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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Straßburg, 12. Oktober 1868

Liebes Suschen!

Deinen lieben Brief vom 7. Oktober1 poste restante2 habe ich richtig erhalten. Er brachte mir die frohe Nachricht von Georgs bestandener Prüfung, womit er manche geschwisterliche Spott- und Stichelreden schließlich doch beschämt hat. Freilich hat es des Antreibens und der Nachhülfe mehr als bei andern Knaben bedurft und wir wollen wünschen und hoffen, daß Georg künftig auch ohne solche Mittel seine Pflicht thun und ohne von Andern gestoßen zu werden von selbst und aus eigener Kraft vorangehen werde. Recht bewegt hat mich Deine Mittheilung über Schnizleins nahe zu erwartendes Ende und überrascht noch mehr die Nachricht von Will’s bedenklichem körperlichem Zustand.

Ich begleitete Luischen in diesen Tagen mit meinen Gedanken bei ihrem Abschied von Erlangen; gewiß hat es ihr viele Thränen gekostet. Auf der Reise selbst, fürchte ich, werdet Ihr kein gutes Wetter gehabt haben, wenigstens hier in Straßburg hatten wir es schlecht am Freitag, dagegen schön am Sonnabend und wieder nebelig gestern am Sonntag. Du wolltest erst am Montag nach Erlangen zurückkehren, also noch am Sonntag in Friedrichsdorf bleiben, um Luischen die Trennung zu erleichtern. Ich billige dis vollkommen, da Du im Hause nichts versäumst, und verlange danach das Nähere durch Deinen nächsten Brief zu erfahren. Ich bat Dich mir den vergessenen Plan von Straßburg nach Kehl zu schicken; dis thut mir jetzt leid, da mir der Plan nun überflüssig ist, weil ich bereits mit einem andern versorgt bin, und ich dadurch genöthigt bin nach Kehl zu fahren zu einer Zeit, wo es mir nicht paßt. Wenn also dieser Brief noch früher ankommt, ehe Du den Plan fortgeschickt hast, so schicke ihn nicht, sondern schreibe nur gleich hierher nach Straßburg, quai des bateliers no. 27, frankire aber nicht wie neulich mit einer 3 Kreuzer Marke, weil diese Francatur nicht zählt, so daß ich noch ½ franc für den Brief zu zahlen hatte, sondern mit 12 Kreuzer (dies ist glaube ich das richtige Porto) und schreibe mir auch mit Wenigern in dem Falle, wenn Du bereits dem Paket nach Kehl einen Brief beigelegt hast, theils damit ich erfahre, daß das Paket in Kehl ist, und theils, damit ich, wenn ich dieses ein Paar Tage dort liegen lassen muß, nicht so lange ohne Nachricht von Dir bleibe.

Mir geht es hier ganz nach Wunsch. Mit meinem Zimmer, Bett und Bedienung bin ich ganz zufrieden; meine Tagesordnung habe ich so eingerichtet, daß ich Vormittags auf dem Archiv, Nachmittags in der Bibliothek bin, dazwischen frühstücke und erst Abends um 6 Uhr im ‘Rindsfuß‘ esse. Dann war ich einmal im Theater, wo mittelmäßig gespielt wurde und einmal im Circus, wo eine amerikanische Gesellschaft in Reiter- und Springerkünsten das Äußerste leistete, auch ein Paar Elephanten und 5 Löwen mitwirkten, wovon ich den Kindern das Nähere erzählen werde; außerdem lese ich im Casino die Zeitungen. Vorgestern kamen die Professoren Reuß und Kunitz aus der Schweiz zurück und begrüßten mich gestern in Neuhof, wohin ich zu Mittag geladen war wie alte liebe Freunde. Neuhof liegt eine Stunde von hier nach dem Rhein zu, wo Reuß eine Villa und schönen Obstgarten besitzt; ich fuhr mit Kunitz hinaus und brachte den Nachmittag dort zu. Für den Abend hatte mir Weizsäcker seine Ankunft bei Arbogast angekündigt; er kam wirklich mit seinem Gefolge, Kerler und Schäffler aus MünchenAnnchen kennt ihn – Weizsäcker hatte mir viel mitzutheilen und ich ihm; wir blieben beim Glase Wein bis 11 Uhr zusammen und werden fortan miteinander unsere Tagesordnung halten. Weizsäcker bedauerte, daß ihm die Zeit gebrach, Dich zu besuchen; es freut mich daß Waiz, wie er versprach, Dich besucht hat. Ich schließe den Brief, damit er heut morgen noch fortkommt.

Lebe wohl, liebes Suschen, und gedenke mein. Innige Grüße an die Kinder und meinen Glückwunsch an Georg.

Treulichst
der Deine.