnlich und am Platz beim Münster, auf welchen ein Balcon hinausging, in der besten Lage das Treiben und Wogen auf den Straßen zu übersehen. Noch lieber aber unterhielt ich mich mit meinen lieben Wirthen und den Gästen, die abwechselnd ins Haus kamen; ich traf gleich in Professor Hänle aus Göttingen einen alten Berliner Bekannten, in Professor Röpell aus Breslau einen Collegen vom Erfurter Parlament, und noch manche Andere. Und welche Überraschungen des Wiedersehens gab es nun erst am Abend bei Sybel, wo etwa einige um 50 Deputirte der Universitäten nebst anderen beisammen waren!

Auch ein Rostocker war da, der alte Freund Karsten! und Jhering aus Gießen fehlte nicht, der nun leider zu den Phäaken nach Wien geht, ebenfalls ein alter Rostocker. Doch es würde zu weit führen, wenn ich sie Alle, die ich wieder fand oder kennen lernte, nennen wollte. Die Vorberathung bezog sich auf die Feststellung der Reihenfolge bei den Begrüßungen. Es wurde beschlossen nur die Ceremonien nicht in ermüdende Länge zu ziehen, für sämmtliche Universitäten nur einen einzigen Sprecher aufzustellen in Professor Windscheid, einen Rheinländer, gegenwärtig Rector der Universität München. Dieser feierliche Empfang fand am folgenden Vormittag in der Aula nach dem Gottesdienst statt. Die Predigt von Professor Kraft, die ich hörte in der evangelischen Capelle, war vortrefflich und das für die Gelegenheit von Lange gedichtete Lied herrlich. Ungeachtet jener verabredeten Abkürzung dauerten die Beglückwünschungen und Gegenreden, welche Sybel sehr geschickt machte, aber mit etwas theatralischem Affect vortrug, über zwei Stunden, wobei man nicht saß, sondern stand. Der Minister von Mühler machte den Anfang und sprach ohne alle Betonung und Wirkung; sehr gut löste Windscheid seine nicht leichte Aufgabe; es folgte eine lange Reihe von gelehrten Corporationen und administrativen Behörden, die rheinischen Städte, unter denen sich Cöln und Bonn mit stattlichen Schenkungen hervorthaten. Um zwei Uhr fuhr man mit Eisenbahn nach Godesberg, wo ein Mittagsmahl im Freien veranstaltet war. Am Abend war großes Fest der Stadt Bonn im Kley’schen Garten und auf dem alten Zoll über dem Rhein vor dem Coblenzer Thor. Der Garten war wunderbar schön erleuchtet, Musik, unermeßliches Gedränge besonders in der Nähe des Kronprinzen, der sich hier zuerst einfand, dahinter im Dunkel der Rheinstrom und das Siebengebirge vom Licht des Mondes beglänzt, der sich auch auf dem Fluß spiegelte. Aegidi stellte mich dem Herrn von Blumenthal vor, Herwarth von Bittenfeld war in meiner Nähe – ich sah mit Freude die preußischen Helden und den Kronprinzen voran!

Am Montag, 2. August, war der Hauptfesttag. Am Morgen trafen der König und die Königin ein. Der Festzug stellte sich in der langen Coblenzer Straße auf; für die Anordnung war durch sichere Wahrzeichen und Nummern trefflich gesorgt; mein Posten bei der philosophischen Facultät war im Garten von E. M. Arndt und ich sah nicht ohne Bewegung das alte Haus und die schattigen Gartenplätze, auf deren einem die alte Wittwe Arndts die Besuchenden empfing. Der Zug setzte sich endlich in Bewegung; es war ein heißer Gang in der glühenden Sonne und in dem dicken langen Talar von Tuch und Sammet! König, Königin und Kronprinz sahen von den letzten Fenstern des Universitätsgebäudes ihn vorüberziehen. In der evangelischen Capelle wurde die Festrede von Sybel gehalten in Gegenwart der Majestäten und der ganzen glänzenden Versammlung. Sie war mehr ein historischer Vortrag über die Gründung der Universität5 – Du wirst sie gelesen haben – als eigentlich oratorisch gehalten, wurde aber, wie ich bemerkte, vom König mit vieler Aufmerksamkeit  und gewiß von Allen mit Interesse gehört. Auf die Festrede folgte die Haupt- und Staatsaction des Festessens in Poppelsdorf. Der ganze Schloßhof war in einen hohen prächtig geschmückten Saal verwandelt, auf vielen Tafeln für mehr als 450 Gäste gedeckt. An der Ehrentafel saß dem Kronprinzen der Rector gegenüber, neben diesem der Erzbischof von Cöln. Der Kronprinz sprach in Erwiederung auf den von Professor Kraft ausgebrachten Toast mit gutem Ausdruck, in männlicher Haltung und ungekünstelt, mit vieler Wirkung. Nach der Tafel wünschte er die fremden Deputirten zu sehen. Die Vorstellung fand vor der Gartenterrasse statt, wo man den Caffe einnahm, und dauerte sehr lang, weil der Kronprinz seine kurze Militärpfeife rauchend mit Einzelnen sich sehr eingehend unterhielt. Auch ich kam endlich an die Reihe, nachdem ich mich schon einige Mal aus dem Kreis entfernt hatte, weil mir die Geduld ausging. Er gedachte gegen mich Deiner und der Frau Clara und erzählte mir, was ich schon von ihr selbst gehört, wie er sie gefragt habe, bei wem sie nun sei und sie ihm ihren Mann vorgestellt. 6 kam ihm hierauf zu Gesicht und ich konnte mich endlich entfernen.

