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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 29. Oktober 1868

Straßburg1

Lieber Manuel!

Deinen an den goldenen Bären in München adressirten Brief2 habe ich richtig erhalten. Ich danke Dir bestens für die Besorgung meiner Geldangelegenheit. Der Onkel Gottlieb hörte gern, daß die Freundinnen von Ems seiner gedacht haben. Auch er war sehr befriedigt von seinem dortigen Aufenthalt und von den Bekanntschaften mit norddeutschen Pfarrern, die er daselbst angeknüpft hat. Das seien doch ganz andre Leute, meinte er, von Bildung und Character, als der Durchschnitt dieser Gattung in Bayern. Sogar seine starken Vorurtheile gegen Preußen scheinen durch diese Berührungen, wenn nicht geschwunden, doch sehr abgeschwächt worden zu sein. Dem Anschluß an Preußen sprach er zu meiner und Anderer Verwunderung jetzt das Wort. Überhaupt war er sehr liebenswürdig und ebenso die übrige Familie, die gute Tante, das liebe Annchen, die Vettern August und Sigmund, welche sich der beiden jungen Mädchen, die ich zu ihnen gebracht, unseres Annchen und des Röschen Grundherr, aufs freundlichste annahmen. Und die Mädchen hatten die beste Gelegenheit Alles was unsere Residenz Schönes und Glänzendes bietet, zu sehen und zu genießen. Vielleicht hat Anna Deiner Tochter hierüber schon Bericht erstattet. Auch im Kreise der Historischen Kommission ist sie einmal bei Giesebrecht zum Abendessen erschienen; sie saß unter den hoffnungsvollen jungen Historikern und wurde als die Rose unter den Dornen benannt und betrachtet. Ihre glückliche Unbefangenheit half ihr, wie es schien, über alle Verlegenheit hinweg, denn sie hatte keinen andern weiblichen Stützpunkt als allein Frau Giesebrecht, die kluge und gewandte. Ich war durch Sitzungen, Diners und Soupers in Anspruch genommen. Doch war ich einmal mit im Theater beim Oberon und begleitete die Mädchen auf einem Nachmittagsausflug nach Groß Hessenlohe; wir hatten eine herrliche Abendbeleuchtung an der Isar bei Schwaneck. Einen Band braunschweigischer Chroniken3 habe ich der Commission fertig überreicht. Ich werde ihn Dir durch Hirzel zusenden lassen, nicht damit Du ihn lesen sollst, sondern daß Dein Exemplar der Städtechroniken als Familienerbe vollständig erhalten bleibt.

Von München aus fuhr ich am 7. October über Stuttgart nach Straßburg. Die Mädchen reisten in Begleitung des Vetters August an demselben Tage nach Augsburg, wo sie Brockdorfs besuchten und dann allein bis Nürnberg und Erlangen. Vetter August hat sich seitdem mit einem kleinen Gut nebst Mühle, wie ich höre, zwei Stunden von Leitheim angekauft. In Straßburg richtete ich mich leicht häuslich ein, da ich dort schon gut bekannt bin, und wurde von den dortigen Collegen und Freunden, den Theologen Cunitz und Reuß, aufs herzlichste begrüßt und auf jede Weise in meinem Interesse gefördert. Sehr angenehm war es auch für mich, daß gleichzeitig mein College und Freund Weizsäcker, der Historiker in Tübingen, sich mit zwei Hilfsarbeitern bei den Reichstagsacten, deren Herausgabe er besorgt4, dort einfand und die ganze Zeit von 2 ½ Wochen mit mir in Straßburg zubrachte als Arbeits- und Tischgenosse zu Mittag und Abend. Ich hatte noch eine Nachlese für die Straßburger Chroniken in den dortigen Bibliotheken und Archiven einzusammeln, um den Druck vorzubereiten.5 Auch nach Colmar bin ich eines Tags bei schlechtem Wetter gefahren und ein Sonntag Nachmittag wurde zu einem Ausflug nach Zabern am Fuß der Vogesen, wo die Hauptstraße und Eisenbahn nach Paris ihren Paß findet, benutzt, und dort eine Burgruine auf der Höhe, leider bei trübem Wetter besucht. An einem hellen Mittag bestieg ich den Straßburger Münster, fand aber dennoch die Fernsicht nach den Gebirgszügen auf beiden Seiten des Rheins verschleiert. Am 23. dieses Monats verließ ich Straßburg wieder und machte Mittags Halt in Heidelberg, um Gervinus zu besuchen. Ich fand ihn und sie in alter herzlicher Weise mir freundschaftlich zugethan, aber beide in etwas trüber Stimmung, gedrückt von diesen und jenen Leiden, wie sie bei zunehmenden Jahren nicht ausbleiben. Wir erfrischten uns an alten Erinnerungen und sprachen von Händel und Bach, wozu das eben erschienene Buch von Gervinus über Händel und Shakespeare den Anlaß gab.6 Ich blieb über Nacht bei ihnen und fuhr den  andern Morgen ohne Aufenthalt über Würzburg und Bamberg nach Hause, wo mich die Meinigen gesund und fröhlich empfingen. Den kleinen Gottlieb fand ich blühend in Gesundheit und sehr viel weiter entwickelt. Luischen fehlte, denn sie ist unterdeß von der Mama nach Friedrichsdorf gebracht worden, wo sie sich, wie es scheint, recht leicht und gut eingewöhnt; sie findet dort junge Mädchen und Freundinnen genug, gute Lehrer und Lehrerinnen, eine liebenswürdige Vorsteherin, welche die Mutterstelle bei ihr vertreten wird. Georg ist glücklich in eine höhere Classe hinaufgestiegen und hat damit alle Spöttereien der Schwestern zu Schanden gemacht. Mundel ist gleichfalls Schuljunge geworden, steigt ganz stolz mit seinem Ranzen einher und lernt das A B C. Von den Andern ist nichts besonderes zu sagen. Susanna und Anna versprechen nächstens zu schreiben und lassen einstweilen schönstens grüßen. Vor einigen Tagen erhielt ich die Einladung des Lehrercollegiums des Cölnischen Gymnasiums zur 50jährigen Jubiläumsfeier des Director August, welche am 2. November stattfindet. – Sie rief die Erinnerung an eine lang entschwundene Probezeit meiner Laufbahn zurück7, welcher ich in meiner ablehnenden Antwort Ausdruck gegeben. Heute besuchte uns das junge Ehepaar Brockdorf, welches eine Urlaubszeit in Nürnberg zubringt. Caroline scheint recht glücklich und ihr junger Gemal befriedigt. Die Eltern waren zur Weinlese in Schweinfurt bei Marie und August, welcher dort, wie Du weißt, das Landwehrcommando des Bezirks versieht. – Möge es Dir, lieber Manuel, und den Deinigen gut gehen! und gieb uns bald Nachricht davon

Dein Bruder Karl.