Erlangen 14 August 1870
Lieber Manuel!
Auch wir theilen die allgemeine Freude über die glorreichen Siege der deutschen Waffen unter preußischer Führung und hoffen mit gespannter Erwartung auf die völlige Niederwerfung Frankreichs, welches nur eine seit Jahrhunderten angewachsene Schuld zurückbezahlen soll. Preußen und Deutschland, beide untrennbar geeinigt, werden die erste Macht des europäischen Continents sein, gleichviel ob ihnen ein Länderzuwachs in Elsaß und Lothringen zufallen wird oder nicht. Ich weiß nicht einmal, ob ich einen solchen wünschen soll, weil er den dauerhaften Frieden erschwert, die Eifersucht der anderen Mächte aufs Höchste erregt und die Elsasser, so weit ich sie kenne, eine verdorbene Race sind. Es freut mich für die Bayern, daß sie sich tapfer geschlagen haben und ihren verdienten Antheil an dem deutschen Waffenruhm zuerkannt erhalten; wie es aber nach dem Frieden mit der deutschen Einigkeit bestellt sein wird, lasse ich gleichfalls dahingestellt, weil der Preußenhaß der ultramontanen und particularistischen Partei sicher wieder auftauchen und man seine alten Prätensionen eher zu steigern als zu ermäßigen geneigt sein wird. | An die preußische Regierung werden die schwierigsten Aufgaben, wie bei dem Friedensschluß, so auch nach dem Frieden herantreten. Doch das überlassen wir der Zukunft, von der wir älteren Leute nicht gar viel mehr zu erleben haben.
Mit sorglicher Theilnahme folgen wir unseren Lieben, die jetzt auf den Schlachtfeldern dem Erbfeind gegenüberstehen. Der brave Willi hat wohl noch an keiner Action theilgenommen, wird aber wahrscheinlich jetzt dazu kommen, da die Armee des Prinzen Friedrich Karl, wenn ich nicht irre, bis jetzt geschont in der bevorstehenden Hauptschlacht voran sein wird. Unsere Schwäger Ulrich und Friedrich sind, soviel ich weiß, nicht bei Weißenburg, aber bei Wörth im Gefecht gewesen; Friedrich führt ein Geschütz und war mit seiner Artillerie auf eine Höhe hinaufgeschickt, wo aber ein solcher Kugelregen sie empfing, daß sie wieder umkehren mußten.
Seit gestern ist sogar uns Erlangern der traurige Erfolg des Kriegs vor Augen geführt worden, welcher mehr noch die Neugierde als das Mitleid der Bevölkerung erregt hat. Mehrere medicinische Professoren gingen mit Gehülfen am vergangenen Montag nach dem Kriegsschauplatz und kehrten mit einem | Transport von 135 leichter Verwundeten aus Sulz zurück; darunter sind 99 Franzosen, die übrigen Preußen und Baiern, von denen nicht mehr zu haben waren. Sie wurden gestern Abend nach 9 Uhr unter Fackelbeleuchtung durch den Schloßgarten, meist auf Bahren getragen, in die beiden Spitäler und in das Lazarett, zwei Häuser weit neben uns, gebracht. Heute am Sonntag ist alles Volk auf den Beinen, um den Anblick eines Franzosen und wo möglich eines Turec in den Fenstern zu erhaschen. Ich habe mir in Begleitung meines Collegen Ziemssen die Kerle in der Nähe besehen. Sie liegen abgesondert, weil die anderen Franzosen nicht mit ihnen zusammensein wollen, in reinlichen Betten und luftigen Zimmern und erfreuen sich einer so guten Pflege, wie sie gewiß in ihrem Leben noch nicht erfahren haben. Ich war eigentlich einigermaßen entrüstet, daß man das Gesindel nicht in Sulz liegen gelassen hat. Übrigens erscheinen sie in solcher Situation nicht so bestialisch, als man sie sich gewöhnlich vorstellt. Die Gesichts- und Hautfarbe ist bräunlich gelb, das Haar schwarz kraus, um den Kopf herum geschoren, so daß es nur wie eine schwarze Haube oben aufsitzt; die Körperformen sind kolossal, der Gesichtsausdruck roh und brutal, nicht eigentlich wild. Sie nehmen die ärztliche Pflege und andere Hülfe an, als ob sie ihnen | gebührte, ohne die Miene eines Dankgefühls. Unter 8 Kerlen, die ich in einem Zimmer in den Betten sah, war ein colossaler Neger; er hatte eine Schußwunde im Oberarm, die Haut sah aus wie von einem Elefanten; er verstand französisch und machte zugleich den Dollmetsch für ein Paar Turecs, mit denen man sich nicht verständigen konnte. Nächstens werde ich vor allem die tapferen Preußen besuchen und ihnen meine Sympathie zu erkennen geben. Heineke ist nicht mit zurückgekommen, sondern weiter gegangen, um als Stabsarzt bei den Bayern zu helfen; seine Frau zeigt eine übertriebene Angst um den Mann, wie um das Kind, dem sonst nichts fehlt, das aber vielleicht krank werden könnte!
