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Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Erlangen, 8. Oktober 1868

Mein Herzens-Mann!

Wieder bist Du mir ein Stückchen weiter entrückt und doch freue ich mich, daß jetzt der 2te Theil Deiner Abwesenheit schon angefangen hat und Du von Straßburg aus, wills Gott, recht frisch und gesund zu uns zurückkehrst. Doch nun vor Allem zur Neuigkeit des Tages: Georg ist wirklich glücklich durchgekommen und fühlt sich froh als 2ter Kläßler. Mir ist es sehr, sehr lieb nicht nur an und für sich sondern auch als Beweis daß der Junge doch nicht so dumm und so zurück ist, wie ich geneigt bin, zu glauben; er kann sich doch zusammennehmen wenn es darauf ankommt und er will, hoffentlich lernt er mehr und mehr, das immer zu thun. Die Prüfung fand am Dienstag1 statt, nachdem ihn noch der gute Herr Zucker am Mondtag tüchtig vorgenommen hatte, so daß er ganz verheult nach Hause gekommen ist, und gestern Mittag hörten sie das Resultat; es war natürlich große Freude und Verwunderung im Hause. – Gestern Abend ist nun Annchen glücklich angekommen, sehr befriedigt von Allem was sie gesehen, gehört und genossen hat, aber etwas kaput von der Reise. Sie erzählte uns Viel von den lieben Verwandten, besonders aber schwärmte sie über den wunderschönen König den sie am Oktoberfest so recht nach Gefallen betrachten konnte. Auch von dem Abend bei Giesebrecht erzählte sie mir, davon hatte ich schon durch Waiz gehört, der so freundlich war, mich am Dienstag Abend aufzusuchen, um mir Nachrichten von Euch zu bringen. Gestern Mittag ist er weiter gereist, Frau Schelling war leider unwohl und lag an heftigem Rheumatismus zu Bett. Das ist nun nicht gefährlich, aber sonst steht es leider in einigen collegialen Häusern recht betrübt, bei Schnizlein ist sein Ende nur noch im Bezug auf die Zeit eine Frage2, er hat den Kindern gesagt, daß es so mit ihm stehe und heute nimmt er mit der Familie das heilige Abendmahl; die Armen! Bei Will steht es eben so traurig3; aus diesem hermetisch verschlossenen Haus drang keine Nachricht in die Außenwelt, eben so wenig kam ein Arzt hin, bis sein Zustand (Wassersucht) so unerträglich wurde, daß der zu einem Scharlachkranken Kinde gerufene Arzt befragt werden mußte. Er soll sehr schwer krank sein; eine rechte Zeit und rechte Aufforderung zu Dank und Preis für eigene gnädige Behütung.

Die Kinder sind Gottlob Alle wohl trotz des sehr unfreundlichen, plötzlich kalt gewordenen Wetters, Annchen findet es hier kälter als in München, wir heizen seit gestern; trotzdem soll aber heute Nachmittag ein Spaziergang gemacht werden von Stintzings und Schmidtleins, wozu Anna aufgefordert ist. Stintzings möchten ihren Gästen doch etwas Abwechslung und Unterhaltung bieten, müssen sich aber immer auf das neutrale Gebiet der freien Luft begeben, um mit Freunden zu verkehren. Anna ist natürlich glücklich über jede Gelegenheit noch mit Lottchen zusammen zu sein, da diese in acht Tagen abreist.

Unserm Luischen wird es jetzt erst recht weh ums Herz bei der Aussicht auf den Abschied, doch hält sie sich tapfer und sieht getrosten Muthes dem Leben in Friedrichsdorf entgegen. Sie wird wohl an Heimweh zu leiden haben, da sie überhaupt eine zärtlichere, weichere Natur ist als Anna. Die Kleinen freuen sich ihres gemeinschaftlichen Schullebens, Mundel erzählt Viel und Sophiechen ergänzt seine Mittheilungen aus ihrer Erinnerung; auch Mariechens Stunden bei Frl. Besold haben angefangen und so kommt Alles wieder in seinen ordentlichen Gang, ich freue mich besonders auch für Georg darüber, dessen Schule fängt morgen an, Herr Trillhaas rückt mit ihm vor.4

Weizsäcker war gestern hier, ich hörte es nur, sah ihn aber nicht, was mir recht leid ist, auch Rösler war vorgestern hier, suchte mich auf, ich war aber nicht zu Hause, heute ist Mariechens5 Todestag.

Nun leb wohl, mein Herzensmann, möchte es Dir in Straßburg gut gehen und Du glücklich zu uns zurückkehren. Die Kinder grüßen, besonders Luischen. Gott befohlen, mein Liebster.

Ich umarme Dich in treuer Liebe, Ewig Deine Susanna.

P. S. morgen früh um 8 Uhr begeben wir uns auf die Reise6 und Mondtag7 werde ich zurückkommen.