XML PDF

Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 31. Juli 1870

Lieber Manuel!

Wir haben gestern und heute eine drückende schwüle Luft, die sich immer noch nicht in einem Gewitter entladen will. Das Wetter entspricht der Stimmung des Moments; die nächsten Tage werden uns große Nachrichten bringen. Die Heere scheinen auf beiden Seiten schlagfertig bereit zu stehen. Möchte es gelingen den Krieg2 in Feindes Land hinüber zu spielen! Von der Aufstellung der preußischen Armee wissen wir so gut wie nichts, nicht viel mehr von dem Standort der beiden bairischen Armeecorps. Unser hiesiges Jägerbataillon ist vor 8 Tagen in die vordere Pfalz abgegangen. Gestern Abend kam der brave und bei uns sehr beliebte Commandeur desselben Obristlieutnant von Guttenberg von dort zurück, weil er zum Obrist avancirt eine andere Bestimmung erhalten hat; er erzählte, daß bereits 50 000 Mann Preußen in der Pfalz ständen und daß Lauterburg besetzt worden sei. Das Nürnberger Infanterieregiment ist am Donnerstag3 abgegangen, mit ihm unser Schwager Brockdorf; wir wissen nicht, ob nach Nördlingen oder Würzburg. Als ich am Dienstag4 in Nürnberg war, wußte man es auch dort noch nicht. Bei uns hier gehen größere Truppenzüge nicht vorüber, für welche die Bahn Nürnberg - Würzburg oder Nürnberg - Nördlingen benützt wird. Auch die Zeitungen von Berlin und Frankfurt und Köln kommen uns sehr verspätet zu. Deinen Brief vom 25. Juli5 erhielt ich erst vorgestern am 29. Sehr überrascht waren wir, daraus zu vernehmen, daß Marie noch in München festgebannt ist. Wir glaubten nach dem Brief, den sie vor ungefähr 14 Tagen aus München schrieb6, daß sie längst mit Onkel Hermann nach Berlin zurückgekehrt sei. Viel lieber hätten wir sie hier bei uns gehabt; ich schrieb deßhalb auch an Onkel Gottlieb. Für ihr Fortkommen hätte ich Sorge getragen. Vielleicht hat sie nun die Gelegenheit benutzt mit Mangelsdorf nach Leipzig zu reisen; ich traf diesen am Dienstag in Nürnberg auf seiner Rückreise nach München, wo er seine wiedergenesende Braut besuchen wollte. Doch wartet sie wohl von Tag zu Tag auf den Onkel Hermann. Unterdessen hat sie in München einen überraschenden Umschlag der öffentlichen Stimmung erfahren, gegen welchen die Wüthereien der Schwarzen7 nichts mehr vermocht haben. Die Kriegserklärung hat alles mit fortgerissen; man versichert, daß an diesem Abend das Preußenlied8 in München gesungen worden ist. Auch der Kronprinz hat einen begeisterten Empfang angetroffen. Ich sah ihn hier am Mittwoch früh 6 Uhr auf der Durchreise am Bahnhof, wo ihm ein Hoch ausgebracht wurde. Der Präsident von Mittelfranken aus Ansbach begrüßte ihn; in Bamberg empfing ihn der von Unterfranken in Begleitung von weißgekleideten Mädchen usw.; in Hof der von Oberfranken. Er wird kaum eine Stunde in der Nacht Ruhe gehabt haben, und so ging es fort in München, Stuttgart, Carlsruhe. In Würtemberg ist die gleiche Verschwörung wie in München kurz vorher erfolgt. Der Hof war schlecht genug gegen Preußen gestimmt; das hat jetzt nichts mehr zu bedeuten; selbst der erbärmliche Kläffer Mayer vom Stuttgarter Beobachter hat das Gewehr strecken müssen. Ist doch sogar der Großherzog von Strelitz in Berlin erschienen und der Herzog von Nassau9 soll seine Dienste angeboten haben.

Die nationale Stimmung ist erhebend und mitreißend über alle anderen kleinen Interessen. Man hat hier bei uns allgemeines Vertrauen zu der guten preußischen Führung; im Jahr 1866 hatte man keines zu den eigenen Führern. Die Truppen werden sich gut schlagen, obwohl die Stimmung unter ihnen nicht eben sehr kriegslustig war; hier und da, selbst in unserer Gegend, wo das katholische bambergische Gebiet hereingreift, haben die Pfaffen den Soldaten die Mahnung mitgegeben nicht auf die Franzosen, ihre Glaubensgenossen zu schießen. Unsere Gewehre sind auch ziemlich mangelhaft, da die neuen Vordergewehre nur zum kleinsten Theil fertig geworden sind, so daß z. B. unsere Züge solche nicht mitbekommen haben!

Schmidtleins gehen in 8 Tagen fort nach München. Leider wird ihnen der Abschied sehr getrübt durch eine schmerzliche Erfahrung, die sie mit ihrem hier studierenden Sohn gemacht haben. Er wurde von uns consiliirt wegen wiederholten Duellvergehens und die Eltern glauben, daß ihm großes Unrecht geschehen sei. Wir sind aber genöthigt mit aller Strenge gegen den überhand nehmenden Unfug einzuschreiten, der kürzlich dem einzigen Sohn einer braven Familie das Leben gekostet hat.

Mein Schwager Friedrich, als Freiwilliger bei der Artillerie in Würzburg, war eben von den Übungen auf dem Lechfeld zurückgekehrt, und ist nun begeistert in den Kampf hinaus gezogen, nachdem die guten Eltern gefaßten Muthes vor 8 Tagen von ihm in Würzburg Abschied genommen. Viele von unseren Studenten haben sich freiwillig bei dem Jägerbataillon gestellt und werden jetzt umexerciert, unter ihnen auch der junge Schmidtlein; eine Anzahl Theologen gehen als Felddiaconen; die Frauen sind in ihrer Weise bei der Zubereitung von Verbandzeug usf. thätig.

Schreib mir doch bald, was Ihr von Eurem guten Willi erfahren; unsere heißen Segenswünsche begleiten ihn. Wenn Marie zurück ist, wird sie uns doch auch einmal schreiben. Unser Kind Marie haben wir noch in Friedrichsdorf gelassen. Ich werde abgerufen, weil Besuch da ist. Meine Frau grüßt Euch mit mir.

Dein Karl.