Du schreibst mir von der Feier des 27. August, welche wohl jetzt besser ganz unterbliebe. Ich kann es Dir nicht verübeln, wenn Du nicht hingehen willst, obwohl es dort übel gedeutet werden wird. Du hast eine Rechnung von Schauer für nicht von Dir bestellte Photographien erhalten, was also als eine unfreiwillige Auflage für das Denkmal zu betrachten ist: ich finde diese Manier sehr unfein und möchte wissen, ob sie allein dem Bildhauer oder vielmehr dem Comité zur Last fällt. Der Preis ist so gestellt, daß der Photograph für die Platten selbst, von denen er sonst keinen Gebrauch zu machen vorgiebt, nur wenig mehr fordern dürfte. Deine Gedanken, den Mitgliedern des Comités unsere Erkenntlichkeit zu beweisen, finde ich sehr passend, wenn er sich auf solche Art ausführen läßt. Ehe ich für mich selbst noch einen Abzug bestelle, will ich | erst abwarten, ob sich der Handel auf die von Dir proponirte Weise abschließen läßt; ich käme dann wohl billiger dazu. Aus München hörten wir über Nürnberg, daß Mangelsdorf dort gleichfalls unwohl geworden ist und deshalb länger als er wollte bleiben mußte. Eure Marie ist nun wohl glücklich nach Hause zurückgekehrt? Wir wünschen bald weiter von ihr sowie von Willi zu hören. Tausend Grüße an Klara
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Privatbesitz
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Privatbesitz
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Hegel, Wilhelm (Willi)Wilhelm Hegel13593263718491925Hegel, Wilhelm (Willi) (1849–1925), in Berlin geborener Sohn Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels (1822–1861), Ehemann Armgard Hegels, geb. Wulffen (1862–1928), und Neffe Karl Hegels. Er war hoher preußischer Verwaltungsbeamter, u. a. von 1886 bis 1890 Landrat des Kreises Jerichow I, von 1895 bis 1905 Regierungspräsident von Gumbinnen, von 1905 bis 1908 in Allenstein, von 1908 bis 1917 Oberpräsident der Provinz Sachsen. Es war von 1887 bis 1890 Mitglied des Deutschen Reichstages und wurde im Jahre 1909 in den erblichen preußischen Adelsstand erhoben.
Friedrich Karl Nikolaus von Preußen11855284818281885Friedrich Karl Nikolaus (1828–1885), Prinz von Preußen und Generalfeldmarschall, Neffe Kaiser Wilhelms I. (1797–1888).
Tucher, Friedrich Wilhelm Sigmund Friedrich Wilhelm Sigmund Tucher116153730918461924Tucher, Friedrich Wilhelm Sigmund (1846–1924), Sohn Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), jüngster Bruder Susanna Maria Hegels (1826–1878), Taufpate Gottlieb Friedrich Hegels (1867–1874), 1867 Forsteleve in Aschaffenburg, Ehemann Auguste Marianna Tuchers, geb. Stramer (1857–1887), nach deren Tod ab 1888 Maria Margarethe Charlotte Tuchers, geb. Anns (1852–1917).
Ziemssen, Hugo WilhelmHugo Wilhelm Ziemssen11759745718291902Ziemssen, Hugo Wilhelm (1829–1902), in Greifswald geborener Mediziner, der von 1848 bis 1854 an den Universitäten Greifswald, Berlin und Würzburg studierte, 1854 in Greifswald promoviert wurde, sich dort 1856 habilitierte und 1861 außerordentlicher Professor wurde. Von 1863 bis 1874 war er ordentlicher Professor für Innere Medizin, Spezielle Pathologie und Therapie an der Universität Erlangen und wechselte dann bis zu seinem Tode auf einen Lehrstuhl an der Universität München.
Heineke, Walter Hermann11665984X18341901Heineke, Walter Hermann (1834–1901), in Schönebeck an der Elbe als Sohn des praktischen Arztes und Medizinalrates Christian Friedrich Heineke (1798–1857) geborener Mediziner, der an den Universitäten Göttingen, Berlin, Leipzig und Greifswald studierte und im Jahre 1858 zum Dr. med. promoviert wurde. 1863 habilitierte er sich und war von 1867 bis 1901 ordentlicher Professor für Chirurgie und Augenheilkunde an der Universität Erlangen. Im Sanitätskorps der Königlich Bayerischen Armee war er Generalarzt mit dem Rang eines Generalmajors à la suite.
