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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Bayreuth, 15. August 1869

Liebe Susanna!
Guten Morgen, liebste Frau und meine Kinder!

Ich kam gestern Abend zu Fuß hier an als Beschützer von drei Damen, einer alten und zwei jungen, von denen ich nur so viel zu sagen weiß, daß sie aus Nürnberg sind und daß die alte Frau Winkler heißt. Wir fuhren in Muggendorf gestern Nachmittag 1 Uhr mit einander ab nach Waischenfeld und von dort im Omnibus bis zur Phantasie, wo ich ausstieg um den schönen Garten des Herzogs Alexander von Würtemberg zu sehen und dann die Stunde Wegs bis hierher zu Fuß zurückzulegen, die Damen folgten meinem Beispiel und nun mußte ich mich ihrer nothwendig annehmen. So bin ich nicht zu Braters in die Retraite gekommen, wohl aber dem Collegen H. Pfaff begegnet, der dort seit mehreren Tagen sich aufhält und meine Grüße an sie annahm; die Mädchen seien zu einer Gesellschaft in der Irrenanstalt geladen und deßhalb nicht zu Hause.

Leider regnete es etwas, als wir im Park umhergingen, nachdem ich einen wunderschönen Morgen in Muggendorf zugebracht, und sodann im Kurhause von Frl. Gotter aus Nürnberg mir einige Arien aus Figaro und noch ein schönes Lied von Hornstein, welches ich Annchen mittheilen werde, hatte vorsingen lassen.

Um in der Erzählung rückwärts fortzufahren, kam ich nach Muggendorf am Freitag Abend mit Omnibus von Ebermannstadt. Bis dorthin ging ich von Egloffstein her das Truppachthal abwärts und bei Pretzfeld vorüber drei Stunden zu Fuß; eine wackere Tagelöhners Frau trug mir mein Gepäck im Korb auf dem Rücken.

Am Morgen 9 – 10 Uhr war ich in Egloffstein in der Betstunde in der Kirche, wo Pfarrer Kleinknecht einen Bibeltext recht gut erklärte; ich traf und sprach nach der Kirche die Damen Egloffstein1, ohne die Obmännin, die Morgens ruht und Fräulein Marie2, welche leider auf einige Tage verreist war.

Die gute Pfarrerin bewirthete mich noch mit einem warmen Frühstück und Glas Wein zum Abschied; der Pfarrer und Georg begleiteten mich eine halbe Stunde Wegs beim schönsten Wetter in dem heiteren Thal; Georg war ganz gerührt bei meinem Scheiden. Ich sagte ihm, daß er am nächsten Mittwoch3 an Dich schreiben solle.

Der heutige Morgen ist recht trüb. Ich denke gegen Mittag nach der Eremitage zu gehen oder zu fahren, wenn Gelegenheit ist; sie ist eine Stunde weit entfernt; und wenn das Wetter nicht ganz schlecht wird, will ich um 5 Uhr nach Berneck, wo man gegen 7 Uhr ankommt, und morgen dort bleiben. Nur bei unerwartet günstigem Wetter würde ich auch etwas weiter in das Fichtelgebirge eindringen; viel wahrscheinlicher ist, daß ich am Dienstag4 mit dem Eilzug Nachmittags heimkehre.

Ich grüße und küsse Dich und die lieben Kinder.

Ewig
Dein Getreuer.