XML PDF

Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 8. Januar 1870

Lieber Manuel! Meinen herzlichen Glückwunsch für Dich und die Deinigen zum Neuen Jahr! Ich hoffe bald von Dir zu hören, daß es Euch gut geht. Meine ganze Familie verweilte vom Christabend1 an bis nach Neujahr in Nürnberg. Außer ihr waren auch noch die beiden Schwäger August, der Landwehrmajor in Schweinfurt mit Frau und Sohn, dann Münchener Cadetten, und Ulrich, der Graf und Oberlieutnant in Augsburg mit Caroline und Kind bei den Eltern eingekehrt, dazu mehrere Mägde, im ganzen 17 Köpfe als Gäste. Ich blieb nur die Feiertage über und Sylvesterabend, weil mir das dortige Phäakenleben und ewige Einerlei im lieben Verwandtenkreis nicht lange erträglich ist. Höchst erfreulich ist die Rüstigkeit der Eltern, denen eine Ermüdung bei so vieler Unruhe des geselligen Verkehrs kaum oder gar nicht anzumerken ist. Sie waren mit uns in kalter Nacht auf dem Glockenhof am Sylvesterabend und gingen um 2 Uhr Morgens zu Fuß mit uns über die Wöhrder Wiese und durch Wöhrd zurück, waren am andern Morgen um 10 Uhr in der Ägidienkirche, machten Neujahrsbesuche, hatten Gäste zu Tisch und noch mehr zum Besuch am Nachmittag, und am Abend ging der Papa wie gewöhnlich ins Theater! Ulrich, der junge Ehemann, ist sehr anspruchslos und gutmüthig, versieht gewiß auch recht pünktlich seinen Offiziersdienst, ist aber außerdem nichts als ein gewöhnlicher Lieutenant. Caroline findet es langweilig in Augsburg, liebt es gerade nicht sich zu beschränken und sucht deßhalb gerne das elterliche Haus auf, wo sie sich mit Mann und Kind jetzt wieder auf 4 Wochen einlagert, nachdem sie schon einen Theil des Herbstes dort zugebracht. Es scheint, daß nun auch ihre Wünsche weiter dadurch zur Erfüllung kommen, daß Ulrich durch Tausch mit einem Nürnberger Offizier, der sich ein Paar hundert Gulden dafür zahlen läßt (welche der Papa vorstrecken muß), richtig nach Nürnberg versetzt wird. Theodor aus Leitheim hat sich vor kurzem mit einem hübschen, und wie man sagt, liebenswürdigen Mädchen in Nürnberg, Fräulein la Roche, die nebenbei auch recht vermögend ist, verlobt und wird demnächst seine Hochzeit feiern. Da wird es vermuthlich wieder eine Hausschenke geben.

Aus unserem eigenen Hause wird Annchen und Marie berichten. Du wirst schon wissen, daß mein College, der Jurist Stintzing nach Bonn berufen ist; er wird uns daher zu Ostern verlassen. Unsere Universität verliert an ihm ebenso viel, als der ganze Freundeskreis an seinem so gastfreien Hause und seiner Familie. Meine Frau ist mit Frau Stintzing nahe befreundet, und Anna mit der Tochter. Ein anderer sehr empfindlicher Verlust droht uns durch den Abgang von Schmidtlein, der sich zum Herbst pensionieren lassen will (wozu ihm sein mehr als 70 jähriges Lebensalter das Recht giebt) und dann mit seiner Familie nach München ziehen will. Durch das Ausscheiden dieser beiden Familien wird unser hiesiger Lebenskreis wesentlich verändert und wir wissen und sehen noch nicht, wie uns dafür irgend ein annehmbarer Ersatz geboten werden könnte. Ich gehöre nun schon mit Wenigen zu den alten Stammhaltern unserer sich rasch verjüngenden, aber damit nicht ebenso frisch aufblühenden Universität!