Schauer, Gustav11711183X18261902Schauer, Gustav (1826-1902) In Beeskow bei Frankfurt an der Oder geborener Volksschullehrer, Daguerreotypist und (Hof-)Fotograf mit eigenem Atelier und Verlag in Berlin, nach 1877 auch als Maler tätig und zum Professor ernannt.
Mangelsdorf, Edmund-18191879Mangelsdorf, Edmund (1819–1879), Ehemann von Anna Sophia Maria Mangelsdorf, geb. Tucher (1842–1935), Kaufmann in Leipzig, der in einer Leipziger Verlags- und Sortimentsbuchhandlung gelernt hat. Seine erste Ehefrau stammte aus einer alten Leipziger Buchhändlerfamilie.
Hegel, Marie (Maria), verh. BitterMarie Hegel, verh. Bitter103810830618481925Hegel, Marie (1848–1925), Tochter Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), Ehefrau des Juristen, hohen preußischen Verwaltungsbeamten, Kronsyndikus und Politikers Rudolf Bitter (1846–1914), siehe auch: Bitter, Marie.
Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
FrankreichNach der Französischen Revolution von 1789 wurde das in Westeuropa am Atlantik gelegene Frankreich 1791 konstitutionelle Monarchie, 1793 Republik, 1804 Kaiserreich, 1830 Königreich, 1848 wieder Republik, 1852 erneut Kaiserreich und von 1871 bis 1940 zum dritten Mal Republik.
Preußen, Prusse Königreich Preußen (französisch: Prusse), auch Ostpreußen als östlichste Provinz des Königreichs.
DeutschlandKulturgeschichtlich ist damit der Raum deutscher Nation und Sprache gemeint, wo „Teutschland“ im Laufe der Frühen Neuzeit eine Kurzbezeichnung für das „Heilige Römische Reich teutscher Nation“ wurde. Im 19. Jahrhundert wurde „Deutschland“ immer mehr zur inoffiziellen Bezeichnung für die deutschsprachigen Gebiete Mitteleuropas, zunächst das Gebiet des 1815 gegründeten Deutschen Bundes, dann des 1871 gegründeten Deutschen Reiches.
ElsaßLandschaft im Osten Frankreichs, von den Vogesen bis zum Flußlauf des Rheines und von der Burgundischen Pforte im Süden bis zur Stadt Weißenburg an der Lauter im Norden reichend, an die Schweiz und Deutschland grenzend.
LothringenWestlich an das Elsaß anschließendes Gebiet im Nordosten Frankreichs an den Oberläufen der Flüsse Maas, Mosel, Saar und Saône.
Weißenburg (Elsaß)49.0365935,7.9445109Etwa 60 Kilometer nördlich von Straßburg an der Grenze zwischen Elsaß im Süden und Rheinpfalz im Norden gelegene ehemalige Stadt des Heiligen Römischen Reiches. Am 4. August 1870 fand dort eine Schlacht statt, bei der erstmals ein gesamtdeutsches Heer kämpfte und gegen eine französische Armee siegte.
Wörth (an der Sauer)48.9399476,7.7432539Etwa 40 Kilometer nördlich von Straßburg gelegene Gemeinde im Unterelsaß, bei der am 6. August 1870 eine siegreiche Schlacht deutscher gegen französische Truppen stattfand.
Sulz48.3617509,8.6314329Etwa 70 Kilometer südwestlich von Stuttgart gelegene Gemeinde am Neckar im nordöstlichen Schwarzwald.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
UltramontanismusHinsichtlich des politischen Denkens streng päpstlich gesinnt („jenseits der Berge“) und damit als politische Denkströmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts katholisch-klerikal, streng päpstlich, großdeutsch und antipreußisch ausgerichtet.
Bayerische PatriotenparteiIm Jahre 1869 gegründete politische Partei im Königreich Bayern, die großdeutsch, katholisch und konservativ ausgerichtet war und 1887 zur Bayerischen Zentrumspartei wurde. Schon vor ihrer Gründung stellten „Patrioten“ die meisten Abgeordneten aus Bayern im Zollparlament.
Schloßgarten (Erlangen)Barocke Gartenanlage östlich des ab 1700 erbauten Erlanger Schlosses mit den symmetrisch errichteten Bauten einer Orangerie und der Konkordienkirche nördlich und südlich des Hugenottenbrunnens in der vom Schloß ausgehenden Mittelachse zum Torso gebliebenen Reiterstandbild des Markgrafen Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth (1644-1712).