Am Abend gab es einen großen Fackelzug der Studenten die Poppelsdorfer Allee hinab bis zum Schloß, wo der Festsaal nun zum Biercommers hergerichtet war. Als ich dort von Bonn aus wieder hinkam, fand ich ihn bald völlig angefüllt. Der Kronprinz nahm ebenfalls an einem der Tische in der Mitte Platz. Es sollte der Commers mit einem Liede beginnen, allein es war den Vorsitzenden nicht möglich mit allem Schreien und Klirren der Schläger und selbst Trompetenstößen die Versammlung nur auf einen Moment zu Ruhe und Intonation zu bringen; dennoch wurde gesungen. Es war ein gräulicher Lärm, ein furchtbares Gedränge, ein dicker Qualm; ich machte, daß ich fort und an die frische Luft kam.

Am andern Morgen hatte ich die Freude meine Frau auf dem Bahnhof zu empfangen. Dann eilte ich zur akademischen Schlußfeier, bei welcher Professor Heimsoeth die einleitende lateinische Rede hielt, die Decane der 4 Facultäten die Ehrenpromotionen verkündigten. Von dem Weitern, der unvergleichlichen Rheinfahrt am Nachmittag und Abend bei strahlender Beleuchtung der Ufer, der Landhäuser, der Bergesgipfel und Ruinen wird Susanna bereits berichtet haben, ebenso von unserer Fahrt nach Cöln am anderen Tage, von der Reise ins Ahrthal in Gemeinschaft mit Aegidi’s und von unserer weiteren Rheinreise von Königswinter bis Biebrich und von da über Wiesbaden nach Frankfurt; auch daß wir über Homburg nach Friedrichsdorf gefahren sind, wo wir uns das Mädchenpensionat von Pastor Bagge ansahen7, in das wir unsere Tochter Luise diesen Oktober auf ein Jahr schicken wollen. –

Ich muß zum Schluß noch auf eine leidige Geldangelegenheit kommen. Du weißt, wie ich zu den Cöln-Mindenern gekommen bin; gleich darauf als ich von dem großen neuen Unternehmen der Gesellschaft hörte, hat mich der Handel gereut und seitdem sind auch die Actien um mehr als 10 % gefallen. Ich gedenke nun nicht sie mit solchem Verlust zu verkaufen, obgleich ich am liebsten heraus wäre. Nun ist aber für die zweite Hälfte September die erste Einzahlung um 40 % für die neuen Actien angekündigt; ich darf den Vortheil meiner Berechtigung auf eine neue für je 2 alte wohl nicht aufgeben und muß daher noch einmal 1000 Thaler in die sehr weit aussehende Speculation hineinwerfen, um meinen Schaden einigermaßen wieder auszugleichen. Ich könnte die niederschlesisch-märkischen Obligationen oder die Potsdam Berliner Actien verkaufen, ziehe aber doch wahrscheinlich vor hier ein Papier einzusetzen und Dir bar Geld zu schicken, wenn Du mir nicht davon abräthst – frage nur aber ja nicht den Ebeling!

In meinem Hause ist Alles wohl; an schönen Tagen machten wir mit den Kindern Ausflüge in die Nähe – einmal waren wir in Cunreut, dem Egloffstein’schen Gut8, einmal in Thurn in der Forchheimer Gegend; vielleicht kommen wir noch auf ein Paar Tage in die fränkische Schweiz. Frau und Kinder grüßen Euch schönstens. Es grüßt Dich

Dein Bruder Karl.