Du wirst meine neueste literarische Arbeit, die Ausgabe der Straßburger Chroniken Bd. 12, die mich mehrere Jahre hindurch angestrengt beschäftigt hat, durch Hirzel erhalten haben; auch die 2 Bände Augsburg3, welche Dir an dem vollständigen Exemplar noch fehlten. Meine Recensionen4 für Sybels Historische Zeitschrift, ein Aufsatz, der in den Deutschen Forschungen erscheint5, haben mich daneben beschäftigt; und jetzt eben bin ich bei einer ausführlichen Recension von des alten Staatsraths von Maurer’s neuestem Buch über die Geschichte der deutschen Städteverfassung.6 Sodann muß ich sobald als möglich mit dem Druck des 2. Bandes Straßburg7 beginnen lassen, für den ich noch viel auszuarbeiten habe. So sehe ich noch nicht recht, wann ich zur Edition der Hegel’schen Correspondenz kommen kann.8 Denn auch meine Vorlesungen, die gut vorgetragen sein wollen, kosten mich mit den dazu nöthigen Vorbereitungen immer noch viel Zeit. Einstweilen habe ich Frau und Tochter Luise angestellt, die Briefe Cousin’s in freien Abendstunden abzuschreiben, wobei ich nur in Entzifferung der schwer lesbaren Handschrift mithelfe. Ich schrieb Dir wohl, daß mir Rosenkranz den ganzen Brief- wechsel, den er in Händen hatte, zugeschickt hat. Dabei fand ich schon einen Theil derselben sauber von fremder Hand, offenbar für den Druck, abgeschrieben, den ich also nur zu collationiren brauche. Übrigens werde ich mit viel strengerer Auswahl bei der Aufnahme verfahren, als Rosenkranz offenbar beabsichtigte. Ich erinnere Dich zugleich an Dein Versprechen, den Nachlaß der sich noch in Deinen Händen befindet, durchzusehen und was davon brauchbar erscheint auszusondern. Eben heute erhielt ich eine Zuschrift von R. Köpke aus Berlin, der mit der Sammlung biographischen Materials Johannes Schulze’s beschäftigt, nach Briefen von Schulze oder anderen Papieren fragt, die dafür von Werth sind. In dem Briefwechsel den ich besitze findet sich nichts von J. Schulze, und ich denke auch, daß überhaupt nichts von ihm da sein wird, weil unser Vater mit ihm wohl nur persönlichen Verkehr gepflogen hat; doch bitte ich Dich auch darauf nachzusehen und an Professor Köpke zur Einsicht mitzutheilen, was für ihn von Werth sein kann. In diesem Sinne werde ich ihm antworten.9

Ich bitte Dich mir die Zinsen der Cöln-Mindener Prioritäten und die Abschlagsdividenden derselben Actien vom 1. Januar zu schicken; der Rest der Prioritäten wird aber jetzt noch durch ein Consortium zu 97 ¾ losgeschlagen. Ich denke die Berlin Potsdamer nächstens zu verkaufen, ehe auch hier mit einer neuen Prioritätsanleihe der Actienvermehrung vorgegangen wird, die den Curs herunterdrückt.

Gestern waren wir auf einem glänzenden Ball, den Professor Ziemssen im Local der Harmonie gegeben hat. Wir zogen mit unseren beiden Töchtern auf, die sehr hübsch aussahen. Man kam erst gegen 2 Uhr Morgens nach Hause – ich für meine Person nach 2 Uhr und bin leider heute beinahe stimmlos heiser. Glücklicher Weise ist es Sonnabend und morgen Sonntag.

Herzliche Grüße an die liebe Clara und die Töchter. Von Deinem Sohn Willi schrieb mir Waitz, daß er ihn gesehen und daß er einen recht guten Eindruck auf ihn gemacht habe. Lebe wohl!

In brüderlicher Liebe Dein Karl.

P. S. Ich habe Dir schon von dem Engländer Dr. (Collyns) Simon und seiner Tochter geschrieben10, die wir hier bei uns sahen und lieb gewonnen haben. Vermuthlich wird er, da er auch nach Berlin kommen wollte, Dich aufsuchen, und will ich Euch ihn und seine Tochter bestens empfohlen haben.